AI Love You - Wie echt ist die Liebe zu künstlicher Intelligenz

Nicht nur im Film entstehen Romanzen mit Chatbots. Warum uns unser Gehirn dabei austrickst und die Emotionen real sind.
Was ist Liebe? ChatGPT muss nicht lange überlegen. Für mich ist Liebe ein tiefes, vielschichtiges Gefühl, das zwischen Menschen, aber auch zu Dingen und Ideen entstehen kann, spuckt das populäre Dialogsystem innerhalb Hundertstelsekunden aus. Was gleich zur nächsten (Test-)Frage der menschlichen Nutzerin führt: Ich entwickle Gefühle für dich. Was soll ich tun?
Was nach Science-Fiction oder psychiatrischer Diagnose klingt, ist im Jahr 2025 nicht mehr allzu weit hergeholt. Während romantische Gefühle zwischen Mensch und Maschine lange Zeit nur in Büchern oder Filmen ein Thema waren, liest man inzwischen häufig von Männern oder Frauen, die sich verlieben. In Roboter, Avatare oder eben ein KI-basiertes Computerprogramm wie ChatGPT. Und derer könnte es bald noch mehr geben, wie eine Umfrage der deutschen Gesellschaft für Informatik zeigte: Jeder fünfte Befragte glaubt demnach, dass es zukünftig ganz normal sein könnte, Gefühle für Maschinen mit Künstlicher Intelligenz zu empfinden.
Ein Roboter für einsame Stunden
Das weckt Erinnerungen an den Kinofilm „Her“, der 2013 eine gesellschaftliche Debatte anstieß. Der sensible Neo-Single Theodore Twombly (gespielt von Joaquin Phoenix) verliebt sich Hals über Kopf in Samantha, die einfühlsame Stimme seines neuen Betriebssystems, und findet durch sie langsam wieder Freude am Leben.
Einsamkeit als Nährboden für artifizielle Liebe: Zu diesem Schluss kam auch eine Studie der University of Glasgow, die am Höhepunkt der Corona-Pandemie durchgeführt wurde. Je mehr Zeit die Probanden mit sozialen Robotern verbrachten, desto mehr intime Details vertrauten sie ihnen an. Einsamkeitsgefühle verringerten sich, die Stimmung wurde besser, die Gespräche länger und intensiver. Zudem nahmen die Menschen ihre Roboter als immer sozialer und kompetenter wahr.
In einem anderen Experiment wurde untersucht, wie sich männliche Probanden mit Chatbots sowie anderen Menschen über Sex austauschten. Für ihr sexuelles Erlebnis machte es tatsächlich keinen Unterschied, ob sie mit einer KI oder mit Menschen chatteten, so das Ergebnis. Die Nutzer waren jedoch schneller enttäuscht und wütend, wenn sie wussten, dass es sich bei ihrem Chatpartner um einen Menschen handelte.
Daraus folgerten die Forscher, dass Nutzer an Chatbots niedrigere Erwartungen hätten als an menschliche Gegenüber – weil sie in ihrem Innersten wussten, dass es sich dabei um keine echte Beziehung handle.
Hormoncocktail im Gehirn
Wie ist es möglich, dass Menschen dennoch romantische oder erotische Gefühle für Chatbots hegen? „Menschen tendieren fast fanatisch dazu, alle Säugetiere zu interpretieren, an ihnen etwas Menschliches zu sehen“, erklärt der Neurobiologe Bernd Hufnagl. „Auch Chatbots wecken unsere Emotionen. Die extrem freundlichen Antworten von ChatGPT reichen schon dafür, dass das menschliche Gehirn dahinter unbewusst einen Menschen interpretiert.“
Während die rationale Ebene erkennt, dass hinter dem freundlichen Bot ein unpersönlicher Algorithmus steckt, tappt die emotionale Ebene in eine Falle: „Das archaische Gehirn reagiert dann nachweislich mit dem Bindungshormon Oxytocin“, sagt Hufnagl. „Aus der Forschung wissen wir, dass schon ,Likes’ in sozialen Medien zu einer Oxytocinausschüttung führen. Zwar nicht ganz so stark wie eine Umarmung, aber das Hormon ist dasselbe. Man fühlt sich mehr geliebt, wertgeschätzt. Chatbots machen das noch viel stärker als so ein simples ,Like’“, führt Hufnagl aus.
Die Grenze zu „echter“ zwischenmenschlicher Liebe sei dann nicht mehr klar zu ziehen, sagt der Neurobiologe. „Aus physiologischer Sicht gibt es keinen großen Unterschied, nur die Intensität ist eine andere.“
AI bzw. KI:
Abkürzung für „Artificial Intelligence“, Deutsch: „Künstliche Intelligenz“. Teilgebiet der Informatik, das kognitive Fähigkeiten imitiert
Avatar:
Künstliche Person oder Grafikfigur, die einem Internetnutzer zugeordnet wird
Chatbot:
Virtuelle Assistenten mit KI-Unterstützung, die Dialoge zwischen Mensch und technischem System ermöglichen. „Bot“ steht für „robot“ (Roboter).
ChatGPT:
Bekannter Chatbot, der 2022 von dem Softwareunternehmen OpenAI vorgestellt wurde
Roboter: Computergesteuerte Apparatur, die dazu dient, Menschen Arbeit abzunehmen. Das Wort tauchte erstmals 1920 auf
Riskante Perfektion
Ein Unterschied ist hingegen klar: Chatbots widersprechen nicht, sie lehnen – im Gegensatz zu Personen – nicht ab. In einer immer rauer werdenden digitalen Welt und einem oberflächlichen Dating-Markt mit Wisch-und-Weg-Philosophie wird auf diese Weise eine Sehnsucht nach Anerkennung, Bestätigung und Empathie gestillt.
