Michael Musalek: Warum Gegensätze mehr sind als Schwarz und Weiß

Sommergespräch mit Michael Musalek
Plädoyer für Vielfalt. Warum Polaritäten keine Feinde sind und wie Wohlwollen hilft, echte Verbindungen zu schaffen.

Kommt Ihnen das bekannt vor? Man surft entspannt im Smartphone und landet in einer dieser typischen Social-Media-Situationen: Jemand hatte etwas gepostet, das nicht der eigenen Meinung entspricht, schon ist man geneigt, zu antworten – scharf oder gar angriffig. Ein guter Moment, erst einmal durchzuatmen und nachzudenken, um, jenseits erster Impulse, zu reagieren. Oder gar nicht.

Denn ja: Das Leben ist voller Polaritäten – und wir verwechseln diese gern mit unversöhnlichen Gegensätzen. Schwarz oder Weiß. Ja oder Nein. Für oder gegen. Unsere Sprache liebt das Entweder/Oder. Dabei könnten wir viel vom asiatischen Denken lernen, wo man nicht von Gegensätzen spricht, sondern von Distanzen: Etwas ist näher dran oder weiter weg – beides kann existieren, ohne sich gegenseitig auszulöschen. Zwischen Schwarz und Weiß, heißt es, liege Grau. Ich sage: Dort liegen alle Farben der Welt. Das bunte, komplexe, lebendige Leben. Wer nur an den Polen klebt, verpasst die Musik dazwischen – und jene Entwicklung, die erst durch die Spannung zwischen zwei Themen entsteht. Wie in einer Symphonie: Zwei Themen stehen als Stimmen nebeneinander, die zusammen etwas Neues erschaffen. Im Englischen heißt dieser Mittelteil „Development“ – Entwicklung. Genau dort spielt sich das Leben ab, im Sinne von Bereicherung. Wer also versucht, der Realität anderer Menschen mit einer gewissen Offenheit zu begegnen, hat die Möglichkeit, die eigene Sicht kritisch zu prüfen (was nicht bedeuten muss, die eigene Haltung aufzugeben!).

Wohlwollen – ein fast vergessenes Wort

Das Internet macht genau das so viel schwieriger. Da bewegen wir uns in Filterblasen, werden ständig bestätigt und halten so die eigene Sichtweise für die einzig gültige. Wer widerspricht, wird als dumm oder bösartig abgetan. Das fördert keine Entwicklung, es erstickt sie. Konfliktkultur verkommt zum Schlagabtausch. Dabei ist Konfliktfähigkeit eine Kulturtechnik. Ein Streit muss kein Krieg sein, er kann in ein konstruktives Gespräch münden – getragen von einem fast vergessenen Wort: Wohlwollen. Es bedeutet, dem anderen zunächst Redlichkeit zu unterstellen, nicht sofort zu werten, nicht sofort bekehren zu wollen. 

Auf dieser Basis ins Gespräch zu kommen heißt: nicht den anderen von meiner Meinung überzeugen zu wollen, sondern zuzuhören, um zu verstehen, warum dieser zu einer so anderen Sicht kommt. Es wäre so wünschenswert, könnten wir genau das wieder lernen, im Alltag, in den Medien, in der Politik. Demokratie lebt nur, wenn sich Menschen mit einem Grundwohlwollen begegnen. Spannung kann auch fruchtbar sein, wir müssen den anderen Pol nicht vernichten, wir sollten ihn aushalten – und nutzen. Vielleicht ist das die eigentliche Kunst: die Pole stehen lassen, die Distanz wahrnehmen, die Farben dazwischen sehen. Dort, im Raum des Dazwischen, wird vieles möglich, was an den Extremen unmöglich scheint. Und genau dort möchte ich leben.

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