Spanien: Sogar die Müllabfuhr ist in der Krise

Es ist angenehm kühl am Marktplatz von El Puerto de Santa Maria. Meist weht auch im August eine frische Atlantik-Brise über den andalusischen Küstenort. Jeden Vormittag sitzt hier die alte Torero-Legende Rafael de Paula und trinkt seinen cortado, die spanische Version des Kleinen Braunen.
Mitunter kommen junge Toreros vorbei und bitten den Maestro, wie sie ihn nennen, ihr rotes Tuch zu unterschreiben. "Ich hoffe, das wurde nicht in China gefertigt", sagt der alte Mann und lässt den dicken Stoff durch die Fingern gleiten, "das fehlt uns hier gerade noch". Nein, ruft der junge Mann, die Muleta für den Stierkampf habe man ihnen zum Glück noch gelassen!
Um die Mittagszeit – sie dauert von 15 bis 18 Uhr – haben hier im Süden alle Geschäfte zu. Nur der kleine Supermarkt gegenüber der Kathedrale tut seinen Dienst und bedient erleichterte Touristen, die sich an die hiesigen Öffnungszeiten nur schwer gewöhnen können.
Er wird von einer chinesischen Familie betrieben, genau so wie die zahlreichen "1-Euro"-Shops, etliche Textilläden und einiges mehr. "Und das ganze Geld, das sie hier einnehmen, schicken sie nach Hause. Das bleibt nicht bei uns", seufzen Lokalpolitiker jeder Couleur.
Seit dem Platzen der spanischen Immobilienblase im Jahr 2007 müssen die 47 Millionen Einwohner zwischen Bilbao und Tarifa viel einstecken. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 300.000 Menschen bei Zwangsräumungen ihre Wohnungen verloren haben. Unzählige Haushalte büßten mit Spekulationen, die mit reger Unterstützung von Staat und Banken zum Volkssport geworden waren, ihre gesamten Ersparnisse ein.
Kein Gehalt
Doch die nationale Krise hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht, glaubt der IWF, die schwersten Folgen stehen noch bevor. Es sieht schon jetzt alles andere als rosig aus: Seit drei Monaten können mehrere Gemeinden in der Provinz Cadiz ihre Beamten nicht mehr bezahlen – was nicht bedeutet, dass diese jetzt zu Hause bleiben können. "Nichterscheinen kommt einer Kündigung gleich", erklärt der spanische Journalist Joaquín Rábago, und wer findet in Zeiten wie diesen schon einen anderen Job.
Auch die Müllabfuhr fährt seltener und in vielen Straßen gibt es nachts keine Beleuchtung mehr, weil die Stromrechnungen nicht bezahlt werden können. Warum das fertig renovierte Rathaus in El Puerto seit Monaten seine Pforten geschlossen hält, weiß auch keiner so recht. Hinter vorgehaltener Hand munkelt man allerdings, dass das Geld für die Möbel fehle.
Mega-Projekt

Bei Lorca in der Region Murcia würde man sich gerne mit den potenten Geldgebern aus Fernost arrangieren. Ein Mega-Projekt zur Förderung der spanisch-chinesischen Freundschaft soll hier entstehen, ein Businesspark mit 5-Stern-Hotels, einem chinesischen Themenpark, Golfplätzen, Schulen und 1800 Ökohäusern, so der Plan, welcher vergangenes Jahr unter großer medialer Aufmerksamkeit vorgestellt wurde. Über den aktuellen Stand des Projektes mit dem Arbeitstitel "Sonderzone für chinesische Investitionen" gehen die Angaben auseinander – manche sprechen von Verzögerungen, andere glauben an einen baldigen Start.
Laut spanischem Statistikamt INE sind offiziell 66.486 Chinesen gemeldet. Rechnet man die illegalen Einwanderer hinzu, leben mittlerweile gut 100.000 von ihnen hier. Ebenso viele Chinesen haben laut Berechnungen des spanischen Tourismus-Ministeriums im vergangenen Jahr das Land bereist. Bei seinem letzten Staatsbesuch bezeichnete der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao Spanien gar "als den besten Freund Chinas in der Europäischen Union".
Wie sich die Freundschaft weiterentwickelt, bleibt abzuwarten. Angesichts der Wirtschaftslage sind die Kräfteverhältnisse unausgewogen, die Angst vor einem Ausverkauf bleibt. Auch auf Mallorca haben die Männer in den schwarzen Anzügen ein Auge geworfen. "Mal sehen, was die von mir wollen", sagt der in der Zone zwischen Valldemossa und Sollér arbeitende Immobilienmakler Lorenz Ewaldsen.
Für Ende September hat sich beim gebürtigen Hamburger, der seit fünfzehn Jahren auf der Insel lebt, eine 20-köpfige Investorengruppe aus China angesagt. "Noch sehe ich es gelassen", sagt er. Er wird sie laut eigenen Angaben in Flip-Flops empfangen, so wie seine anderen gut betuchten Kunden auch.
Finanz-Foul der Topclubs
Spanien steckt in der Rezession, die Arbeitslosigkeit beträgt 25 Prozent, die Banken des Landes ächzten unter einem Riesenberg fauler Kredite – die EU muss mit Hilfskrediten einspringen.
Erfolgsverwöhnt war Spanien zuletzt nur im Fußball. Nicht nur die Nationalmannschaft, sondern auch die Topvereine sind jene, die es international zu schlagen gilt.
Mehr und mehr allerdings wird klar, dass das Geschäftsmodell, auf dem der Erfolg fußt, auf Dauer nicht tragbar ist. Es ist ein auf Pump erkaufter Erfolg. Nach aktuellen Berechnungen der Universität von Barcelona haben die Proficlubs insgesamt fünf Milliarden Euro an Schulden. Allein der Fiskus wartet auf 750 Millionen Euro. Der Rest der Verbindlichkeiten schlummert bei Banken, Investoren und den Sozialversicherungsträgern.
"Muss die EU nun auch den spanischen Fußball retten?", höhnte zuletzt El Pais. Spaniens Sportminister schloss das bereits im April, als das Thema zuletzt hochkochte, aus. Auch der Staat werde nicht einspringen. "Die Clubs werden ihre Schulden begleichen." Wie lange sie dafür Zeit haben, blieb freilich offen.
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