In Österreich fehlen Jugendpsychiater
Zwölf Kassenfachärzte für eine Viertelmillion Patienten: So ist das derzeitige Verhältnis in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Anlässlich der 30. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (ÖGKJP) warnen Experten vor den Folgen der aus ihrer Sicht gravierenden Unterversorgung.
Zu wenig Fachärzte und Kassenverträge
Der Österreichische Strukturplan Gesundheit sieht eine Vollabteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie je 300.000 Einwohner vor. In den meisten Bundesländern erfüllt die Anzahl der Krankenhausbetten den Anspruch nicht, kritisiert Charlotte Hartl, Bundesfachgruppen-Obfrau der Österreichischen Ärztekammer. Die dünne Infrastruktur ergebe neben der ungenügenden Versorgung der Patienten auch ein Defizit an Expertennachwuchs. "Wir haben einen eklatanten Fachärztemangel." Das Gesundheitsministerium erklärt dem gegenüber, dass die Ausbildungskapazitäten bereits gesteigert wurden. "Wir haben Jugendpsychiatrie zum Mangelfach erklärt und dadurch die Voraussetzungen geschaffen, mehr Spezialisten auszubilden", sagt Pressesprecher Fabian Fußeis. Auch beim 2011 vom Ministerium initiierten Kindergesundheitsdialog hätte es eine spezielle Arbeitsgruppe für psychosoziale Gesundheit gegeben, so Fußeis.
"Auf Kosten der Kleinsten gespart"
Derzeit geht die ÖGKJP von 258.000 potenziellen Patienten im Kindes- und Jugendalter aus, die eine Behandlung oder zumindest Beratung benötigen. Zur Verfügung stehen ihnen neben den Spitälern zwölf Kassenfachärzte in fünf Bundesländern. Laut Auskunft der Ärztekammer auf KURIER-Anfrage gibt es in Wien, Salzburg, der Steiermark und dem Burgenland keinen niedergelassenen Facharzt. "Dass es nicht ausreichend Kassenverträge für niedergelassene Kinder- und Jugendpsychiater gibt, ist aus medizinischer und ethischer Sicht völlig unverständlich", urteilt ÖÄK-Vizepräsident Johannes Steinhart. "Es wird auf Kosten der Kleinsten, Jüngsten und Schwächsten gespart."
Beim Gesundheitsministerium relativiert man diese Aussage und verweist auf neu eingerichtete ambulante Therapiezentren der Gebietskrankenkassen, etwa in Wien. "Diese alleine können den Bedarf aber nicht abfangen, geschweigedenn die wohnortnahe Versorgung ersetzen", entgegnet die Ärztekammer. "Österreichweit werden mindestens 100 niedergelassene Fachärzte gebraucht, derzeit sind es zwölf."
Übersehen und bagatellisiert
"Rund 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren haben psychische Auffälligkeiten, etwa die Hälfte davon sind behandlungsbedürftig“, sagt Andreas Karwautz, Vizepräsident der Gesellschaft. Zu den häufigsten Erkrankungen zählen Angst- und Essstörungen, Depressionen und ADHS. Auch Autismus, Rechtschreibschwäche und ein gestörtes Sozialverhalten beschäftigen die Kinder- und Jugendpsychiater. In den meisten Fällen lassen sich die Krankheiten gut behandeln - vorausgesetzt, sie werden rechtzeitig erkannt und therapiert. Andernfalls leiden die Betroffenen lebenslang unter den Folgen. Und tatsächlich erfährt ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen erst nach jahrelangem Fortschreiten des Krankheitsverlaufs eine Behandlung, wie Professor Kawautz beobachtet. Der Grund: Psychiatrische Erkrankungen im Kinder- und Jugendalter werden häufig übersehen oder nicht ernst genommen. Außerdem können sich viele Eltern den Besuch beim Psychiater, geschweige denn eine langfristige Therapie chronischer Krankheiten nicht leisten, wenn sie - wie in vier österreichischen Bundesländern - auf Wahlärzte angewiesen sind.
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