Künftig neue Therapien bei hohen Cholesterinwerten
Vor mehr als 20 Jahren haben die sogenannten Statine erstmals eine starke Senkung hoher LDL-Cholesterin-Werte per Medikament ermöglicht. Für Hochrisikopatienten, bei denen das nicht ausreicht, zeichnen sich jetzt zusätzliche Therapiemöglichkeiten ab. Darauf verwiesen Fachleute bei einem vom Biotech-Konzern AMGEN organisierten Hintergrundgespräch in Wien.
"Als Fettstoffwechselstörung bezeichnet man eine Veränderung der Zusammensetzung der qualitativen und/oder quantitativen sogenannten Blutfette (Lipide); zumeist sind der Cholesterin- und/oder der Triglyceridspiegel davon betroffen. Fettstoffwechselstörungen können viele exo- und endogene Ursachen und viele, oft sehr dramatische, Auswirkungen haben", betonte der ehemalige Leiter der Wiener Universitätsklinik für Nuklearmedizin und Fettstoffwechselexperte Helmut Sinzinger.
LDL-Senkung reduziert Herz-Kreislauf-Risiko
Zur Gefahr werden die LDL-Wert vor allem dadurch, dass sie die Entstehung der Atherosklerose fördern. Mit den ersten hoch wirksamen Medikamenten, den Statinen, konnte erstmals gezeigt werden, dass die Häufigkeit des Auftretens von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ( Herzinfarkt, Schlaganfall etc.) ganz klar mit der LDL-Konzentration im Blut korreliert. Studien mit Zehntausenden Patienten zeigten, dass die medikamentöse LDL-Senkung schnell und stark zu einer Verringerung des Herz-Kreislauf-Risikos führt.
Eine Untergrenze für "verträgliche" LDL-Spiegel im Blut gibt es offenbar nicht. Die Konzentration an "bösem" LDL-Cholesterin im Blut kann scheinbar gar nicht niedrig genug sein, um "Herzinfarkt & Co." zu verhindern. Neue Behandlungskonzepte erlauben die Absenkung auf sogar unter 50 Milligramm LDL-Blutfett pro Deziliter. Das entspricht dem Wert von Neugeborenen, hat erst vor kurzem der Wiener Kardiologe Gerald Maurer (MedUni Wien/AKH) bei einer Pressekonferenz in Wien erklärt. Bei Hochrisikopatienten werden LDL-Werte von 70 Milligramm pro Deziliter Blut angepeilt.
Ernährung - vor allem zu fettreiches Essen - spielt eine wichtige Rolle, wenn es um den Cholesterinspiegel geht. Rauchen hat ebenfalls einen negativen Einfluss. Regelmäßige Bewegung kann einen Schutzfaktor darstellen. Im Endeffekt aber bestimmt die Genetik des Einzelnen die "Grundeinstellung" des Fettstoffwechsels. Das zeigt sich speziell bei der Familiären Hypercholesterinämie. Einer von einer Million Menschen leidet an der sogenannten homozygoten Familiären Hypercholesterinämie mit extrem hohen Cholesterinspiegeln schon ab der Geburt. Eine heterozygote Familäre Hypercholesterinämie mit sehr hohen Blutfettwerten betrifft in Europa eine von 5.000 Personen.
Sinzinger: "In der heterozygoten Form erfolgt die klinische Manifestation (Atherosklerose-bedingte Erkrankungen; Anm.) meist um das 40. bis 50. Lebensjahr, in der homozygoten kann eine solche schon um das fünfte Lebensjahr, also eine Zehner-Potenz früher, beobachtet werden." Bei diesen Menschen stieß die medikamentöse Cholesterinsenkung bisher an deutliche Grenzen. Eine Therapieoption besteht darin, durch eine regelmäßige Apherese-Behandlung das Cholesterin per Filterung aus dem Blut zu entfernen. Einfacher wären natürlich neue und mit den bereits vorhandenen Cholesterinsenkern kombinierbare Medikamente.
