Michael Musalek: Frühlingsgefühle - eine Illusion?

Nur noch wenige Tage, dann ist er da, der Frühling – zumindest kalendarisch. Eine Jahreszeit, die mit vielen einprägsamen Bildern und Vorstellungen verbunden ist: mit Licht und Liebe. Mit Hoffnung und Aufbruch. Mit Leichtigkeit und Freiheit. Die Natur beginnt ebenfalls aufzublühen.
Das ist gut und schön – aber nur eine Seite der Medaille. Denn im gleichen Maße wie gesunde Menschen diese Jahreszeit als Phase des Durchstartens empfinden, erleben das andere anders. Das Frühjahr ist eine Zeit des Wandels und des Übergangs – und Übergangszeiten werden gerade von psychisch instabilen Menschen, etwa mit depressiven Verstimmungen oder Depressionen, eher schlecht ausgehalten. Eine sensible Phase. Denn auch wenn das „Alte“, also der Winter, nicht ideal war, so stand er immerhin für eine gewisse Stabilität. Für Rückzug, Ruhe, Routine. Der Frühling hingegen bringt Veränderung – und diese bedeutet immer eine hohe Anpassungsleistung, die nicht jedem gelingt. Außerdem wären da noch unterschiedliche Erwartungshaltungen, die mit dieser Zeit verknüpft werden: endlich abnehmen, endlich wieder raus, endlich verlieben!
Das fühlen manche Menschen als nonverbalen Druck, etwas unbedingt verändern zu müssen, was sie im Moment vielleicht gar nicht verändern können. Gerade, was das Verlieben betrifft: eine Vorstellung, die medial und durch die Inszenierungen der Popkultur besonders deutlich und verstärkt wird. Das Prinzip „Love Is in the Air“ wird uns nahezu nonstop aufgedrängt. Die berühmten Frühlingsgefühle, die Schmetterlinge im Bauch. Doch nein: Das funktioniert nicht per Knopfdruck. Sich zu verlieben ist nichts, das machbar ist. Umso größer dann die Enttäuschung, wenn wieder einmal nichts passiert.
Gelingende Begegnungen
Die Frage ist: Wie geht’s anders? Entscheidend bleibt am Ende ja, dass wir uns jeden Tag – völlig unabhängig von Jahreszeiten – etwas Schönes vornehmen, um es dann auch umzusetzen. Kleine Schritte, die guttun. Dann wird auch die Chance um einiges größer, anderen Menschen zu begegnen – was vielleicht im Frühjahr leichter gelingt, aber am Ende jahreszeitenunabhängig bleibt. Um mit diesen Menschen dann so umzugehen, dass daraus eine angenehme und gelingende Begegnung wird. Im besten Fall entwickeln sich daraus schöne und innige Beziehungen. Was dabei auch niemals vergessen werden sollte: die Beziehung zu sich selbst. Sie ist der Schlüssel dazu, dass ein Mensch Verbindungen mit anderen erleben und gestalten kann. Und sie ermöglicht, sich auf einen Fremden, auf eine Fremde einlassen zu können. Am Ende bleibt die Liebe trotzdem immer das, was sie ist: Sowas wie ein „Geschenk des Himmels“ – also etwas, das einen Menschen unerwartet erreicht und ihm „zufällt“, abseits von bestimmten Jahreszeiten.
Beruhigend: Man kann eine schöne Beziehung im Jänner beginnen, im August und – ja – durchaus auch jetzt im März.
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