"Freie Arztwahl" macht Gesundheitssystem teurer

Ein Arzt in weißem Kittel schreibt während einer Beratung Notizen.
Eine aktuelle Studie zeigt: "Ungelenkte" Patienten belasten Spitäler und Kliniken mehr als notwendig.

In Österreich hat jeder Krankenversicherte die Möglichkeit, bei Gesundheitsproblemen "ungelenkt" einen Hausarzt, niedergelassenen Facharzt, eine beliebige Spitalsambulanz oder gar eine Uniklinik zu frequentieren. Das ist laut einer neuen Studie der Abteilung für Allgemeinmedizin der MedUni Wien teurer für das Gesundheitswesen und risikobehaftet für die Patienten.

"Wir haben für unsere repräsentative Studie eine Stichprobe von 3.500 Personen im Alter ab 16 Jahren in allen Bundesländern befragen lassen. Die Umfrage wurde so gestaltet, dass man die Ergebnisse mit ähnlichen Untersuchungen, zum Beispiel in den USA, vergleichen kann", sagte der Leiter der Abteilung Allgemeinmedizin am Zentrum für Public Health, Manfred Maier, gegenüber der APA.

Die Ergebnisse zeigen laut Maier und dem Erstautor und Studienleiter Otto Pichlhöfer, dass die in Österreich laut deren Auffassung fälschlicherweise unter dem Begriff "freie Arztwahl" etablierte Situation, wonach Patienten mit allen Gesundheitsbeschwerden (nicht nur bei Notfällen) sofort und direkt jede Ebene des Versorgungssystems - vom Hausarzt über einen Facharzt, eine Spitalsambulanz oder gar eine Universitätsklinik - "ungelenkt" ansteuern können, deutlich negative Effekte aufweist.

Teuer

Die Daten aus der Umfrage verdeutlichen das. Von 1.000 Österreichern über 16 Jahre berichteten 646 von Gesundheitsproblemen. 460 hatten im vorangegangenen Monat medizinische Hilfe gesucht. Nur 336 Personen waren deshalb beim Hausarzt, 206 gingen hingegen gleich zu einem Facharzt "ihrer Wahl". 78 Personen besuchten eine Spitalsambulanz, fast die Hälfte davon (35) wurden stationär aufgenommen. Drei von 1.000 Personen waren gar in eine Universitätsklinik aufgenommen worden.

"International versteht man unter 'freier Arztwahl' die Wahl des Arztes in der ersten Versorgungsebene (primär: Hausarzt; sekundär: Fachärzte; tertiär: Spitalseinrichtungen; Anm.). In Österreich können die Patienten auch frei die Ebene der Versorgung wählen, also die Erstversorgungsebene beim Hausarzt oder auch die dritte Ebene der Krankenhäuser", so die Autoren. Dies führe dazu, dass "teure Spitalsambulanzen, Spitalsbetten und gar Universitätskliniken" in Österreich vermehrt in Anspruch genommen würden.

Maier fügte hinzu: "Wir haben in der Studie für Österreich eine zweifach höhere Inanspruchnahme von niedergelassenen Fachärzten als in einer vergleichbaren Studie aus den USA und eine 2,3-fach häufigere Inanspruchnahme einer Spitalsambulanz registriert." Die Hospitalisierungsrate lag mit 3,5 Prozent beim 4,4-Fachen von Vergleichsstudien, sowohl bei den normalen Krankenhäusern als auch bei den Uni-Kliniken."

Für die Experten haben diese Ergebnisse zwei Konsequenzen: Einerseits würden in Österreich durch den ungelenkten Zugang der Patienten zu den verschiedenen medizinischen Versorgungsebenen die Spitäler und Kliniken über Gebühr belastet. Das bremse auch den Abbau der im internationalen Vergleich in Österreich überproportional hohen Spitalsbettenkapazitäten.

Risiko

Maier: "Für die Patienten bedeutet das aber auch ein Risiko. Die medizinisch oft nicht notwendige und damit überhöhte Inanspruchnahme des stationären Bereiches (Krankenhäuser; Anm.) bringt eine höhere Wahrscheinlichkeit von unerwünschten Komplikationen und Zwischenfällen für die Patienten im Krankenhaus mit sich. Die Häufigkeit dieser Zwischenfälle mit einer gesundheitlichen Schädigung durch einen Krankenhausaufenthalt liegt bei etwa acht bis zwölf Prozent."

Zweitens schwächt die Situation - so die Autoren - auch die medizinische Primärversorgung beim niedergelassenen Hausarzt. "Wenn die Hausärzte weniger Aufgaben und Verantwortung haben, werden sie für Patienten und Gesundheitssystem auch weniger koordinieren, steuern und leisten können. In den Niederlanden, wo die Patienten Fachärzte bzw. Spitalseinrichtungen faktisch nur via Hausarzt aufsuchen können, werden 97 Prozent der medizinischen Versorgung beim Allgemeinmediziner abgedeckt. Bei uns sind es nur 65 bis 70 Prozent." Die Wiener Studie ist im "European Journal of Public Health" Ende November vergangenen Jahres erschienen.

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