Psychische Gesundheit braucht Struktur – nicht erst, wenn es zu spät ist

Muss wirklich erst etwas passieren, bevor man ins Tun kommt? Offensichtlich ja. So geschehen dieser Tage in Graz, als ein 21-Jähriger in seiner ehemaligen Schule einen Amoklauf verübte und zehn Menschen mit in den Tod riss. Das verstörende, tragische Drama ruft Experten und Institutionen aus allen Richtungen auf den Plan – mit der Frage: Hätte dieser Vorfall verhindert werden können? Und wenn ja, wie?
„Das ist natürlich schwierig zu beantworten“, sagt Barbara Haid, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie (ÖBVP). Sie ist jedoch überzeugt, dass dem Thema psychische Gesundheit „in Österreich dringend mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden“ müsse.
Auch Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, unterstreicht im Rahmen einer Pressekonferenz: „Was kann die moderne Medizin beitragen, um durch breit angelegte Prävention und Früherkennung psychosozialer Krisen Gewaltexzesse zu verhindern? Und: Wie können wir Ärztinnen und Ärzte zur bestmöglichen Behandlung der Überlebenden und ihrer Angehörigen beitragen?“
Die Antwort liegt in der Struktur: Es brauche ein flächendeckendes Angebot, das sowohl auf Prävention als auch auf Behandlung ausgerichtet ist, sind sich die Experten einieg.
„Die derzeitige Versorgungslage zeigt deutlich: Es besteht enormer Handlungsbedarf“, so Steinhart. Er verweist auf die Wartezeitenstudie des vergangenen Jahres: In der Kinder- und Jugendpsychiatrie warten Betroffene im Schnitt 90 Tage auf einen Therapieplatz – akute Fälle ausgenommen. 40 Prozent der Ordinationen nehmen derzeit keine neuen Patientinnen und Patienten mehr auf. Etwas besser, aber immer noch kritisch, ist die Lage in der Erwachsenenpsychiatrie: Dort liegt die durchschnittliche Wartezeit bei 37 Tagen, 20 Prozent der Ordinationen sind ausgelastet.
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