TTIP kommt wohl scheibchenweise

Der umstrittene Freihandelspakt TTIP zwischen EU und USA könnte scheibchenweise umgesetzt werden. Strittige Themen könnten ausgeklammert und später in Angriff genommen werden - so lautet der Vorschlag der italienischen EU-Ratspräsidentschaft. Stattdessen soll ein Teilabkommen jene Bereiche festzurren, über die schon Einigkeit herrscht. Damit wolle die Regierung in Rom Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen bringen, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Montag.
Bisher: Ganz oder gar nicht
Es wäre eine völlige Kehrtwende. Denn als die EU und die USA 2013 die Verhandlungen über den weltweit umfassendsten Freihandelspakt aufnahmen, lautete die Devise: Ganz oder gar nicht. Der "Transatlantische Handels- und Investitionspakt" (englisch kurz TTIP) sollte Zölle praktisch zur Gänze aufheben, Handels- und Dienstleistungsmärkte öffnen, Normen vereinheitlichen und den umstrittenen Investitionsschutz umsetzen. Und das alles auf einmal.
Das war in mehreren Anläufen bisher immer gescheitert. Jetzt schien der Zeitpunkt günstig, beide Wirtschaftsräume suchten fieberhaft nach neuen Wachstumschancen. Was die Verhandler freilich unterschätzt hatten, war der Widerstand von weiten Teilen der Öffentlichkeit. Ein großer Wurf scheint mittlerweile außer Reichweite.
Rom will Blockade lösen
„Wenn wir ein allumfassendes Freihandelsabkommen anstreben, könnte das auf Jahre von einigen strittigen Themen blockiert bleiben, während es andererseits auf vielen anderen Teilgebieten Einigkeit gibt“, sagte der italienischer Vizeminister für Außenhandel, Carlo Calenda, der FAZ. Die Idee soll nach seinen Angaben am 14. Oktober in Rom bei einem informellen Treffen der europäischen Minister für Außenhandel diskutiert werden.
Aus der Sicht von Calenda besteht weitgehende Einigkeit über den beiderseitigen Abbau von Zöllen. Zu einem vorläufigen Abkommen gehöre auch eine Öffnung der staatlichen Ausschreibungen in den Vereinigten Staaten, zumindest auf nationaler Ebene, für Bieter aus Europa. Beide Seiten könnten für die Vertragspartner den Energiemarkt öffnen. Schließlich hätten sich Verbandsvertreter von beiden Seiten des Atlantik jeweils für die eigene Branche auf die Details für einen Freihandelsvertrag geeinigt - für die Automobilbranche, Chemie, die Pharmaunternehmen, Kosmetik, Medizintechnik sowie für Textil und Bekleidung.
Ciao, Chlorhuhn
Für den Italiener macht es „andererseits wenig Sinn, sich auf Themen festzulegen, bei denen es große kulturelle Differenzen gibt“. Dazu gehören für ihn die Nahrungsmittel, mit den Vorschriften für Herkunft und Lebensmittelsicherheit. Mit dem vorläufigen Ausschluss strittiger Themen würde das Freihandelsabkommen nicht nur die Debatte über „Chlorhühner“ los, sondern auch französische Empfindlichkeiten beim Thema Kultur oder Gegensätze bei den Finanzdienstleistungen, sagte Calenda.
Deutscher Justizminister kritisch
Zuletzt hatten sich auch immer mehr Politiker kritisch zu Teilen des Abkommens geäußert. Deutschlands Justizminister Heiko Maas (SPD) wandte sich gegen die Schaffung von Schiedsgerichten für internationale Konzerne, wie sie die Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada vorsehen. „Solche Klauseln zu Investitionsschutz und Schiedsgerichten sind zwischen entwickelten Rechtsstaaten nicht notwendig“, sagte Maas der „Südwest-Presse“. Er sei zuversichtlich, das mit Kanada bereits verhandelte Ceta-Abkommen in diesem Punkt noch ändern zu können. „Auch bei Ceta ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“
In Deutschland und anderen Mitgliedstaaten gibt es massive Bedenken gegen den Freihandelsvertrag mit den USA. Eine Sorge ist etwa, dass ausländischen Konzernen ein Sonderklagerecht gegen Staaten vor Schiedsgerichten eingeräumt wird, das Kritikern zufolge von den Firmen missbraucht werden könnte. Die designierte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström hatte am vergangenen Montag vor dem Europaparlament versprochen, in den TTIP-Verhandlungen mit den USA öffentliche Bedenken zu Sonderrechten für Konzerne ernst zu nehmen. Die Schwedin schloss eine Streichung der Schutzklauseln nicht aus, sucht aber nach einem Kompromiss.
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