Stammzellspende: Österreicher zurückhaltend

Ein Patient liegt im Bett, während er an ein Baxter-Blutentnahmegerät angeschlossen ist.
Nur 66.000 Freiwillige sind hierzulande registriert - im Vergleich mit anderen Ländern deutlich weniger.

Österreich ist bei den für eine Stammzellenspende registrierten Freiwilligen im internationalen Vergleich im Hintertreffen. Laut Agathe Rosenmayr, Leiterin der Spenderdatei der MedUni Wien, sind hierzulande 66.000 Personen registriert. In Deutschland sind es zum Vergleich 6,4 Millionen. Wenn also der Faktor 1:10 angewendet würde, müsste es in Österreich rund 640.000 Spender geben.

"100.000 Spender sollte ein Land wie Österreich in den weltweiten Pool schon einbringen", sagte Rosenmayr über ihre Ziele. Weltweit waren mit Ende des Vorjahres 27,6 Millionen registriert. Dass de facto nur mehr über Stammzellspenden für Leukämiekranke gesprochen wird und nicht mehr über Knochenmarkstransplantationen, liegt daran, dass diese aufwendigere Form der Spende nur mehr selten, in etwa zehn bis 15 Prozent der Fälle, angewendet werden. Das hat vor allem für Spender etwas Gutes: Stationäre Spitalsaufenthalte sind nicht mehr notwendig, dem Organismus erspart man die belastende Vollnarkose und die postoperativen Schmerzen. "Stammzellenspenden sind wie eine besonders lange Blutspende, nur erhält man das Blut am Ende zurück", erläuterte die Medizinerin.

Familienspende hilft nicht jedem

Pro Jahr erkranken in Österreich etwa 700 Personen an Leukämie. Etwa die Hälfte dieser Personen sind vom Alter und dem Stadium der Krankheit her in der Lage, eine Stammzellenspende mit Erfolgsaussichten zu erhalten. Im Jahr 2014 erhielten laut dem von der Gesundheit Österreich herausgegebenen Transplantbericht des Jahres 215 Leukämie-Patienten in Österreich eine Stammzelltransplantation: 66 vom Familienspender, 149 von nicht verwandten Freiwilligen. Normalerweise wird zunächst in der Familie untersucht, ob ein Patient unter seinen Angehörigen einen Spender hat. Aber nur 25 Prozent können im Familienverbund Hilfe erhalten.

Für die anderen müssen sich die Mediziner in der weltweiten Datenbank umsehen, in der die Spender mit ihrer DNA registriert sind. Im Schnitt beträgt die Wahrscheinlichkeit 1:500.000, dass zwei Nichtverwandte für eine Stammzellenspende miteinander kompatibel sind. In der Praxis ist das dann noch schwieriger: In den USA etwa gibt es keine Meldepflicht. Wenn ein registrierter Freiwilliger etwa umzieht oder seine Telefonnummer ändert und das nicht an das Register meldet, ist er kaum mehr zu finden.

Anforderungen

Gesucht werden Spender zwischen 18 und 45, die nicht unter- und nicht übergewichtig sind. Für Frauen sind dies mindestens 55 Kilogramm und maximal 100, bei Männern 60 bis 110 Kilogramm. In der Datenbank bleibt man bis zu einem Alter von 55 Jahren. "Junge Spender sind wesentlich besser", sagte Rosenmayr.

Außerdem müssen sich Spender dessen bewusst sein, dass sie für jeden Bedürftigen auf der ganzen Welt herangezogen werden können. Immer wieder komme es vor, dass an sich an der Registrierung Interessierte Einschränkungen, etwa in Bezug auf Religionszugehörigkeit oder Staatsbürgerschaft machen wollen, schilderten Rosenmayr und ihr Team. Dafür ist in einer weltweiten Datenbank kein Platz.

Wer sich registrieren lässt, wird zu einem Einführungsgespräch mit Blutabnahme eingeladen. Die Blutabnahme dient der Gewebetypisierung des Spenders, einer DNA-Bestimmung, mit der man in die Datenbank kommt. Gibt es einen Treffer, wird der Spender ein weiteres Mal gefragt, ob er nach wie vor zur Verfügung steht. Bei positiver Antwort wird genau getestet, ob er die gesundheitlichen Voraussetzungen - keine Infektionen, Hepatitis, HIV, Syphilis etc. - und alle notwendigen Übereinstimmungskriterien mit dem Empfänger erfüllt.

Nebenwirkungen

Wenn diese Hürde genommen ist, bekommt der Spender vier Tage vor der Stammzellenabgabe subkutane Injektionen mit Wachstumshormonen. Das ist mit unangenehmen Nebenwirkungen verbunden, die aber nicht gefährlich sind. Die erste Spritze wird dabei unter ärztlicher Aufsicht verabreicht, um eine allergische Reaktion auszuschließen. Die typische Nebenwirkung ist vergleichbar mit einem grippalen Infekt: ein Gefühl von Schlappheit und Abgeschlagenheit, Glieder-und eventuell auch Kreuzschmerzen.

Die Spende selbst erfolgt in vier bis sechs Stunden, bei der man Venenzugänge in beide Arme bekommt und liegt. Aus einem Arm wird venöses Blut entnommen und in eine Zentrifuge geleitet, welche die Stammzellen vom Blut trennt. Anschließend wird das Blut in den Körper zurückgeleitet. Der Spender braucht nicht nüchtern zu kommen, gut frühstücken ist die Devise. Allerdings sollte in den letzten Tagen vor der Stammzellentnahme nichts Fettes mehr gegessen werden, wie die Spenderin Daniela Fuß anmerkte.

