Zahnfee oder Zahnweh? Mein Leben mit unsichtbaren Zahnspange

Close up of woman biting her lip
Das Tragen eines Aligners stellt vieles auf den Prüfstand: das Älterwerden, die Eitelkeit, die Würde.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Man gönnt sich ja sonst nichts. Der Zahnarzt sah erst in meinen Mund, dann in meine Augen. Schließlich sagte er jenen bedeutungsschweren Satz, den keine Frau 50++ hören möchte: „Sie brauchen eine Zahnspange.“ Hm.

So schaut’s aus: Andere haben Karies, ich produziere quasi Baustoff. Heißt: Es gibt Brösel. Zahnmedizinisch lautet die Diagnose „Abrasionen Grad 3“ – was, wie ich finde, eher nach einer Geologie-Vorlesung an der Montanuniversität klingt. Tatsächlich bedeutet es, dass sich meine Zähne gegenseitig zerreiben. Das erlösende Wunder kam in Form einer transparenten Schiene daher – der Begriff „Aligner“ wirkt da eindeutig etwas mondäner. Eine computergestützte Simulation berechnet den gesamten Verschiebeprozess, jede neue Schiene rückt die Zähne um Millimeter näher ans Ideal. Klinische Studien zeigen: Besonders die Frontzähne sind gefügig – aber nur, wenn ich brav bin. Heißt: Madame Aligne täglich 22 Stunden tragen. Lediglich beim Essen rausnehmen. Und beim Trinken, wenn’s zu bunt wird (sprich: kein Kaffee, kein Rotwein, kein Leben.) 

Fummeln und Putzen

Weil ich immer schon Mrs. Perfect war, mache ich auch das mehr als richtig: Spange raus. Essen. Fummeln. Putzen. Rein. Mein Leben – ein Sauberfrau-Fünfakter ohne Applaus. Wohl deshalb habe ich keinen Genierer mehr. Jeglicher Anschein von Eleganz und weiblicher Souveränität ist perdu, besonders in Restaurants. Während man mir den „Gruß aus der Küche“ reicht – Mangoschaum trifft Ziegenkäse – greife ich in den Mund wie eine Zauberin in den Hut. Nur, dass bei mir kein Kaninchen herauskommt, sondern die Wunderdinger. Glamour geht anders. 

Und zu Hause? Da offenbart sich eine stille Materialschlacht. Mein Zahnpastaverbrauch liegt mittlerweile auf dem Niveau eines Familienclans mit ausgeprägten Kariesproblemen. Zahnseide wird en gros angeschleppt, ich vergleiche die Physiognomie diverser Interdentalbürstchen und verbringe mehr Zeit vor dem Spiegel als in den wildesten Jahren meiner Pubertät. Allerdings geht’s diesmal nicht um Mascara oder Wimmerln, sondern um den Versuch, winzige Spinatreste aus den letzten Winkeln des Gebisses zu kratzen. Okay, dafür sollen die Zähne am Ende nicht nur gerade, sondern auch verjüngend wirken – zumindest solange ich dann nicht wie Heidi Klum auf die seltsame Idee komme, dunkle Grillz-Veneers zu tragen, was aussieht, als hätte man das eigene Lächeln 24 Stunden in Espresso mariniert.

Aber was macht man nicht alles für die Mundgesundheit? Damit die Beißerchen auch dann noch perfekt nebeneinanderstehen, wenn das Gesicht längst im Faltenwurf liegt. All das hat etwas Rührendes und Absurdes zugleich: Man optimiert, was geht, während der Rest dem Gesetz der Schwerkraft folgt. Wer weiß: Vielleicht sitze ich eines Tages als Greisin mit Silberhaar auf einer Parkbank, umgeben von Runzeln und Erinnerungen. Doch wenn ich lächle, wird es blenden – wie eine Reklametafel für lebenslangen Optimismus.

Kommentare