Architektur fürs Glück: Bhutan baut Achtsamkeits-Stadt

Bhutan, das Land im Himalaya, hat etwas Mystisches. In etwa so klein wie die Schweiz, mit 70 Prozent Waldfläche, mehr als 700 Vogelarten und sechs Siebentausendern – darunter der höchste unbestiegene Berg der Welt. Das Königreich kann kaum individuell bereist werden, da es eine Tourismussteuer von 100 US-Dollar pro Tag gibt. Dafür erhält man Zugang zur einzigen CO2-negativen Nation der Erde. Und dann wäre da noch die Sache mit dem Glück: Es ist als Grundrecht der Menschen, in der Verfassung verankert.
Während in anderen Ländern über das Bruttonationalprodukt diskutiert wird, setzt man im Nachbarland von Indien und Tibet auf das Bruttonationalglück (BNG) – und das schon seit den 1970ern. Die Welt diskutiert über dieses Experiment. Während die einen noch zweifeln, machen die Bhutanesen weiter mit der Planung ihrer „Mindfulness City“.Buddhistische Werte, Nachhaltigkeit, aber insbesondere das Konzept des BNG bestimmen das Megaprojekt.
Das Konzept der Achtsamkeitsstadt im Himalaya beruht auf diesen neun Prinzipien:
- Bildung
- Psychisches Wohlbefinden
- Gute Regierungsführung und politische Partizipation
- Lebendigkeit der Gemeinschaft
- Ökologische Vielfalt und Resilienz
- Zeitnutzung
- Gesundheit
- Lebensstandard
- Kulturelle Vielfalt und Resilienz
Wir sprechen dabei von 1.000 km2, das sind mehr als 140.000 Fußballfelder, an der Grenze zu Indien. Eine strategisch gewählte Lage, denn es geht den Verantwortlichen sehr wohl auch um Investitionen in grüne Technologien, Infrastruktur und, eigentlich allem voran, Bildung. Also sehr wohl auch ums Wachstum. Die neun Indexfaktoren des BNG (siehe rechts) dienen als Grundlage für die Stadtplanung. So wird beispielsweise „psychische Gesundheit“ statt „Zweckmäßigkeit“ priorisiert, und gebaut wird nicht im römischen, sondern im Mandala-Muster mit einer sich wiederholenden Gebäudetypologie.

Das Ganze mutet futuristisch an – ein Begriff, den man gerne verwendet, wenn es nichts Vergleichbares gibt. Und der Architekt Bjarke Ingels ist mit seiner Bjarke Ingels Group (BIG) bekannt für seine visionären Projekte. Ob ein Skihang am Dach der Müllverbrennungsanlage oder ein Hotel aus dem 3D-Drucker, der Däne traut sich was. Die Region in Südbhutan ist durch Wasserwege gekennzeichnet – was sich der Architekt in Kooperation mit weiteren Partnern zunutze macht. Angelehnt an die traditionellen Vorbilder entstehen neue Brücken über Flüsse, die Gesundheitszentren für westliche und östliche Medizin nicht nur symbolisch, sondern auch physisch, miteinander verbinden. Eine andere Brücke wird dem traditionellen Handwerk gewidmet, und wieder eine andere beherbergt eine Universität.
Was sofort ins Auge sticht: der Wasserkraft-Damm, der zugleich als Tempel fungiert. Entlang der Fassade kann man zur Meditation spazieren gehen. Richtig gelesen: entlang der Fassade. Und da die Mindfulness City eine „Einladung an die Welt“ (O-Ton des Imagefilms) sein soll, setzt man oben drauf noch einen neuen Flughafen und verbesserte Zugverbindungen. Architekt Ingels zeigt sich in einem offiziellen Statement davon überzeugt, dass diese Stadt „nirgendwo anders auf der Welt“ entstehen könnte. Er selbst hat bereits einen Vertrag für eine Niederlassung in der Mindfulness City unterzeichnet.

Geld macht glücklicher
Der Wiener Glücksforscher und Psychologe Dr. Michael Mitterwallner steht einem Projekt wie der Mindfulness City „von Berufswegen erstmal kritisch gegenüber“. „Seit Jahrtausenden bessern Menschen durch Glücksversprechen ihr Image auf“, erinnert er. Glück sei mittlerweile so etwas wie eine „heilsversprechende Ersatzreligion“ geworden. Die Bestsellerlisten geben ihm Recht.
Was Bhutan betrifft sei die Liste der „Versprechungen“ lang, manches widerspreche sich. Aber: „Im Zweifel gibt man als Glücksforscher der positiven Perspektive den Vorzug. Mit kritischem Optimismus erwarte ich die ersten Umsetzungsschritte.“
Ob Glück planbar sei, ob man es quasi vom Reißbrett entwerfen könne? „Jein. Es gibt planbare Elemente, die unser Glück fördern: gute Beziehungen pflegen, realistische Ziele setzen und den Moment bewusst genießen. Gleichzeitig bleiben viele Faktoren wie genetische Veranlagung oder Lebensereignisse unkontrollierbar. Kurz gesagt: Man kann die Voraussetzungen für Glück schaffen, aber es nicht vollständig planen.“
Dr. Michael Mitterwallner ist Psychologe, Psychotherapeut und Glücksforscher in Wien.
Infos: michaelmitterwallner.com
Die Gebäude des südasiatischen Achtsamkeits-Epizentrums bestechen durch Materialien wie Holz, Stein und Bambus – ein Muss in der heutigen Prestige-Architektur. Designmagazine werden sich um die Fotos reißen. Für das persönliche Glück sei „gute Architektur“ jedoch nicht entscheidend – Geld dagegen sehr wohl. „Ab einem Jahreseinkommen von etwa 100.000 Euro stellen sich laut Wissenschaft die besten Effekte ein.“ Das sei, so Mitterwallner, „weit vom österreichischen Durchschnitt – gut 38.000 Euro im Jahr, Vollzeit, netto – entfernt.“
Der Glücksforscher ergänzt: „Geld geben wir am besten für Erlebnisse oder für andere Menschen aus. Ein materialistischer Lebensstil macht definitiv unglücklich.“ Für den Vater eines kleinen Sohnes gehe es darum, „mein Leben aktiv zu gestalten“. Negative Gefühle gehörten dazu, Glück sei etwas „Kurzes, Intensives und kaum Kontrollierbares“.
Der Blick vom „Sankosh-Tempel-Damm“ hätte zum Beispiel Potenzial. Wann der jedoch genau fertiggestellt sein soll, ist noch unklar. Der offiziell formulierte Status des Architekturbüros lautet: „In Design“.
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