Wann weiß ich, ob ich mich trennen soll?

Frau sitzt verzweifelt mit einem Smartphone in der Hand.
Soll man sich trennen, wenn man das Gefühl hat sich in der Beziehung zu verlieren? Psychotherapeut Christian Beer antwortet.

Leserin Karina (33) fragt:

Ich bin seit fünf Jahren mit meinem Partner zusammen, eigentlich läuft alles ganz gut. Auch nach außen hin, aber ich habe immer öfter das Gefühl, mich in der Beziehung selbst zu verlieren. Langsam merke ich, dass ich seine Bedürfnisse immer über meine gestellt habe, obwohl er das nicht einmal verlangt hat. Jetzt denke ich an Trennung, habe aber Angst davor, später meine Entscheidung zu bereuen. Wie kann ich herausfinden, ob ich aus Loyalität bleibe – oder aus echter Liebe?

Dr. Leben antwortet:

Was Sie beschreiben, erleben viele Menschen in Beziehungen, die nach außen funktionieren, aber innerlich an Verbindung verlieren. Wenn eigene Bedürfnisse dauerhaft zurückgestellt werden – auch ohne äußeren Druck –, entsteht oft eine stille Entfremdung. Liebe allein reicht nicht, wenn dabei das eigene Selbstgefühl verloren geht.

Die entscheidende Frage ist nicht nur: Lieben Sie Ihren Partner?

Sondern: Können Sie in dieser Beziehung wachsen – oder müssen Sie sich anpassen, um keinen Konflikt zu erzeugen?

Viele Beziehungen halten, weil eine Person dauerhaft ausgleicht, schweigt, verzichtet. Aber Nähe entsteht nur dort, wo beide sich zeigen dürfen – mit Bedürfnissen, mit Grenzen, mit Entwicklung. Wenn Sie sich selbst nicht mehr gespiegelt sehen, bleiben Sie vielleicht loyal – aber nicht wirklich verbunden.

Trennungsgedanken bedeuten nicht automatisch das Ende. Sie zeigen oft einen inneren Wunsch nach Klarheit. Wer aus Angst bleibt, zahlt auf Dauer mit Selbstwert. Wer geht, weil nichts mehr zurückkommt, schützt etwas sehr Wertvolles: die eigene Identität als Partner oder Partnerin.

Es geht nicht darum, vorschnell eine Entscheidung zu treffen, sondern ehrlich hinzusehen: Gibt es noch Resonanz? Gibt es Gesprächsraum? Wenn nicht, kann ein moderiertes Gespräch – etwa in einer Paarberatung – helfen. Nicht für Schuldzuweisungen, sondern für Wahrheit. Und manchmal ist genau das der Beginn: nicht vom Ende, sondern von einer neuen Entscheidung – mit sich selbst. Oder ohne den anderen. Aber nicht ohne Haltung.

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