Wie geht man erfolgreich mit Rückschlägen und Stolpersteinen um? Die deutsche Psychologin Marie Ehlers plädiert in ihrem neuen Buch für eine ungewöhnliche Methode.
Die deutsche Psychologin Marie Ehlers erhielt vor einigen Jahren eine erschütternde Diagnose: Brustkrebs. Im darauffolgenden Jahr musste sie sich 16 Chemotherapien, einer Operation und einer Bestrahlung unterziehen.
Heute ist sie gesund – und möchte mit ihren Erkenntnissen anderen Menschen in Krisensituationen Mut machen. Auf Instagram hat sie rund 100.000 Follower. Soeben ist ihr erstes Buch „Radikale Akzeptanz“ erschienen. Was steckt hinter diesem Schlagwort?
KURIER:Wenn uns im Leben Probleme begegnen, möchten wir sie oft wegschieben oder sie besiegen. Doch Sie plädieren in Ihrem neuen Buch für radikale Akzeptanz. Warum?
Marie Ehlers: Weil wir damit Kräfte sparen. Wenn wir in den Widerstand gehen und unsere Realität nicht wahrhaben wollen, kämpfen wir doppelt: einmal gegen das Hindernis an sich und einmal gegen den eigenen inneren Widerstand.
Akzeptanz wird oft damit verwechselt, dass man etwas gutheißt. Etwas zu akzeptieren bedeutet lediglich, etwas anzunehmen – nicht, dass man es gut findet oder Stillstand entsteht. Ganz im Gegenteil: Erst durch die Akzeptanz bekommt man die Klarheit, um Veränderung zu bewirken.
Wenn man aber etwa wegen einer Situation wütend wird und diese Wut zulässt – wird sie dann nicht noch größer?
Zum einen geht die Wut ja nicht einfach weg, nur weil man sie nicht wahrhaben möchte. Sie wird vielmehr immer lauter. Aber wenn ich sage: „Okay, du bist ein Teil von mir und du meinst es gut mit mir“ – dann wird sie nicht mehr so ungemütlich sein. Und dann komme ich vielleicht drauf, was sie vermitteln möchte. Gefühle sind Botschafter. Auch die negativ betitelten Gefühle haben eine wichtige Funktion und dürfen genauso ihren Platz haben.
Ihre Erkenntnisse kommen aus einer persönlichen Erfahrung. Sie erhielten vor einigen Jahren die Diagnose Brustkrebs. Wie ging es Ihnen in dem Moment?
So eine Diagnose tut erst mal richtig weh. Die hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen und mir echt viel Angst gemacht.
In Ihrem Buch schildern Sie eine Szene, in der Sie bei Ihrer Mutter auf der Couch liegen. Ihre Mutter sagt: „Du musst anfangen zu kämpfen.“ Und Sie antworten: „Das werde ich – aber ich muss dem Schmerz auch Raum geben.“ Wieso war Ihnen das klar?
Bewusst war mir das in dem Moment gar nicht – es war eher ein intuitives Gefühl, dass das ganz viel Raum braucht. Bevor man in eine Akzeptanz kommt, kann man die ganze Situation auch erstmal richtig doof finden und sie überhaupt nicht akzeptieren wollen. Und ich glaube, das ist ein wesentlicher Teil des Heilungsprozesses.
Sie haben sich dann sehr konkret mit Ihren negativen Gefühlen auseinandergesetzt und Ihnen sogar Briefe geschrieben. Ein Brief ging an die Angst vor dem Tod. Wie war es für Sie, dorthin zu schauen?
Durch meine Erkrankung musste ich mir einen ganz neuen Zugang zum Tod schaffen. Ich wollte ihn davor gar nicht in meinem Leben haben, aber dann war er plötzlich so nah. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mich damit auseinanderzusetzen. Mir haben dann spirituelle Ansätze und Berichte über Nahtoderfahrungen geholfen. Keiner weiß, was danach passiert, aber diese Sichtweise hat mir so viel Kraft gegeben und die Angst kleiner gemacht.
