Keine eCard? Das ist gar nicht selten

Keine eCard? Das ist gar nicht selten
In Österreich sollen nur 4000 Menschen ohne Krankenversicherung leben, Praktiker bezweifeln das
Von Uwe Mauch

Zunächst die gute Nachricht, die der stellvertretende Direktor im Hauptverband der Sozialversicherungsträger dem KURIER vorab zukommen ließ: „Es wurde lange behauptet, dass in Österreich 100.000 Menschen ohne Krankenversicherung leben. Wir können nun belegen, dass diese Zahl doch deutlich niedriger ist.“

Alexander Hagenauer beruft sich auf eine Studie, die der Hauptverband beim Eu- ropäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik in Auftrag gegeben hat. Diese wartet bereits seit Monaten auf ihre Veröffentlichung. Womit die gute Nachricht einen ersten zarten Schönheitsfehler erleidet.

Der nächste folgt sofort: Unbestritten ist für viele Experten, dass dank der Einführung der bedarfsorientierten Mindestsicherung viele zuvor Nicht-Versicherte Anspruch auf eine medizinische Versorgung erhalten haben. Doch dann sagt Hagenauer: „Die Versorgung ist heute in Österreich lückenlos geschlossen.“ Und pickt eine Zahl aus der neuen Studie heraus: Demnach wären im Jahresschnitt nur 4000 Menschen ohne Krankenversicherung auszumachen.

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Selbst der Studienautor Michael Fuchs will die 4000 so nicht bestätigen. Auf Nachfrage erklärt er: „4000 Nicht- Versichererte in Österreich – diese Zahl ist mit Vorsicht zu genießen.“ Die Lage unterhalb der Armutsgrenze sei derart unübersichtlich, dass es durchaus auch „einige Tausend“ sein könnten.

Wohin die Armut führt

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Der Weg zu den Armen-Ambulanzen von Wien führt an den Stadtrand. Wer sich mit dem Bus 67A hinaus zu „Ambermed“ nach Inzersdorf begibt, ist tatsächlich krank. Jetzt im Sommer ist der Wartesaal nicht so voll wie in den Wintermonaten. Und dennoch wurden hier gestern, Donnerstag, bis 11 Uhr 43 Hilfesuchende registriert. Die Einrichtung wurde von Diakonie und Rotem Kreuz vor zwölf Jahren gegründet, sie wird ausschließlich von ehrenamtlich tätigen Medizinern am Leben erhalten.

„Alleine in dieser Ambulanz werden pro Jahr mehr als 4000 Menschen behandelt“, zitiert der Armutsexperte Martin Schenk aus einer internen Statistik. Innerhalb von nur sechs Jahren verzeichnete man bei „Ambermed“ eine Steigerung der Patientenzahl um 165 Prozent.

Nicht alle, die hier notversorgt werden, besitzen Anspruch auf eine österreichische Krankenversicherung. Einige sind EU-Armutsmigranten. „Die wir nicht wegschicken“, wie der Arzt Michael Nebehay betont.

Die Zahl jener, die in Österreich prekär beschäftigt sind oder aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung keine Krankenversicherung besitzen, ist weiterhin hoch. Weiß Martin Schenk. Dem Studienautor Michael Fuchs pflichtet er bei: „Es können auch mehrere Zehntausend sein.“ Die Situation werde sich zusätzlich verschärfen, wenn das Angebot der Mindestsicherung zurückgefahren wird. Diese Einschätzung teilt auch die ausgebildete Sozialarbeiterin Elisabeth Hammer, die heute das „neunerhaus“ leitet.

„Es gibt Bedarf“

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Schauplatzwechsel. Das Gesundheitszentrum der sozialen Einrichtung in der Margaretenstraße wurde zuletzt deutlich vergrößert (es sind jetzt neben den ehrenamtlichen Zahnärzten auch Augen- und praktische Ärzte im Einsatz). Es gibt mehr Sozialarbeiter und die Öffnungszeiten wurden verlängert. Diese Ausweitung des Angebots lässt sich also kaum mit einem Lückenschluss in der Krankenversicherung argumentieren. Es gibt Bedarf.

Am Donnerstagvormittag wurden im „neunerhaus“ 62 Nicht-Versicherte behandelt. Einige besitzen sogar eine Versicherung, gehen aber dennoch nicht ins AKH: „Aus Angst vor Stigmatisierung, und weil sie von unseren Ärzten und Sozialarbeitern mit Rücksicht auf ihre eingeschränkten Möglichkeiten behandelt werden“, erläutert Elisabeth Hammer.

Zurück zur guten Nachricht: Der leitende Mitarbeiter des Hauptverbands, der Studienautor und auch der Armutsforscher sind sich einig: Man muss Armut in einem der reichsten Länder der Welt nicht als gegeben hinnehmen. Man kann, sofern an den richtigen sozialpolitischen Schräubchen gedreht wird, Verbesserungen schaffen. Man darf gespannt sein – auf die nächste Studie.

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