Ernährungspsychiatrie: Wie Essen die seelische Gesundheit beeinflusst

Wurst oder Wok mit Gemüse: Es ist nicht egal, was und wie ein Mensch isst. Das betrifft nicht nur seine körperliche, sondern auch die psychische Verfassung. Wie eng Ernährung und Psyche zusammenhängen, wird zunehmend deutlich: Was jemand zu sich nimmt, wirkt sich auf die Zusammensetzung der Mikroorganismen im Darm aus, steuert Entzündungsprozesse und kann psychische Erkrankungen sowie die mentale Verfassung beeinflussen.
Damit beschäftigt sich eine neue Wissenschaft namens „Nutritional Psychiatry“ – auf Deutsch: Ernährungspsychiatrie. „Sie bewegt sich an der Grenze zwischen Psychiatrie, Ernährungswissenschaften und Diätologie und entwickelt sich rasant weiter“, sagt DDr. Sabrina Leal-Garcia von der klinischen Abteilung für Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Medizinischen Universität Graz.
Der gängige Satz „Du bist, was du isst“ ist für sie keine leere Floskel. Leal-Garcia ist überzeugt, dass psychische Erkrankungen nicht nur Erkrankungen des Gehirns, sondern des gesamten Organismus und daher multifaktoriell sind. Um sie zu behandeln, braucht es folglich eine multifaktorielle Therapie, dazu gehört auch der Blick auf das Essverhalten.
Aufbau von Nervenbotenstoffen
„Was wir mit der Nahrung aufnehmen, ist die biologische Grundlage für den Aufbau von Nervenbotenstoffen. Wir brauchen etwa Eiweiße und weitere Kofaktoren, um bestimmte Nahrungsbausteine in Serotonin, Dopamin und Noradrenalin umzuwandeln – körpereigene Botenstoffe, die das seelische Wohlbefinden steuern“, so Leal-Garcia. Sie befasst sich aber nicht nur damit, welche Ernährungsstile die optimale Nährstoffaufnahme gewährleisten, sondern auch, wie Entzündungsvorgänge im Körper möglichst gering gehalten werden können. „Intensive Forschungen der vergangenen Jahre zeigen, dass bestimmte Nervenbotenstoffe nicht mehr so gut gebildet werden, wenn sich im Körper Entzündungen finden. Selbst dann nicht, wenn genug Ausgangsmaterial in der Nahrung dafür vorhanden ist.“ Eine große Rolle dabei spielt die Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse als wechselseitiges Kommunikationssystem. Sowohl Gehirn als auch Darm senden Signale und nehmen die Signale des jeweils anderen wahr. So werden nicht nur Hunger und Sättigung gesteuert, sondern auch Emotionen und Stimmungen beeinflusst.
Darmgesundheit und Psyche
„Das war der Punkt, an dem ich als Psychiaterin zur Ernährungsmedizin gekommen bin“, sagt Leal-Garcia. Für ihre Thesis schaute sie sich die Darmbakterien von Menschen mit psychischen Erkrankungen an. „Mein Augenmerk lag auf Anorexia nervosa, die Magersucht. Da wurde deutlich, wie eng die Ernährung mit der Darmgesundheit und der psychischen Symptomatik zusammenhängt.“ Mittlerweile sei die wissenschaftliche Evidenz eindeutig und zeige, dass Interventionen bei der Ernährung den Verlauf psychischer Erkrankungen ebenso beeinflussen können wie das Ansprechen auf eine Therapie“, weiß Leal-Garcia. Seit 2018 wird „Nutritional Psychiatry“ an der MedUni Graz als Wahlfach angeboten, um Studenten mehr Wissen über die Zusammenhänge von Ernährung und psychischem Wohlbefinden zu vermitteln. Im „Culinary-Medicine“-Koch-Workshop lernen sie, wie Gerichte im Sinne der Ernährungspsychiatrie zubereitet werden. „Die Darm-Hirn-Achse als wichtiges Bindeglied zwischen Körper und Psyche ist aber auch ein zentraler Punkt in der täglichen Arbeit an unserer Ambulanz für Psychosomatik, Ernährung und Psyche, so Leal-Garcia. Da zeigt sich, welche Rolle Über-, Mangel- und Unterernährung sowie fehlende Vielfalt beim Essen spielen.

