Den Gefühlen auf der Spur

Ein Paar in Strickmützen küsst sich inmitten von Herbstlaub.
Feinere Karten des Gehirns zu erstellen, ist die Herausforderung der Neurowissenschaft. In Wien hat man Emotionen im Visier.

Erst rast das Herz, die Blutgefäße der Haut und der inneren Organe verengen sich. Das Blut selbst verdickt sich, der Speichel wird zähflüssig, während sich die Bronchien erweitern. Schlagartig ist der Appetit weg, die Verdauung eingestellt. Die Pupillen weiten sich, kalter Schweiß bricht aus jeder Pore – die Angst hat unseren ganzen Körper fest im Griff.

Das allumfassende Gefühl entsteht in einer winzigen Region im Kopf. "Angstkontrolle findet in der Amygdala statt. Das wissen wir grob", sagt der Neurobiologe Wulf Haubensak. Aber eben nur grob. Darum nimmt der Wissenschaftler vom Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien dieses Wissen nun als Ausgangspunkt, um tief ins Gehirn zu blicken. Ziel ist es, zu verstehen, wie Emotionen entstehen und mit neuen genetischen Methoden in die Hirn-Schaltkreise hinein zu schauen.

Dazu folgen wir dem gebürtigen Tübinger zu seinen Mäusen in den Keller des Vienna Biocenters. Sie bieten sich als Tiermodell an, weil sie emotionales Verhalten zeigen und ihre Gehirn-Anatomie einen Vergleich mit dem Menschen zulässt. "Die Maus hat eine vereinfachte Version des menschlichen Gehirns, die Grundprinzipien sind also übertragbar", sagt Haubensak.

Ein Lichtkabel verbindet den Mäusekopf mit einem Laser, Videokameras beobachten, was das Tier macht. Keine Sorge, die Verkabelung stört die Maus kaum, erlaubt dem Neurobiologen aber, mit Lichtimpulsen bestimmte Gruppen von Nervenzellen einzuschalten (blaues Licht) und abzuschalten (rotes Licht) sowie zu testen, ob sie Emotionen wie Angst oder Freude steuern. "Die Maus wird quasi ferngesteuert." So will man Schaltkreise finden, die auch bei uns Gefühle lenken.

Um diese emotionalen Schaltkreise sichtbar zu machen, wird die Eigenschaft mancher Viren genutzt, selektiv bestimmte Nervenzellen zu befallen und an ihnen entlang bis ins Gehirn zu wandern. Ein zuvor in die Viren eingeschleustes fluoreszierendes Protein hinterlässt dabei eine sichtbare Leuchtspur. So entdecken die Wiener Forscher, welche Nervenzellen wie verschaltet und verbunden sind.

Derzeit ist das Gefühlsspektrum auf zwei Emotionen beschränkt: Negative (Angst) und positive (Freude/Belohnung). Haubensak: "Wir wissen schon, dass positive und negative Emotionen nicht dieselben Wege nehmen. Und auch, dass sich an den Knotenpunkten entscheidet, ob wir Angst empfinden oder Freude."

Wie wichtig ein besseres neuronales Verständnis unserer Gefühle ist, zeigt auch die Tatsache, dass die Forschung von Wulf Haubensak von der EU gefördert wird. Der Neurobiologe erhielt erst unlängst einen der begehrten Starting Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC, 1,5 Millionen Euro) zugesprochen.

Kartograf des Gehirns

Fernziel ist es, die emotionalen Schaltkreise zu kartieren. Der IMP-Forscher: "Feinere Karten des Gehirns zu erstellen, ist derzeit  d i e  Herausforderung in der Neurowissenschaft. Das gilt für Sehen, Riechen, Hören – und eben Emotion."

Und so suchen Neurobiologen überall auf der Welt nach den Gesetzen, die die graue Masse lenken.

Erst im Sommer hat ein Forscher-Team rund um Stephanie Cacioppo von der Universität Genf die erste exakte Gehirn-Karte von Lust und Liebe erstellt. Dafür analysierten die Wissenschaftler 20 frühere Studien, bei denen sich Testpersonen zum Beispiel erotische Bilder von ihren Lebenspartnern angeschaut hatten, während ihre Gehirnaktivität gemessen wurde. Niemand habe bisher die Hirnaktivität bei diesen zwei eng verbandelten Gefühlen verglichen, sagt Mitautor Jim Pfaus von der kanadischen Concordia Universität. Und er stellte fest, dass Liebe und Lust zwar unterschiedliche Gehirnregionen aktivieren, es dabei jedoch auffällige Überschneidungen gebe. Außerdem gleiche Liebe der Drogenabhängigkeit. Wenn aus Begehren Liebe wird, werden die Gefühle an andere Gehirnregionen weitergereicht. Pfaus: "Liebe ist eine Gewohnheit, die aus sexueller Lust entsteht, wenn diese befriedigt wird."

Nur einen Katzensprung entfernt – an der ETH Zürich – ist es Forschern fast zeitgleich gelungen, das Gedächtnis von Mäusen gezielt ein- und auszuschalten , indem sie den molekularen Schlüssel dafür entdeckten.

" Human Brain Project" (HBP) wiederum begnügt sich nicht mit einzelnen Gefühlen oder Fähigkeiten: 13 europäische Forschungseinrichtungen, darunter die Medizinische Universität Innsbruck, wollen nicht weniger als unser Denkorgan nach­ahmen. Ziel ist es, eine Simulation des menschlichen Gehirns zu entwickeln, um auf diese Weise alle Aspekte des Gehirns zu messen – und zu beeinflussen. "Das würde einen enormen Innovationsschub für die Hirnforschung bedeuten und die Erforschung von Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten vieler neurologischer Erkrankungen erleichtern", sagt Peter Jonas, Hirnforscher vom Institute of Science and Technology Austria (IST).

Risiken und Kritik

Kein Wunder, dass sich auch Kritiker dieser Entwicklung bereits gemeldet haben. Rod Flower leitet die Arbeitsgruppe der britischen Royal Society zu diesem Thema und sagt: "Neurowissenschaften haben das Potenzial, der Gesellschaft großen Nutzen zu bringen." So komme die Wissenschaft Heilungsmethoden für Parkinson, Epilepsie oder Sucht täglich näher. Die Tatsache, dass man das menschliche Hirn immer besser verstehe, berge aber auch zahlreiche Risiken. In nicht zu ferner Zukunft könnte es möglich sein, dass Drohnen mittels menschlicher Gedanken gelenkt werden. Chemische Waffen könnten darauf ausgerichtet werden, dass sie Menschen nicht töten, sondern das Hirn kurzzeitig lahmlegen. Es gebe bereits Experimente, solche Chemikalien bei Massenunruhen oder bei der Jagd nach Kriminellen einzusetzen, heißt es in dem Bericht der Royal Society.

Von derartigen Überlegungen ist man in Wien weit entfernt. Hier sind die Wissenschaftler von der Suche nach den neuronalen Grundlagen von Gefühlen fasziniert, weil es doch die Suche nach einem zentralen Teil unseres mentalen Selbst sei. Oder, wie es Neuro­wissenschaftler Haubensak formuliert, wenn er gefragt wird, was ihn antreibt: "Ich möchte mehr über mich selbst erfahren."

Kommentare