SPD-Chef will Euro-Schuldenunion

Die Nordländer sollen im Gegenzug für mehr Kontrolle für alle Schulden der Südländer haften, fordert Sigmar Gabriel.

Gemeinsame Haftung für alle Schulden der Euro-Zone, gemeinsame Kontrolle der Haushalte: Mit dem gerade für deutsche Verhältnisse sehr mutigen Vorschlag glaubt SPD-Chef Sigmar Gabriel die Staatsschuldenkrise lösen zu können – und den Wählern im September 2013 eine Alternative zur Sparsamkeitspolitik von CDU-Kanzlerin Angela Merkel zu bieten.

Doch die Hürden für Gabriels Vorschlag sind hoch: Dafür braucht es in Deutschland eine Verfassungsänderung mittels Volksabstimmung, die es überhaupt noch nie gab. Deren Ausgang wäre auch sehr unsicher: Eine klare Mehrheit sieht derzeit keinen Grund, die Schulden der Südländer zu übernehmen und folgt Merkels Argument, dass dies zum Erlahmen ihrer ohnehin beschränkten Reformbereitschaft führen würde.

Gabriel will den Vorschlag in die SPD-Gremien einbringen. Doch die dürften am meisten überrascht sein: Noch am Freitag hatte sein schärfster Konkurrent um die Kanzlerkandidatur, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, vor einer "Schuldenunion" gewarnt. Sein Anlass war die Andeutung von EZB-Chef Marion Draghi gewesen, demnächst wieder den Ankauf von Staatsanleihen der Krisen-Länder mit frischen Euros zu gestatten.

Wahlkampfthemen

Es ist dies das dritte Vorpreschen Gabriels in dessen Babypause (siehe unten): Schon mit schriller Banken-Kritik und der Forderung nach massiven Reichen-Steuern als Hauptwahlthemen 2013 hatte er seine Partei überrascht, dabei aber weitgehend ihre nachträgliche Zustimmung erhalten. Eine 180-Grad-Wende beim Euro-Kurs, der wichtigsten Frage der Nation und Europas, wäre weit schwieriger: Die SPD hat mit Ausnahme des ersten Griechenland-Pakets Merkels Euro-Rettung im Bundestag mehr zugestimmt als deren eigene Abgeordneten.

Derzeit zeichnet sich aber auch in Merkels Umgebung ein vorsichtiges Nachdenken über noch größere Opfer Deutschlands für den Erhalt der Euro-Zone ab. Auch wenn Sprecher von Union und FDP Gabriels Vorschlag sofort als "Enteignung von deutschen Arbeitnehmern, Rentnern und Sparern" zurückwiesen.

Für eine Schuldenunion will Gabriel bei anderen sozialdemokratischen Parteichefs werben. Dabei stößt er in Wien auf sehr offene Ohren: Denn Österreichs Sozialdemokraten fühlen sich durch Gabriels Schwenk in ihrer Linie bestärkt. Kanzler Werner Faymann hatte im KURIER-Interview erklärt, an einer Vergemeinschaftung der Schulden führe kein Weg vorbei. Dafür wurde er von CDU und ÖVP scharf kritisiert.

"Schulden und Kreditaufnahme zu vergemeinschaften heißt aber nicht, dass wir für die Schulden etwa der Griechen zahlen müssen. Das jeweilige Land muss das tun, das kann man auch vertraglich sicherstellen", sagt SPÖ-EU-Mandatar Hannes Swoboda dem KURIER. "Daher verstehe ich die Aussagen von CDU und ÖVP nicht."

Befürworter und Kritiker

Bei Regierung und Koalition stößt das Vorpreschen Gabriels auf scharfe Ablehnung: Außenminister Guido Westerwelle (FDP) warnte davor, Europa in der jetzigen Lage zu zerreden. "Innenpolitische Profilierungssuche kann in keinem Land Europas, auch nicht in Deutschland, der Maßstab unseres Handels sein", sagte er. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle meinte, Gabriel entlarve sich mit seinem Vorpreschen für eine Vergemeinschaftung der Schulden in Europa selbst. "Geld ausgeben, das man nicht hat, und dann andere dafür zahlen lassen, war schon unter Rot-Grün ein falsches Rezept." Nach den Worten von FDP-Generalsekretär Patrick Döring ist Gabriel mit "seinem Zick-Zack der Positionen" immer weniger ernst zu nehmen.

"Gabriel wird gemeingefährlich", meinte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Der Vorschlag sei ein "Generalangriff des SPD-Vorsitzenden auf die deutsche Steuerkasse". Damit gebe Gabriel den Haushalt zur Plünderung für reformunwillige Schuldenländer frei, sagte Dobrindt der Rheinischen Post.

Seitens der deutschen Grünen kann der SPD-Vorsitzende mit Zustimmung rechnen. "Ich begrüße es, wenn die SPD sich in ihren Überlegungen immer mehr auf grüne Positionen zubewegt", sagte die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth der Frankfurter Rundschau. Europa müsse jetzt konstruktiv weitergedacht werden. "Zur Rettung des europäischen Projekts ist ein breiter Konsens für ein integriertes, demokratisches und soziales Europa notwendig. Nationale Ressentiments, egal aus welcher Motivation heraus, lassen Europa dagegen gegen die Wand fahren."

Auch führenden deutsche Ökonomen konnten Gabriels Vorschlag etwas abgewinnen: "Wenn dann die Mehrheiten in Europa für eine Haftungsunion stimmten, wären die notwendigen zwischenstaatlichen Transfers demokratisch legitimiert" sagte der Konjunkturchef des Münchner Ifo-Instituts, Kai Carstensen, zu Handelsblatt Online. Auch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, zeigte Sympathie für die Idee: "Gabriel hat Recht, dass eine weitergehende Fiskalunion mit strengen Regeln für die Haushaltskontrolle nicht auf der Basis des bestehenden Grundgesetzes möglich ist."

Von wegen Babypause

SPD-Frauen hatten ihn aufgefordert, „laut Familienbild der Partei“ sich wie seine Partnerin um die im April geborene Tochter Marie zu kümmern. Das tut Sigmar Gabriel nun mit Medienecho: Drei Monate lang wolle er sie im neuen Zuhause in Magdeburg wickeln und füttern, länger als alle anderen Kollegen mit Nachwuchs. Allerdings findet Gabriel viel Zeit für Interviews und Twitter. Am 18. August heiratet er in seinem Wahlkreis Goslar die Zahnärztin Anke Stadler und Marie wird getauft.

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