Sie vermitteln diese Leichtigkeit auch im Buch. Es gibt eine Szene, in der sich Ihre Tochter um Ihre Haare sorgte und Sie ihr erlaubt haben, jede Frisur zu schneiden, die sie wollte. Wie konnten Sie gerade in einem sehr verletzlichen Moment so offen bleiben?
Ich glaube, ich habe das Glück, dass ich ganz viel Leichtigkeit in mir trage. Die wurde natürlich ein bisschen getrübt, weil mir das Urvertrauen eine Zeit lang genommen wurde. Aber ich habe meinen Weg zurück zur Leichtigkeit gefunden.
Was würden Sie einer Person raten, die vor einer Herausforderung steht – psychisch oder physisch -, um zu Leichtigkeit zu kommen? Was ist der erste Schritt?
Am Anfang ist es wichtig, sich selbst nicht unter Druck zu setzen. Den Moment anschauen, wie er gerade ist, in sich gehen und spüren: Was passiert da mit mir? Und dann spielen Glaubenssätze eine große Rolle.
Aber Gedanken können natürlich nichts an der Realität ändern.
Doch, Gedanken haben eine enorme Kraft. Mit unseren Gedanken kreieren wir unsere Realität, unser Leben. In der Positiven Psychologie geht man davon aus, dass Gedanken und Handeln zu 40 Prozent unser Glücksempfinden beeinflussen können. Wir haben also durchaus Einfluss auf unser Wohlbefinden.
Das Buch "Radikale Akzeptanz" von Marie Ehlers ist im Arkana Verlag erschienen.
Das Taschenbuch mit 240 Seiten kostet 18 Euro.
Erkenntnisse wie diese teilen Sie sehr erfolgreich aus Social Media. Auf Instagram haben Sie 100.000 Follower. Wann kam das Gefühl, dass Sie Ihren Prozess teilen möchten?
Als ich meine Krebsdiagnose erhalten habe, wusste ich zunächst gar nicht, was das bedeutet. Das hat mir wahnsinnig Angst gemacht. Ich habe begonnen zu googeln und auf Instagram Geschichten von Frauen gefunden, die wieder gesund geworden sind. Das hat mir Mut gemacht. Und dann gab es eine Mitpatientin, die zur gleichen Zeit Brustkrebs hatte – bei ihr kam der Krebs zurück und sie ist innerhalb kürzester Zeit verstorben. Das hat in mir große Panik ausgelöst, ich habe wie verrückt durch Instagram gescrollt – und dort einen Satz gesehen: „Jede Heilung ist einzigartig.“ Nur dieser eine Satz hat mir so viel Kraft gegeben. Ich habe gedacht: Stimmt. Ich muss mich gar nicht mit anderen vergleichen. Meine Geschichte ist einzigartig, und es wird alles gut werden. Das war der Moment, in dem ich gemerkt habe, was Worte bewirken können. Das wollte ich weitergeben.
Es gibt derzeit so viele negative Nachrichten um Social Media. Es tut gut zu hören, dass Social Media auch Positives bewirken kann.
Man muss natürlich gut aufpassen und genau filtern, was man sich anschaut und was einem wirklich guttut. Aber ja, gezielt genutzt kann es stärkend sein.
Sie teilen Ihre Botschaft nicht nur in den sozialen Medien, Sie coachen auch Frauen. Gab es da eine Geschichte, die Sie besonders berührt hat?
Ach, da gibt es viele. Aber ich habe einmal eine Mama betreut, die einen kleinen Jungen hatte, der ganz schwer krank war. Es war klar, dass sie ihn in den Tod begleiten würde. Es ist so schrecklich, so etwas zu erleben und ich kann verstehen, wenn man da keinen Weg finden kann. Aber die Mama hat es geschafft, die Situation anzunehmen. Durch die Akzeptanz konnte sie eine Ruhe entwickeln und im letzten Jahr für ihr Kind da sein. Das mitzuerleben, war beeindruckend.
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