Probleme mit Despoten auf dem Chefsessel

Noch 2013 widmete Der Spiegel dem "Wolfsburger Weltreich" und Martin Winterkorn eine Titelstory: "Er will Volkswagen zum größten Autokonzern der Welt machen. Er regiert mit harter Hand. Doch das schnelle Wachstum droht Konzern und Mitarbeiter zu überfordern."
Diese Überforderung zeigte sich erst jetzt in der Affäre um manipulierte Autos, einem der größten Industrieskandale der deutschen Geschichte. Reinhard K. Sprenger, Managementcoach und Bestseller-Autor, ortet solche Skandale vermehrt in Konzernen mit großer Staatsnähe und mit patriarchalen Strukturen. "Wenn Staat und Wirtschaft zu verfilzt sind, können sie ihre Aufgaben nicht mehr ordentlich machen. VW war nicht in der Lage, seine Kosten in den Griff zu bekommen und Produktionsstandorte zu verlegen – zu stark sind die Gewerkschaften, zu sehr muss an Standorten festgehalten werden. Wenn der Staat wiederum Interessen in einem Unternehmen hat, kann er seinen Job als Kontrolleur nicht wahrnehmen, weil er nicht mehr genau hinschaut", sagt Sprenger zum KURIER.
Mit harter Hand regieren: Für Wirtschaftscoach Christine Bauer-Jelinek ist das ab einer gewissen Firmengröße und bei einer langen Firmentradition fast nicht anders möglich. Weil das Gefährt zu groß ist, die Strukturen zu komplex sind. "Diese Unternehmensführer sind der Profitmaximierung, dem Shareholder Value und der Politik verpflichtet. An die Spitze kommen nur jene, die die Spielregeln bereit sind zu erfüllen. Innovative, partnerschaftliche, demokratische Menschen haben keine Chance. Da kommt nur ein Executive an die Spitze, ein ausführendes Organ, das mit harter Hand regiert."
Der deutsche Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sieht auch Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh in einem "System der Angst und Überforderung" in der Mitverantwortung. "Es muss kritisch hinterfragt werden, warum Osterloh nichts gegen diese repressive Unternehmenspraxis unternommen hat", sagte Dudenhöffer am Montag (der KURIER berichtete).
Kritik ist obszön
Für Sprenger und Bauer-Jelinek ist es fatal, dass in solchen Unternehmen die Widerspruchskultur fehlt. "Die Ingenieure bei VW wussten, dass die Ziele nicht zu erfüllen waren. Aber in einer solchen Herrschaftsstruktur sind alle Frühwarnsysteme ausgeschaltet, ist jede Kritik unerwünscht", so Bauer-Jelinek. "Da traut sich niemand, etwas zu sagen. Weil die Mitarbeiter erlebt haben, dass jeglicher Widerspruch sinnlos ist, dass man damit als Bedenkenträger abgestempelt wird, und Karriereeinbußen die Folge sind." Reinhard K. Sprenger: "Kritik und Fragen sind unter Machtbedingungen obszön geworden. Diese Konzerne müssen wieder eine Feedback-Kultur aufbauen, in der es möglich ist, etwas angstfrei zu sagen. "
Ob ein Unternehmen seine Kultur ändern kann? Bauer-Jelinek ist skeptisch. "Dafür müssten Sie das gesamte Wirtschaftssystem ändern. Wenn es aber nur um Profitmaximierung geht, ist jeder CEO gezwungen, danach zu agieren."
Reinhard Sprenger sieht eine Lösung nur in neuen Managern: "Man macht keinen neuen Anfang mit alten Leuten. Es müssen neue, nicht durch die lange VW-Tradition korrumpierte Leute den Konzern führen." Bei VW werde man jetzt wohl Ethikseminare einführen, weitere Kontrollstrukturen aufbauen, überbordende Compliance-Regeln implementieren. Aber: "So baut man kein anständiges Unternehmen. Dafür muss man die systemische Korruption abschaffen."
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