Spanien: Großkampftag gegen das Sparpaket

Eine Arbeitslosenquote von 23 Prozent, jeder Zweite unter 24 Jahren ohne Job und nun auch noch das am vergangenen Freitag von der Regierung geschnürte und gestern, Donnerstag, vom Parlament beschlossene, bisher größte Sparpaket lassen die Spanier immer mehr verzweifeln.
Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 18 auf 21 Prozent, die Kürzung der Arbeitslosenhilfe und die Streichung des Weihnachtsgeldes für Staatsbedienstete: Mit diesen Maßnahmen will der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy in den kommenden zwei Jahren im Kampf gegen die ausufernde Staatsverschuldung rund 65 Milliarden Euro einsparen. Restriktionen, die die zwei größten Gewerkschaften des Landes nicht hinnehmen möchten. Sie würden zu einer Verarmung der Bevölkerung führen, warnten die Gewerkschaftsführer Candido Mendez von der UGT und Ignacio Fernandez Toxo von der CCOO.
Gestern riefen sie zu landesweiten Protesten auf – in 80 Städten wurde demonstriert. Auch einen weiteren Generalstreik drohten sie an. Am 29. März hatte eine Arbeitsniederlegung Spaniens Wirtschaft für 24 Stunden lahmgelegt. Allerdings war die Beteiligung niedriger als noch beim ersten Generalstreik im Jahr davor.
Bei einer Demonstration Zehntausender Bergbauarbeiter gegen Subventionskürzungen war es am Samstag in Madrid zu schweren Ausschreitungen mit Dutzenden Verletzten gekommen.
Gegen das Defizit
Auch die Regionen wehren sich: Katalonien und das Baskenland wollen vor dem Verfassungsgericht gegen die Sparmaßnahmen klagen. Der sozialistische Oppositionsführer im Parlament, Alfredo Perez Rubalcaba, bezeichnete Rajoys Rotstiftpolitik als "sozial ungerecht" und wenig hilfreich, die Rezession im Land zu bekämpfen. Die Opposition stimmte am Donnerstag geschlossen gegen das Paket.
"Wenn Sie weder Sparmaßnahmen möchten noch Mehreinnahmen, dann erklären Sie mir doch bitte, wie ich das Defizit reduzieren soll", rechtfertigte der Regierungschef sein Sparpaket, das gestern dem Parlament zur Abstimmung vorlag.
Weiters muss Spanien für neue Staatsanleihen mit einer Laufzeit bis 2019 bereits 6,7 Prozent Zinsen bieten, was die Erreichung der Defizitziele noch mehr erschwert. Bei der letzten vergleichbaren Emission betrugen die Zinsen noch 4,8 Prozent. Dies hatte auch eine Entwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar zur Folge. Doch ohne die Ende Juni beantragten Kredite aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF hat Spanien keine Möglichkeit, seine maroden Banken zu stützen. Die Hilfsgelder sollen den gesamten Staat entlasten – und die Weiterentwicklung der Streik-Kultur Spaniens verhindern.
Das Bauchweh der Retter wird immer größer

Exakt 139 oft geänderte Seiten, teils in Fach-Englisch, erst seit 24 Stunden in Händen: Der Regierungsantrag zur deutschen Hilfe für Spaniens marode Banken war vielen Abgeordneten nicht wirklich klar. Dennoch segnete ihn am Donnerstag – nach Verschiebungen wegen offener Fragen – eine klare Mehrheit der aus dem Urlaub geholten Parlamentarier ab.
Vor allem die weithin unklaren Folgen bereiteten vielen Bauchweh. Sie vertrauten aber überwiegend ihren Fachpolitikern, die die 29 Milliarden Euro möglicher Kosten für den deutschen Steuerzahler verteidigten: Die seien das kleinere Übel gegenüber einem möglichen Domino-Effekt mit dramatischen Folgen auch für Deutschlands Wirtschaft.
Zunehmend bekommen aber skeptische Stimmen von höchstrangigen Fachleuten mehr Gehör. Dazu zählen Bundesbank-Präsident Jens Weidmann und EZB-Vizepräsident Jürgen Stark. Sie drängen auf mehr Druck auf Spanien, das weiterhin reformbedürftig sei.
Dass Hauptredner CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble mehrfach größere Risken für deutsche Steuerzahler einräumen musste, erhöhte das Vertrauen der Abgeordneten nicht. Sie waren auch von den Ökonomen beeindruckt, die vor weiteren Aufweichungen der EU-Verträge warnten, die eine Rettung von Pleitestaaten an sich gar nicht vorsehen. Zweiter Kritikpunkt: Die spanische Politik, die marode Klein-Sparkassen fusioniere, um sie dann als "systemrelevante" Großbanken darzustellen, die gerettet werden müssten.
Die "Linke" lehnte die "Sozialisierung der Verluste von Banken" strikt ab. Schäuble versicherte auch im Namen von Kanzlerin Merkel, dass Spanien für seine Banken weiter hafte, anders als die Regierung in Madrid es darstelle. Obwohl Koalitionspolitiker "mangelndes Vertrauen" einräumten, stimmten Koalition, SPD und Grüne überwiegend für den Antrag. Ob Merkel ihre nur symbolische "Kanzlermehrheit" schaffte, war vorläufig offen.
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