Monoklonale Antikörper und Enzymhemmer
In der medikamentösen Therapie von Fettstoffwechselstörungen kommt eine ganze Reihe von Wirkstoffen, allein oder in Kombination, zum Einsatz, die oftmals sehr komplex zusammenwirken. Prinzipiell kann das über die Senkung des LDL-Cholsterins und/oder eine Erhöhung des "guten" HDL-Cholesterins erfolgen. Die medikamentöse Anhebung von HDL im Blut hat aber bisher eher Enttäuschungen gebracht.
Die Wirkstoffe greifen an den unterschiedlichsten Stellen an. So können LDL-Rezeptoren stimuliert, die körpereigene Synthese oder die Aufnahme von Cholesterin aus der Nahrung im Darm eingeschränkt, die Verstoffwechselung triglyceridreicher Lipoproteine verbessert, der Zustrom freier Fettsäuren aus dem Fettgewebe zur Leber verringert oder der Transfer von Cholesterinestern zwischen den unterschiedlichen Lipoprotein-Fraktionen reduziert werden", sagte Dienstagabend bei dem Hintergrundgespräch Kurt Derfler von der Universitätsklinik für Innere Medizin III des Wiener AKH (MedUni Wien). Erst vor kurzem konnte gezeigt werden, dass die Kombination eines Statins (Simvastatin) mit der Substanz Ezetimibe, welche die Rückresorption von Cholesterin aus dem Darm hemmt, bei Hochrisikopatienten stark wirksam ist.
Studien zu neuen Behandlungsmöglichkeiten
Doch im Kommen sind auch neue Wirkprinzipien. "Von den neuen Substanzen in der Therapie der Hypercholesterinämie ist zum jetzigen Zeitpunkt vermutlich die Substanzgruppe der PCSK-9 Hemmer, es handelt sich dabei um biotechnologisch hergestellte monoklonale Antikörper, am interessantesten", sagte Dörfler.
Dazu sind erst im April dieses Jahres im "New England Journal of Medicine" bahnbrechende Studien publiziert worden. Bei insgesamt rund 6.700 Probanden wurde dabei der zusätzlich zu der Verabreichung der herkömmlichen Cholesterinsenkern auftretende Effekt durch eine Behandlung mit monoklonalen Antikörpern untersucht. Die injizierbaren Biotech-Hemmstoffe des PCSK9-Enzyms (Alirocumab und Evolocumab) wurden dabei bei Hochrisikopatienten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt.
In der Studie mit Alirocumab handelte es sich um Patienten, bei denen die LDL-Konzentration trotz maximaler Statin-Therapie mehr als 70 Milligramm pro Deziliter Blut betrug. In der Studie mit Evolocumab betrug der LDL-Ausgangsspiegel im Durchschnitt 120 Milligramm pro Deziliter Blut. In internationalen Empfehlungen werden für Risikopersonen weniger als 70 Milligramm LDL pro Deziliter empfohlen.
In beiden Untersuchungen kam es zu einer Reduktion des LDL-Spiegels um knapp über 60 Prozent. In der Untersuchung vom Evolocumab sank der Wert beispielsweise von durchschnittlich 120 Milligramm auf 48 Milligramm. Im Zuge der Beobachtungszeiten von einem bzw. eineinhalb Jahren wurde in beiden Studien in etwa eine Halbierung der Häufigkeit von akuten Herz-Kreislauf-Erkrankungen (tödlicher und nicht tödliche Herzinfarkte, Schlaganfälle und instabile Angina pectoris) registriert. In der Untersuchung mit Alirocumab (78 Wochen Beobachtungszeit) sank diese Rate beispielsweise von 3,3 Prozent auf 1,7 Prozent.
Wahrscheinlich in näherer Zukunft für die Cholesterinsenkung zugelassen werden wohl auch die ersten sogenannten CETP-Hemmstoffe. Sie blockieren den durch das CETP-Enzym funktionierende Übertragen von Cholesterin auf LDL-Partikel. Bei der Entwicklung solcher Medikamente gab es aber auch Milliarden-schwere Fehlschläge. Doch erst vor wenigen Tagen ist im "Lancet" eine Wirksamkeitsstudie mit dem CETP-Hemmer Anacetrapib mit Patienten mit heterozygoter Familiärer Hypercholesterinämie erschienen. Dabei zeigte sich innerhalb eines Jahres eine LDL-Reduktion im Vergleich zu Placebo um rund 40 Prozent.
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