Keine Einbildung: Hypochonder leiden wirklich!

Man sits on the sofa and is afraid of viruses from a sneezing or coughing person passing by. Virus attack, epidemic concept.
Doktorhopping, Selbstuntersuchungen und ständige Nervosität: Eine Expertin erklärt die Ursachen für Hypochondrie und wie Betroffene ihre Sorgen loswerden.

Von Petra Koruhn

Aus Angst, schwer erkrankt zu sein, suchen viele immer wieder Ärzte auf. „Manchmal sogar täglich“, sagt Vanessa Opladen, Psychologische Psychotherapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Osnabrück. Klassischer Fall von Doktorhopping. Hypochonder, im Volksmund auch „eingebildete Kranke“, werden gern belächelt. Aber die Betroffenen stehen unter „enormem Leidensdruck“, so die Expertin.

Bei der Hypochondrie gehe es um die Angst vor schlimmen Erkrankungen, besonders häufig vor Krebs. Oft sei eine ausgeprägte Selbstuntersuchung die Folge, wie bei diesem jungen Mann: Weil er glaubte, bösartige Knubbel unter der Haut gespürt zu haben, „tastete er sich so fest ab, dass er überall blaue Flecken entwickelte“, so Opladen. Bizarr seien auch diese Situationen: „Eine Frau berichtete über ihre Vorstellung, wie sich der Krebs durch den Oberschenkel frisst.“ Und ein Mann erzählte der Therapeutin, dass er ganze Wochenenden im Auto verbracht habe, „weil sein Bruder glaubte, er würde möglicherweise einen Schlaganfall erleiden, sodass sie sofort in die Notaufnahme fahren müssen“.

Hohe Dunkelziffer

Man geht davon aus, dass etwa ein Prozent der Bevölkerung unter der sogenannten Krankheitsstörung leidet. Die Dunkelziffer könnte höher liegen. Meist erkranken die Menschen zwischen 20 und 30 Jahren. „Wobei neulich auch ein sehr junger Mann bei mir war“, berichtet Opladen, eine der Studienleiterinnen des Forschungsprojekts „Krankheitsangst“ an der Uni Osnabrück. „Er hatte extreme Angst, zu ersticken. Aber als wir zusammen erarbeiteten, wann und wie man überhaupt erstickt, erkannte er, dass das alles bei ihm gar nicht zutrifft.“ Die Ratio schaffe es sehr oft, irrationale Gedanken zu zügeln. Manchmal steigerten sich Betroffene geradezu in die Krankheit hinein. Opladen spricht von einer Frau (42), die erst davon überzeugt war, Brustkrebs zu haben. Dann Darmkrebs, dann Hautkrebs. „Sie hatte ihren Körper täglich mehrere Stunden untersucht, hat Fotos von für sie auffälligen Stellen gemacht und diese dann mit Bildern aus dem Internet verglichen.“ Ärzten, die ihr sagten, alles sei im Normbereich, vertraute sie nicht. „Ihr Leben drehte sich nur noch um die Krankheit, und dabei war sie voll berufstätig.“

Vielfältige Gründe

Traumatische Erlebnisse, zu denen auch der Verlust eines geliebten Menschen zählt, seien nicht selten Auslöser. „Die Gründe sind vielfältig. Und vor allem sehr individuell. Nie ist nur ein Faktor alleine der Grund.“ Auch Stress, vor allem im Beruf, gehört dazu. „Wenn man nur noch arbeitet, kann es sein, dass der Körper reagiert, um über diese Symptome auf sich aufmerksam zu machen.“

Weitere Faktoren für eine Störung könnten auch Erlebnisse aus der Kindheit sein. Wie etwa Spitalsaufenthalte. Auch könnten Menschen, die beim Arzt schlechte Erfahrungen gemacht haben, Angststörung entwickeln, vor allem, wenn es zu Fehldiagnosen gekommen war.

Wissen aneignen

Was also kann man tun gegen die Hypochondrie? Ein erster Schritt sei die Krankheitsaufklärung, so Opladen. Zusammen mit dem Patienten gehe sie dann die Symptome der eigentlichen Krankheit durch. „Allein durch diese Information, durch das Wissen über die Krankheit, lernen die Patienten schon, dass es im schlimmsten Fall wirksame Therapien gibt.“ Oder dass sie vielleicht doch gar nicht betroffen sind, weil sich die Symptome doch nicht mit denen decken, die sie an sich beobachtet haben.

In einem weiteren Therapieschritt werde dann – mittels Gesprächen oder Entspannungstechniken – versucht, das Gedankenkarussell zu stoppen. Und dann stehe das Erlernen eines anderen Verhaltens an: „Man macht zum Beispiel mit den Patienten aus, nur noch einmal im Monat zum Arzt zu gehen. Ich arbeite dann mit den Hausärzten zusammen, damit der auch Bescheid weiß.“

Wie die Diagnose und die Therapiemaßnahmen zusammenwirken, zeigt sich auch an diesem Beispiel: „Ich erinnere mich an einen Patienten. Er war schon über 80 Jahre alt und hatte fürchterliche Angst vor Hautkrebs, aber auch vor Herzinsuffizienz.“ Der alte Herr habe nicht viel über diese Erkrankungen gewusst. „Das haben wir dann nachgeholt.“

Krankheit üben

Und im praktischen Teil? „Da haben wir körperliche Übungen gemacht, um die Symptome, die ihn in Angst versetzt hatten, sozusagen zu provozieren.“ Und das habe funktioniert. „Weil der Patient gemerkt hatte, dass sich das, was er da spürte, wie Herzinsuffizienz anfühlte. Aber es war ja nur eine Folge der Übungen. Allein diese Erkenntnis konnte seine Angst minimieren.“ Wichtig sei auch, die Familie mit einzuspannen. „Deshalb ist es wichtig, die Angehörigen mit in die Therapie einzubinden, wo sie auch lernen, dass übertriebene Fürsorge und Schonung eher schaden können.“ Nicht selten glaubten die Partner nämlich, durch Überfürsorge etwas Gutes zu tun. „Das ist es ja im Prinzip auch. Aber ich sage dann: Zeigen Sie Ihre Zuwendung doch mal auf eine andere Weise, als die Muttermale Ihres Mannes zu kontrollieren. Denn dabei geht es doch immer nur um Krankheiten und nichts ums Leben.“

Hilfe holen

Viele Betroffene leiden zehn Jahre und länger unter den Symptomen, bevor sie einen Therapeuten aufsuchten. Wichtig sei es aber, sich Hilfe zu holen. „Bei einem längeren Zeitraum, also sagen wir länger als fünf Jahren, weiß man, dass es so gut wie nicht möglich ist, alleine aus dieser Situation herauszukommen. Das geht dann nur mit einer Therapie.“

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