Rosenmayr berichtete von einem wesentlichen Etappenerfolg im heurigen Jahr auf dem Weg zu den 100.000 Spendern. "Heuer konnten wir fast 2.000 neue Spender registrieren, dank der Lions-Clubs der Zone Österreich-Ost, die fast die Hälfte dieser Spender-Typisierungen gesponsert haben." Die Medizinerin dankte der Organisation. Gerade zu Weihnachten hätten sich wieder etwa 100 Spender für ein junges Mädchen mit Leukämie gemeldet. Allerdings: Eine Spendertypisierung kostet 50 Euro, für die 100 Freiwilligen ist die Finanzierung völlig offen. Krankenkassen übernehmen diese Kosten nicht.

Stammzellenspender können mit fünf Stunden im Krankenhaus Leben retten. Für viele Leukämiepatienten ist dies die letzte Chance, geheilt zu werden. Doch einen passenden Spender zu finden, ist wie ein "Lottozwölfer", sagte Werner Kristufek, dem am 22. März 2013 auf diese Weise gegen den Krebs geholfen wurde. Sein "zweiter Geburtstag" sei dieser Tag gewesen, betonte Kristufek.

Kristufek bekam im Juni 2012 die Diagnose Leukämie. Er wollte eigentlich nach Indien reisen, doch kurz davor trat bei ihm ein zunächst unerklärliches Fieber auf. Nach einer Reihe von Untersuchungen war die Diagnose klar. Kristufek hatte Blutkrebs. Sein behandelnder Arzt sagte ihm: "Bei Ihnen, Herr Kristufek, ist das Ziel Heilung." Nicht zuletzt aus diesem Satz schöpfte der Patient große Hoffnung, als er wenige Tage später seine erste Chemotherapie antrat. Im Zuge der Behandlung wurde aber auch rasch klar, dass "meine Heilung nur mit einem allogenen Spender möglich ist", erzählte Kristufek. Das bedeutete: Der Wiener benötigte unbedingt einen Stammzellen-Spender, der zu ihm passt.

Großes Glück

Doch einen solchen zu finden, ist großes Glück. Weltweit sind laut Agathe Rosenmayr, Leiterin der Stammzellspenderdatei der MeduniWien an der Klinik für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin, 27 Millionen freiwillige Stammzellenspender registriert. Bis Ende des Jahres wurde ein Anstieg auf 28 Millionen freiwillige Spender erwartet. Dennoch sind die Chancen, den genetischen Zwilling zu finden, je nach Patient höchst unterschiedlich und liegen laut Deutscher Stammzellspenderdatei zwischen 1:600 und 1:1 Billion. Aufgrund der Zahl der Freiwilligen weltweit hat jeder Patient eine Chance von 80 Prozent, einen passenden Spender zu finden. Rosenmayr: "Ein Fünftel der Patienten bleibt leider heute noch immer noch ohne Spender."

Schwierig wird es aber unter anderem deshalb, weil in vielen Ländern, etwa in den USA, keine Meldepflicht existiert. Wenn ein registrierter Spender umzieht und nicht seine neue Adresse bei der Datenbank bekannt gibt, ist er kaum noch auffindbar. Letztlich sind noch nicht genug Spender in der Datei. Rosenmayr: "Immer noch haben 20 Prozent der Patienten keinen passenden Stammzellspender."

Kristufek hatte Glück, es gab ein Pendant für ihn, noch dazu offenbar in der Nähe. Doch die Nachricht stand wohl am Anfang einer der schwierigsten Phasen für den Leukämiepatienten. "Man qualifiziert sich für die Stammzellentherapie je nachdem, wie der Körper auf die Chemo reagiert." Im Endeffekt müssen alle Krebszellen vernichtet sein, bevor man über die Gabe der Stammzellen das körpereigene Immunsystem komplett neu aufbaut.

Kristufek fing sich eine schwere Lungenentzündung ein, in deren Verlauf ihm ein Lungenlappen entfernt werden musste. "Eine schwere Krise", sagte der Patient. Dazu kam, dass auch der Spender offenbar gesundheitliche Probleme hatte und sich einer Knieoperation unterziehen musste. "Bis der Anruf kam: Am Montag geht's los", schilderte Kristufek.

Immunabwehr neu aufbauen

Am 8. März wurde er im Spital aufgenommen, am 22. März gab es die Spende, am 17. April wurde Kristufek entlassen. Er befand sich nach der Transplantation wochenlang in Quarantäne, alleine im Zimmer. "Die Telefonrechnungen habe ich nicht so ernst genommen", schilderte der Wiener schmunzelnd, der unter anderem am TGM lehrt. Seine Immunabwehr befand sich nach der Spende auf dem Status eines Neugeborenen und musste völlig neu aufgebaut werden. Das bedeutete unter anderem, dass Kristufek den kompletten Impfstatus wiederherstellen musste.

Rund zweieinhalb Jahre später geht Kristufek nach wie vor alle zwei Monate zur Kontrolle, führt aber ansonsten ein weitgehend normales Leben. Er selbst klopft bei solchen Feststellungen auf Holz, damit das auf Dauer so bleibt. Im Februar 2016 will er erstmals wieder skifahren gehen. Auch Indien als Reiseziel haben er und seine Frau nicht aufgegeben.

Wichtig sei, Bewusstsein zu schaffen, sagte Kristufek. "Hilfe gegen Krebs, gegen Leukämie, gibt es nicht nur durch Geldscheine. Eine Stammzellenspende hilft mehr als Geld."

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