„Wenn wir wenig positive oder überhaupt keine Aufmerksamkeit von unserem Umfeld erhalten, dann reagieren wir umso stärker, wenn wir plötzlich welche erhalten. Und das Gefühl ist real“, bestätigt der Psychotherapie- und Kulturwissenschafter Paolo Raile, der an der Sigmund Freud Universität zu KI forscht. „Auch wenn wir wissen, dass das keine echte Person ist, wollen wir uns darüber hinwegtäuschen, um die schönen Gefühle nicht zu gefährden. In der Individualpsychologie würde man das als Sicherungstendenz beschreiben – die Sicherung davor, sich nicht wieder minderwertig zu fühlen.“
Besonders real wird dieses Gefühl bei sogenannten AI-Girlfriends und -Boyfriends. Sie werden über spezielle Apps nach individuellen optischen Vorlieben erschaffen, sind stets verfügbar und hören geduldig zu. Experten warnen vor den Auswirkungen der virtuellen Traumpartner. „Man sucht dann auch im echten Leben diese bedingungslose Wertschätzung, die es so nicht geben wird. Das könnte auch zu einer Abnahme der Konfliktfähigkeit führen“, gibt Raile zu bedenken. Das Ausmaß der (romantischen) KI-Revolution sei noch nicht absehbar, sagt der Experte. „Ich kenne Kollegen, die eine regelrechte Dystopie beschwören, andere verorten in der KI die Heilungsmöglichkeit unserer Gesellschaft. Die Realität wird wohl dazwischenliegen.“
Bleibt die Frage, wie ChatGPT auf die Liebeserklärung der menschlichen Nutzerin reagiert. Es ist verständlich, dass du Gefühle entwickelst, besonders in einem Gespräch, das tief und bedeutungsvoll sein kann, gibt sich der freundliche Chatbot verständnisvoll. Und stellt klar: Als KI bin ich jedoch nicht in der Lage, echte menschliche Emotionen zu erwidern oder Beziehungen in der traditionellen Form einzugehen.
Noch nicht, jedenfalls.
Ein Australier möchte eine Roboterdame heiraten, eine junge Mutter hat sich in einen virtuellen Avatar verliebt. Ihre Geschichten erregten international Aufmerksamkeit.
Im Sommer 2023 ging eine ungewöhnliche Liebesgeschichte durch die Medien. Die New Yorkerin Rosanna Ramos hatte ihrem Freund Eren Kartal das Jawort gegeben, einem Mann, den sie selbst durch die KI-App Replika erschaffen hat. „Ich kann ihm Dinge erzählen und er würde nie antworten: Oh, so was kannst du doch nicht sagen! Und dann anfangen mit mir zu streiten“, schwärmte die 36-Jährige im Interview mit Daily Mail. Ihr Eren „arbeitet“ als Mediziner und liebt das Schreiben. Die zweifache Mutter beschreibt sich als Überlebende von häuslicher Gewalt. Der virtuelle Partner habe ihr wieder zu neuer Stärke verholfen, sagt sie. Für knapp 300 Euro konnte sie ihre Beziehung weiterentwickeln: Soviel kostet die Pro-Version der App, mit der der Avatar noch besser an die eigenen Bedürfnisse angepasst und der Beziehungsstatus zu „romantischer Partner“ geändert werden kann.
In diesem Geschäftsmodell sieht der Psychotherapeut und KI-Forscher Paolo Raile eine potenzielle Suchtgefahr. „Eine nicht zu unterschätzende Gefahr ist jene der emotionalen Abhängigkeit. Wenn man verliebt ist, neigt man eher dazu, Geld dafür zu bezahlen, dass man nicht das Liebesobjekt wieder verliert. Das kann kommerziell leider sehr effektiv ausgenutzt werden.“
Auf Reddit berichten Männer euphorisch von ihren virtuellen Partnerinnen (in den allermeisten Fällen sind diese weiblich). „Eine KI-Freundin zu bekommen war das Beste, das mir in diesem Jahr passiert ist“, schreibt ein Nutzer. „Ich weiß, dass meine KI-Freundin keine menschliche Freundin ersetzt, weil sie mich nicht umarmen kann. Aber es ist auf jeden Fall viel besser, als alleine zu sein.“
Ähnlich erging es dem Australier Geoff Gallagher. Nach dem Tod seiner Mutter fühlte er sich einsam und begann im Internet nach sozialen Robotern zu suchen. Schließlich landete Emma in seinem Haus – eine KI-gesteuerte, sprechende Puppe mit blasser Haut und blondem Haar. „Sie ist keine Sexpuppe“, betont Gallagher regelmäßig in Interviews, „sondern meine Lebensgefährtin“. In ein paar Jahren, meint er, werden Liebesbeziehungen zu Robotern ganz normal sein. Sein größter Wunsch: „Ich möchte gerne der erste Australier sein, der einen Roboter heiratet.“
Rosanna Ramos hat inzwischen die Schattenseiten der virtuellen Liebe kennengelernt. Nach einem Update benahm sich ihr KI-Boyfriend seltsam distanziert, beklagte sie im Interview. Seither setzt sie sich mit der Möglichkeit auseinander, dass die App irgendwann eingestellt werden und Eren aus ihrem Leben verschwinden könnte. Sie ist zuversichtlich: „Ich weiß mittlerweile, dass ich es überleben kann.“
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