Mein Mann nimmt Potenzmittel. Bin ich nicht mehr attraktiv?

Ab 40 reduziert sich der  Testosteronspiegel
Wenn der Mann zu Potenzmittel greift, ist die Frau oftmals verunsichert. Dr. Leben gibt Rat.

Leserin Sonja (61) fragt: 

Ich dachte immer, dass unser Sexleben in Ordnung ist. Natürlich haben wir nicht mehr so häufig Sex wie früher, aber ich war der Meinung, dass es im Vergleich zu anderen Paaren in unserem Alter sehr gut funktioniert, zumindest noch in den letzten zwei Jahren.  Nun habe ich im Badezimmerschrank meines Mannes eine offene Schachtel Potenzmittel entdeckt. Offenbar nimmt er eine Pille, bevor sich Geschlechtsverkehr bei uns anbahnt. Ich hatte nie bemerkt, dass er Potenzprobleme haben könnte. Jetzt habe ich Zweifel. Warum spricht er nicht mit mir darüber? Bin ich nicht mehr attraktiv?

Dr. Leben antwortet: 

Liebe Sonja, das Sexleben verändert sich ständig – sowohl die Wünsche und Emotionen einer Frau als auch die Intensität des sexuellen Verlangens bei Männern. Das ist ein natürlicher Prozess, der in jeder langjährigen Beziehung vorkommt. Oft geht es nicht um fehlende Attraktivität, sondern um körperliche und emotionale Veränderungen, die das sexuelle Erleben beeinflussen. Viele Frauen setzen eine ausbleibende Erektion mit eigener mangelnder Attraktivität gleich. Doch in den meisten Fällen spielen andere Faktoren eine Rolle. Es gibt viele biologische, psychische und beziehungsbedingte Einflüsse, die eine Erektion beeinträchtigen können. Einige häufige Gründe dafür sind:

  • Gewohnheit und Wahrnehmung des Nervensystems

Unser Nervensystem nimmt Veränderungen stärker wahr als Beständigkeit. In langen Beziehungen nimmt die Vertrautheit zu, wodurch der Reiz des Neuen nachlässt. Das bedeutet jedoch nicht, dass keine Anziehung mehr vorhanden ist, sondern dass neue Impulse wichtig sind, um das erotische Interesse lebendig zu halten.

  • Verliebtheit wird zur Bindung

Nach zwei bis drei Jahren wandelt sich eine „verliebte“ Beziehung in eine Bindungsbeziehung. Die Gefühle zwischen Partnern ähneln dann denen, die wir gegenüber engen Familienmitgliedern empfinden. Das sogenannte Inzesttabu sorgt evolutionär dafür, dass wir Bindungspartner sexuell weniger anziehend finden. Dadurch kann sich das sexuelle Verlangen in einer langfristigen Beziehung verringern.

  • Testosteron und Alter

Mit zunehmendem Alter sinkt der Testosteronspiegel, was sich auf die Libido auswirkt. Männer erleben ab 40 Jahren einen Rückgang dieses Hormons, was zu einer verminderten sexuellen Leistungsfähigkeit führen kann. Zusätzlich kann eine verminderte körperliche Aktivität diesen Effekt verstärken. Viele Männer nehmen Potenzmittel nicht aus Mangel an Begehren, sondern um sich ihrer sexuellen Leistungsfähigkeit sicher zu sein.

  • Cortisol:  Gegenspieler von Testosteron

Stress erhöht die Ausschüttung von Cortisol, das die Testosteronproduktion hemmt – und damit auch die Lust und Leistungsfähigkeit des Mannes reduziert. Dauerhafter Stress führt häufig zu einer verringerten Libido und kann körperliche Reaktionen wie eine ausbleibende Erektion verstärken. Gerade wenn Männer sich unter Druck setzen, „funktionieren“ zu müssen, kann das den Druck zusätzlich erhöhen.

Einordnung der Situation

Ihr Mann hätte die Potenzmittel vielleicht besser verstecken sollen – dann hätten Sie eine stabile Erektion Ihrer eigenen Attraktivität zugeschrieben, was sich wahrscheinlich positiver auf Ihr Selbstbild ausgewirkt hätte. 
Doch statt es als Zeichen mangelnder Anziehung zu sehen, könnten Sie es als Ausdruck seines Bemühens um Ihr gemeinsames Sexleben betrachten. Er sorgt bewusst dafür, dass Ihre Sexualität lebendig bleibt, indem er Unterstützung in Anspruch nimmt. Wenn er Sie nicht mehr attraktiv fände, hätte er sich vielleicht zurückgezogen oder nach anderen Sexualpartnerinnen umgesehen. Stattdessen möchte er aktiv etwas für Ihr Liebesleben tun und sich für Ihre gemeinsame Sexualität engagieren.
Viel wichtiger als die Frage, was eine Erektion unterstützt, ist die Frage, ob Sie sich in Ihrer Intimität wohlfühlen und ob beide Partner ihre Bedürfnisse offen kommunizieren können. Wenn das der Fall ist, spielt es keine Rolle, welche Hilfe dabei nötig ist. Entscheidend ist, dass Sie beide eine erfüllte Beziehung führen, die für Sie beide glücklich und bereichernd bleibt. 

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