Ernährungspsychiaterin DDr. Sabrina Leal-Garcia, Medizinische Universität Graz
Nerv für seelisches Wohlbefinden
Weiters im Fokus: der Vagusnerv, als Bestandteil der Darm-Hirnachse. „Der zehnte Hirnnerv kann binnen Millisekunden Informationen vom Darm zum Gehirn liefern und ist maßgeblich für das psychische Wohlbefinden oder Emotionen“, so Leal-Garcia. Mit ihrem Team erforscht sie, wie sich die Einnahme von Probiotika auf seine Funktion auswirkt: „Neue Daten zeigen, dass sich die Funktion des Vagusnervs verbessert, wenn drei Monate lang Probiotika eingenommen werden – mit möglicherweise positiven Auswirkungen bei Depressionen.“
Aber welches Essen fördert das psychische Wohlbefinden genau? „Die am besten erforschte Ernährungsform ist die mediterrane Diät, mit viel Gemüse, etwas Obst, magerem Fleisch, Nüssen und Fisch“, sagt Leal-Garcia. Gut für die Psyche ist weiters Essen nach dem „Regenbogen“-Prinzip: möglichst bunt, mit fünf Farben auf dem Teller, reichlich Gemüse und einem nicht allzu hohen Obstanteil, vor allem aber mit viel Eiweiß: „Ich empfehle gerne das tägliche Ei“, so die Ernährungspsychiaterin. Stark verarbeitete Lebensmittel mit vielen Zusatzstoffen sollten hingegen gemieden werden, weil sie sich nachweislich negativ auf die psychische Gesundheit auswirken. Es gilt: Je vielfältiger die Ernährung, desto vielfältiger das Mikrobiom, desto weniger Entzündungen und eine bessere Herstellung von „Glücksbotenstoffen“.
„Es geht nicht nur darum, was wir essen, sondern auch wie wir essen“, betont die Ernährungspsychiaterin DDr. Sabrina Leal-Garcia. Genießen statt schlingen, lautet hier die Devise im Sinne der Selbstfürsorge: „Da spielt achtsames Essen genauso eine zentrale Rolle wie eine geregelte Mahlzeitenstruktur oder Essen in freundlicher Gesellschaft.“ Die Fähigkeit, sein Essen fokussiert und freudvoll zu genießen, lässt sich trainieren wie ein Muskel. Hier einige Anregungen.
Entschleunigen
Je ruhiger gegessen wird, desto besser für das Darm-Mikrobiom. Weil das Verdauungssystem Zeit und Ruhe braucht, um die Nahrung zu zerkleinern und zu verarbeiten. Das unterstützt die Arbeit des Vagusnervs, mit dessen Hilfe während der Nahrungszufuhr Informationen über das aufgenommene Essen vom Magen-Darm-Trakt an das Gehirn geleitet werden, was auch das Hunger- und Sättigungsgefühl reguliert. Der Vagusnerv zieht sich vom Gehirn bis in den Magen-Darm-Trakt.
Innehalten
Noch einmal: Genuss braucht Zeit. Viel zu schnell, viel zu oft „to-go“, also fast immer zwischendurch: So essen die meisten Menschen im Alltag. Es führt dazu, dass wir, ohne zu reflektieren, eilig etwas hinunterschlingen und dabei gar kein Gefühl mehr dafür entwickeln können, wann Sättigung eintritt. Außerdem fehlt jeglicher Entfaltungsraum für Genuss. Um solche ungünstigen Gewohnheiten zu durchbrechen, hilft es, während des Essens einige Augenblicke lang innezuhalten, um sich kritisch zu fragen: Wie ist die Situation, in der ich gerade esse? Habe ich wirklich Hunger? Bin ich schon satt?
Entdecken
„Geschmackszentriertes Wahrnehmen“ heißt eine Übung aus dem Genusstraining. Und die geht so: „Richten Sie sich ein Stück Schokolade (ca. 4x2 cm) her oder eine andere süße Speise, deren Geschmack Sie gerne mögen, in einer Größe, die Sie gut zwischen den Fingern halten können. Setzen Sie sich nun entspannt hin, wenn Sie möchten, schließen Sie die Augen und richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Körper“, heißt es im Buch „Mit allen Sinnen leben“ von Beate Handler. Ziel sei es, nun bewusst mit der Zunge auf geschmackliche Entdeckungsreise zu gehen, um alle Geschmacksaspekte zu erfahren. So wird der Geschmackssinn trainiert und sensibilisiert.
Riechen
Wer mit allen Sinnen genießen möchte, sollte den Geruchssinn nicht vergessen. Er ist eng mit dem limbischen System im Gehirn verknüpft, dort werden Emotionen verarbeitet. Daher kann die Wahrnehmung bestimmter Düfte diverse Erinnerungen (auch negative) auslösen. Beim Genusstraining geht es darum, sich angenehm empfundenen Gerüchen ganz bewusst zu widmen. In Bezug auf Essen kann das zum Beispiel der Geruch von frischem Brot in einer Bäckerei, der Duft von Kaffee oder Trinkschokolade sein, auch die Aromen bestimmter Gewürze, wie etwa Zimt. Nun geht es darum, sich in aller Ruhe zu überlegen, was dieser Duft genau auslöst – welche Bilder und Erinnerungen an bestimmte Momente. Auf diese Weise lassen sich Genusserfahrungen auf einer weiteren Ebene intensivieren: Weil es eben einen Unterschied macht, einen frisch gebackenen Kuchen schnellschnell zu essen, oder ihn vorher auch genussvoll erschnuppert zu haben.
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