Forschung: Kommt das Impfpflaster statt der Spritze?

Team des Wiener Biotechnologie-Start-up Cutanos
Das Wiener Biotechnologie-Start-up Cutanos forscht an gezielter Wirkstoffübertragung, um innovative Therapien zu entwickeln, die bestimmte Zellen oder Gewebe präzise adressieren.

Langerin, Ligand, Langhans – was sich wie ein Auszug aus dem Lexikon der populären Vornamen mit L liest, ist ein Teil intensiver, langjähriger Grundlagenforschung. Und das Alltagsgeschäft des Biotechnologen Prof. Christoph Rademacher. Hinter diesen Begriffen steht die Forschung nach einem innovativen Ansatz zur gezielten Wirkstofffreisetzung, genannt „Targeted Drug Delivery“. Simpel ausgedrückt geht es dabei um die passgenaue Anlieferung von Wirkstoffen in die jeweils dafür bestimmte Zelle.

Rademacher, der aufgrund dieses erfolgreichen Forschungsansatzes im Jahr 2021 das Biotechnologie-Start-up CUTANOS gegründet hat, entwickelte mit seinem Team eine entsprechende Technologie: Ein Wirkstoff gelangt dabei direkt in die Zielzelle – ohne Umwege, aber mit deutlich weniger Nebenwirkungen.

Die Wissenschaftler haben dabei eine besondere Zellgruppe in der Haut im Visier: die Langerhans-Zellen. Warum diese Immunzellen so spannend sind, wie man sie mit maßgeschneiderten Molekülen beeinflussen kann – und welche Hoffnung das für künftige Therapien bringt (Stichwort: Impfpflaster statt Spritze) –, erklärt er im Gespräch mit KURIER leben.

KURIER leben: Herr Professor Rademacher, was versteht man genau unter Molecular Drug Targeting and Delivery?

Prof. Dr. Christoph Rademacher: Molecular Drug Targeting and Delivery oder wie man auf Deutsch sagen könnte, die zielgerichtete Verabreichung von Wirkstoffen, beschreibt einen modernen Ansatz in der Medizin, bei dem Medikamente nicht einfach überall in den Körper gelangen, sondern ganz gezielt zu den Zellen oder Organen gebracht werden, genau dorthin, wo sie tatsächlich gebraucht werden – sozusagen mit einem molekularen Navigationssystem.

Dann machen wir gleich weiter mit der Erklärung des molekularen Navigationssystems?

Ein molekulares Navigationssystem kann man sich vorstellen wie einen hoch spezialisierten Adressaufkleber für Medikamente. In unserem Fall handelt es sich um ein kleines Molekül, das wir im Zuge unserer Forschung entwickelt haben. Einen sogenannten Liganden. Man kann sich das wie einen Schlüssel vorstellen, der nur in ein ganz bestimmtes Schloss passt. Unser Ligand bindet ausschließlich an die sogenannten Langerhans-Zellen in der Haut. Das sind wiederum spezialisierte Immunzellen, die eine Art erste Verteidigungslinie unseres Körpers darstellen.

Der Ligand ist ein Bote?

Wenn wir im Vertriebsjargon reden, dann würde ich eher sagen der Logistiker, durch den der Wirkstoff ans richtige Ziel gelangt. Wenn wir also einen Wirkstoff, wie zum Beispiel ein Antigen für eine Impfung, mit diesem Liganden versehen, wird dieses „Wirkstoffpäckchen“ vom Körper nicht irgendwohin verteilt, sondern geht gezielt dorthin, wo es wirken soll. In unserem Fall: zu den Langerhans-Zellen in der obersten Hautschicht. Das ermöglicht wiederum, kleinere Wirkstoffmengen einzusetzen, die effektiver sind und mit weniger Nebenwirkungen arbeiten.

Warum ausgerechnet die Langerhans-Zellen, was ist daran das Besondere?

Zunächst ein wichtiger Punkt zur Klarstellung: Langerhans-Zellen haben nichts mit den Langerhans-Inseln in der Bauchspeicheldrüse zu tun, die Insulin produzieren. Beide Zelltypen sind zwar nach dem gleichen Mediziner, Paul Langerhans, benannt, übernehmen im Körper aber völlig unterschiedliche Aufgaben. Langerhans-Zellen befinden sich in der obersten Schicht der Haut und übernehmen dort eine Art Frühwarnsystem. Sie erkennen Krankheitserreger wie Viren, Bakterien oder andere Fremdstoffe, nehmen sie auf, zerlegen sie und leiten die Information an andere Immunzellen weiter. So wird eine gezielte Abwehrreaktion ausgelöst.

Das Besondere: Diese Zellen sind über die Haut direkt zugänglich – etwa durch ein Pflaster, eine Creme oder winzige Mikronadeln. Genau hier setzen wir an. Weil die Zielzellen so leicht erreichbar sind, kann zum Beispiel ein Impfstoff dort wirken, wo er sofort erkannt wird. Das macht die Immunantwort besonders effizient. Schon mit einer geringen Dosis lässt sich eine starke Wirkung erzielen – ein großer Vorteil, vor allem wenn Impfstoffe knapp sind.

Das klingt nach einer Alternative zur klassischen Spritze?

Genau das ist unser Ziel. Die Verabreichung über die Haut ist nicht nur effektiver, sondern auch angenehmer – besonders für Menschen mit Nadelangst. Weltweit betrifft das eine nicht unbeachtliche Anzahl (Anm.: Je nach Ausprägung der Angst und laut unterschiedlichen Studien zwischen drei und 60 Prozent). Mit unserer Methode können Impfstoffe durch ein schmerzfreies Pflaster, eine Creme oder Mikronadeln verabreicht werden, die man kaum spürt. Das senkt die Hemmschwelle erheblich. Für uns ist klar: Medizinische Innovation muss nicht nur funktionieren, sie muss auch im Alltag praktikabel sein.

Wann könnten wir tatsächlich Impfungen ohne Spritze erleben?

Wir stehen kurz vor dem nächsten Meilenstein. Derzeit befinden wir uns in der präklinischen Testphase. Das heißt: Wir testen die Wirksamkeit unseres Systems – also des mit Impfstoff beladenen Moleküls – bei Tieren, vor allem Mäusen. Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend: Die gezielte Aktivierung des Immunsystems funktioniert, und das mit deutlich weniger Impfstoff als bei herkömmlichen Methoden. Parallel bereiten wir bereits die nächsten Schritte vor: die klinischen Studien am Menschen. Dafür brauchen wir weitere Partner und Investoren, aber wir sind optimistisch. Ich rechne damit, dass wir in den nächsten Jahren erste Tests mit Freiwilligen starten können. Bis ein Pflaster oder eine Salbe tatsächlich für den Markt zugelassen ist, wird es aber noch weitere Jahre dauern – das ist bei neuen medizinischen Verfahren ganz normal.

Aber die Vision ist klar: eine neue, einfache Art des Impfens – direkt über die Haut, ohne Angst, ohne Nadeln.

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