Wie die Krise Europa verändern wird

Zerfällt Europa? Zerfällt die Euro-Zone? In der aktuellen Schuldenkrise scheint nichts mehr ausgeschlossen.

In Europa fällt ein Tabu nach dem anderen. Jetzt spricht Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bereits offen von einem "Europa der zwei Geschwindigkeiten". Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel fordert die Neuverhandlung der EU-Verträge. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso warnt vor einer Spaltung der EU in Euro-Zone und Nicht-Euro-Länder - und spricht dieses Szenario als durchaus realistische Möglichkeit aus. Dass es so weitergehen kann wie bisher, glaubt niemand mehr.

Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen:

Wie realistisch ist das Auseinanderdriften der EU in Euro- und Nicht-Euro-Staaten?
Sehr realistisch. Tatsächlich führt die Finanz- und Wirtschaftskrise bereits zu einer ernsten Zerreißprobe zwischen den 17 Euro- und den restlichen 10 EU-Staaten. Auf ihrem letzten Krisengipfel in Brüssel Ende Oktober haben die 17 Euro-Regierungschefs nicht nur die Aufstockung der Griechenland-Hilfe und die Erweiterung des Euro-Rettungsschirmes vereinbart. Sie haben auch eine weitreichende Selbstständigkeit der Euro-Strukturen von der EU-27 beschlossen. Seither warnen Nicht-Euro-Staaten, allen voran die Briten, lautstark vor einem Zerfall der EU. Jüngstes Beispiel: Am Montagabend tagten die 17 Euro-Finanzminister im EU-Ratsgebäude - und die zehn Nicht-Euro-Finanzminister trafen einander in einem Brüsseler Hotel zu einem "diskreten" Paralleltreffen.

Wie realistisch ist der Zerfall der Euro-Zone?
Das ist schwer zu sagen, wird aber immer offener diskutiert. Eine Spaltung in "harte" und "weiche" Euro-Länder wäre überaus schwierig zu organisieren und mit immensen finanziellen Einbußen und Konjunktur-Einbrüchen nicht nur der Krisenländer, auch der Hartwährungsstaaten verbunden. Neben Deutschland blieben nur wenige "harte Euro-Länder" übrig: Luxemburg, die Niederlande, Finnland und Österreich. Dagegen ist ein Austritt einzelner Krisenländer wie Griechenland aus der Euro-Zone zwar problematisch, notfalls aber doch machbar.

Was würde die Teilung in einen starken Nord- und schwachen Süd-Euro bedeuten?
Die Idee ist simpel: Die Einheitswährung wird aufgespalten in einen harten Nord-Euro und in einen weichen Süd-Euro. In die Zone des weichen Euro würden alle Länder eintreten, die pleite sind oder kurz davor stehen. Sie könnten gemeinsam abwerten und dadurch mehr exportieren, hätten aber höhere Zinsen zu zahlen. In der Zone des harten Euro scharen sich dann mehr oder wenige "Tüchtige" um das alles dominierende Deutschland.
Für den Wirtschaftsexperten Stephan Schulmeister (WIFO) ist das ein Szenario, das geradewegs in die "Depression, in die schwerste Wirtschaftskrise und einen Wirtschaftskrieg zwischen den Euro-Staaten führen würde". Es käme zu konkurrierenden Blöcken, "die nur noch weiter zerfallen würden. Denn wer kann schon glauben, dass Italien mit Griechenland in einer Liga spielen möchte?" Letztlich wäre der "Nord-Euro", so Schulmeister zum KURIER, eine Art "arische Währung": "Dann sind wir nicht mehr viel von den 30er-Jahren entfernt".

Was will Angela Merkel mit einer Änderung der EU-Verträge erreichen?
Die deutsche Kanzlerin will Schuldensündern in der Euro-Zone die Daumenschrauben anlegen. Als Vertreterin eines Landes, das mit mehr als 200 Milliarden Euro für die Pleitestaaten haftet, fordert sie strikte Budgetdisziplin. Damit diese eingehalten wird, verlangt Merkel eine rasche Änderung der EU-Verträge. So soll Brüssel Eingriff in die Haushaltspolitik notorischer Defizitsünder erhalten. Kommissionspräsident Barroso und Ratspräsident Van Rompuy sollen bis Dezember Vorschläge vorlegen. Offiziell geht es Merkel um den Fortbestand der Euro-Zone. Im Hintergrund schwingt aber die Drohung mit, Verweigerer der neuen Regeln hinauszuwerfen. Größtes Hindernis: Nicht nur Österreich hat sich verpflichtet, substanzielle Änderungen der EU-Verträge einer Volksabstimmung zu unterwerfen.

Werden noch weitere Länder den Euro übernehmen?
Im Jänner hat Estland den Euro eingeführt - und wird wohl länger der letzte Neuzugang der Euro-Zone bleiben. Entweder, weil die meisten neuen EU-Länder (die sich beim Beitritt 2004 zur Euro-Einführung verpflichteten) die Beitrittsvoraussetzungen nicht erfüllen. Beispiel Bulgarien und Rumänien, die gerne 2015 beitreten würden. Oder weil ihnen die Lust abhanden gekommen ist. Beispiel Polen, dessen Wirtschaft wächst und das nun fürchtet, als Mitglied der Euro-Zone zu stagnieren: Ursprünglich plante Warschau die Einführung des Euro für 2012, jetzt dürfte dies frühestens 2015 der Fall sein.

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