Michael Musalek: Es ist nie zu spät - vom Mut, sich neu zu denken

Ich bin halt so. In meinem Alter kann ich mich nicht mehr ändern: Viele Menschen sind überzeugt, dass es im höheren Alter eine Art „Entwicklungsstopp“ gibt. Rien ne va plus, nix geht mehr. Dahinter steckt das Bild eines starren Wesens mit fest verdrahtetem Gehirn. Das ist völlig falsch. Neurobiologisch betrachtet ist es ein lebendiger Organismus: Zellen erneuern, Synapsen vernetzen sich immer wieder anders, Reize formen uns ständig um. Erst vor kurzem wurde eine neue Studie des Karolinska-Instituts im Fachjournal Science veröffentlicht. Sie zeigt: Im menschlichen Hippocampus – jener Hirnregion, die für Lernen, Gedächtnis und emotionale Verarbeitung zuständig ist – entstehen auch im hohen Alter noch neue Nervenzellen. Diese Erkenntnis untermauert eindrucksvoll, dass unser Gehirn ein dynamisches, formbares Organ bleibt. Lebenslang. Und sie widerlegt endgültig das überholte Bild vom starren Erwachsenengehirn. Veränderung ist also kein Privileg der Jugend. Sie ist eine Fähigkeit, die unser Menschsein ausmacht. Wir sind die einzigen Lebewesen, die bewusst sagen können: Ich gestalte mein Leben anders. Natürlich: Je mehr wir uns eingerichtet haben, desto schwerer fällt es, die Komfortzone zu verlassen.
Veränderung braucht Mut, weil sie immer auch Instabilität mit sich bringt. Deshalb passiert sie oft erst in Krisen, wenn wir herausgeschleudert werden aus dem, was vermeintlich trägt. Wir können dann zurück ins Alte flüchten oder Neues wagen. Krankheit – vor allem psychische – ist da oft ein Katalysator. Menschen, die etwa eine Depression überwunden haben, berichten von einer neuen Tiefe im Leben, von Klarheit, von neuer Lust am Wandel. Wenn der Antrieb zurückkehrt, wenn Freude wieder spürbar wird, entsteht Raum für neue Entscheidungen. Begegnung kann aber ebenso Veränderung bewirken. Wer sich öffnet, wird verletzlicher, aber auch lebendiger. Wer hingegen sein Ich mit starren Mauern schützt, bleibt unberührt, im doppelten Sinn. Veränderung braucht deshalb vor allem eines: Offenheit. Und Mut, anderen Menschen wirklich zu begegnen. Die Bereitschaft, sich irritieren zu lassen. Sowie das Vertrauen darauf, dass Neues möglich ist. Wir müssen nicht warten, bis das Leben uns zwingt. Wir dürfen wählen.
Gestaltend eingreifen
Als Menschen sind wir zur bewussten Weltgestaltung (Kosmopoiesis) fähig. Zur Kosmopoesie wird dieser menschlich schöpferische Akt, wenn wir mit ihm nicht nur irgendeine Ordnung, sondern auch Sinn und Schönheit in die Welt setzen. Gerade in Zeiten der Polarisierung und Reizüberflutung braucht es das. Wenn wir uns ihr verschließen, verliert die Welt an Bedeutung, Sinn, Farbe, Schönheit. Deshalb: Bleiben wir offen. Für den Zauber. Für das Schöne und Sinnvolle. Gerade, wenn wir uns belastet oder bedroht fühlen, müssen wir Schönes in die Welt setzen, um daraus jene Kraft zu schöpfen, die es uns erlaubt, unsere kosmopoetischen Möglichkeiten zum eigenen und zum Wohl aller auszuleben.
Kommentare