Spanien: "Es bleiben nur die Erdbeerpflücker"

Eine Frau mit einem grünen Stirnband spricht in ein Megafon.
Inmitten der Krise kämpft die Jugendbewegung "Indignados" weiter – gegen die Regierung und gegen die eigene Hoffnungslosigkeit.

Nein, um ans Aufgeben zu denken, hat Estela keine Zeit. Da gibt es Versammlungen, Demos, Haubesetzungen und die neuen Flugblätter, die sie morgen in der U-Bahn verteilen wollen, „damit, die Menschen wissen, dass wir weiterkämpfen“.

Mehr als ein Jahr ist es jetzt her, dass die 30-Jährige gemeinsam mit Zehntausenden anderen das Zentrum von Madrid über Wochen besetzt hielt, als die Bewegung der „Indignados“, der Empörten, ganz Spanien erfasste. Vor ein paar Wochen, zum Jahrestag, waren sie wieder da, an der Puerta del Sol, viel weniger als damals, aber nicht bereit aufzugeben. „Wir müssen weitermachen, es kann doch nicht sein, dass alles Tag für Tag schlimmer wird in diesem Land, und niemand tut etwas dagegen.“ Die Polizei war auch wieder da und schlug um einiges brutaler zu als früher. „Aber die Schläge sind wir ja eh gewöhnt“, lacht die Aktivistin bitter und erzählt von den Prozessen, die sie jetzt vor Gericht ausfechten, für ihre Meinungsfreiheit und dafür, dass irgendjemand laut herausschreit, „was das für eine Katastrophe hier ist“.

"Wie soll das gehen?"

Von der etablierten Politik erwarten sie sich noch weniger als je zuvor. Die konservative PP unter Premier Mariano Rajoy regiert mit absoluter Mehrheit und die politische Opposition der Linken „ist einfach nicht mehr vorhanden. Die ziehen konsequent ihre Sparpolitik durch, streichen unsere Zukunft: Schulen, Unis, Arbeitsrecht. Wir sollen den Gürtel enger schnallen und gleichzeitig losrennen. Wie soll denn das gehen?“

Mit den großen Demos auf der Straße kommen sie nicht weiter, das spüren die Indignados, also überlegen sie neue Strategien – und die sind oft einfach praktische Überlebenshilfe für sich selbst und andere junge Spanier. Man macht Häuser ausfindig, die leer stehen, entweder weil die Mieter rausgeworfen wurden oder weil die Bank, der die oft riesigen Immobilienprojekte gehören, diese längst abgeschrieben hat. Dann besetzt man einzelne Wohnungen. Oft kümmere sich ohnehin niemand mehr darum, wer in die Gebäude einzieht. Nach dem Platzen der spanischen Immobilienblase gibt es überall leer stehende Wohnsiedlungen: Spekulationsobjekte für Banken, die in der Krise wertlos geworden sind, weil niemand mehr Geld hat, sich eine Wohnung zu kaufen.

Wer noch eine Wohnung hat, sich aber die Miete nicht mehr leisten kann, für den treten die Rechtsanwaltsteams der Indignados an, erstreiten zumindest einmal Zahlungsaufschub für die Mieter. „Es hat doch keinen Sinn, wenn eine Familie mehr auf der Straße sitzt und noch eine Wohnung leer steht, die niemand zahlen kann.“

Estela, das gibt sie offen zu, ist müde, so wie viele andere ihrer Freunde in der Bewegung, „müde vom Kämpfen“, aber auch davon, dass das tägliche Überleben für jeden von ihnen so schwierig geworden ist. In einem Land, in dem inzwischen fast jeder Zweite unter 30 Jahren arbeitslos ist, stehen für jeden Job gleich Dutzende parat – und lassen sie schlechte Bezahlung und unmögliche Arbeitszeiten einfach gefallen.

Mehrere Jobs zum Überleben

Sie kann sie kaum alle aufzählen – die Jobs, die sie macht, um an Geld zu kommen. Da ist das Geschäft mit den medizinischen Artikeln, eine Entwicklungshilfe-Organisation – und dann die paar Musiker, für die sie Auftritte in Lokalen organisiert und irgendwoher ein Auto besorgt, damit sie die Instrumente transportieren können: „Die meisten von uns arbeiten zusätzlich in der Nacht, als Kellner in Restaurants, in Cafés“, erzählt sie, „anders kommst du nicht durch.“

Viele ihrer Freunde aber haben das alles längst hinter sich gelassen, sind weg aus Spanien, viele in Großbritannien oder Deutschland. Und es sind die mit der guten Ausbildung, die gehen. „Das sind aber genau die Menschen, die dieses Land braucht“, ärgert sich Estela, „hier bleiben nur die Erdbeerpflücker. Wie soll man so seine Zukunft bauen?“

Spanien soll unter den Rettungsschirm

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble wollen Spanien unter den europäischen Rettungsschirm EFSF drängen - so der Spiegel in einem Vorausbericht. Nach Einschätzung der beiden ist das Land allein nicht in der Lage, die Schieflage seiner Banken zu beheben. Diese Linie hätten Merkel und Schäuble Anfang vergangener Woche verabredet.

Mit dem Schritt will die deutsche Bundesregierung den Angaben zufolge die Gefahr eindämmen, dass sich die Euro-Krise nach einem möglichen Ausscheiden Griechenlands in den angeschlagenen südlichen Ländern der Währungsunion verschärft. Vorigen Mittwoch setzte Schäuble den spanischen Wirtschaftsminister Luis de Guindos bei dessen Besuch in Berlin unter Druck. Spanien müsse sich Geld vom Rettungsschirm besorgen, um damit das Kapital seiner Banken aufzupolstern, forderte der Deutsche.

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