Poysdorf: Das Ende der Durchfahrt

"I foahr nach Poysdorf": Das Pickerl mit dem Schriftzug fand sich Anfang der 80er-Jahre auf vielen Autos im Weinviertel. Eine Marketingaktion. Niemand hätte damals geahnt, dass das Fahren nach, besser gesagt durch Poysdorf, einmal ein Problem sein würde. Seit fünf Jahren hat sich der Verkehr auf der Bundesstraße 7 (B7), die mitten durch die Kleinstadt führt, massiv gesteigert. Ist die Brünner Straße zu einer Transitroute geworden. Fahrzeug-Kolonnen rollen durch den Ort, bis zu 3300 Lkw pro Tag erzeugen Staus und massive Zeitverluste. "Um den Lkw am Tag auszuweichen, fahren viele Autos mittlerweile in der Nacht", erzählt Bürgermeister Thomas Grießl, "was selbst nach Mitternacht noch zu Staus führt." Die 3004 Bewohner sind genervt, ihre Lebensqualität leidet. Ende 2017 soll endlich die Nord-Autobahn A5 durchgehend bis Poysbrunn in Betrieb sein. Man kennt beim Bau einer Autobahn die Bürgerinitiativen gegen das Projekt. In Poysdorf gab es drei Initiativen dafür. Herbst 2017 – dieses Datum wird in die Geschichte eingehen: es wird eine Zeit vor und eine Zeit nach Fertigstellung der Autobahn geben.
Noch sind wir in der Zeit davor – und Poysdorf muss mit den Durchfahrern leben. Lebt zum Teil auch gut von ihnen. Die Supermärkte Hofer und Billa bei der Stadteinfahrt und die Tankstellen sind voll mit Reisenden. Vor dem Weinmarkt am Ende des Ortes, da wo die Straße steil ansteigt, bleiben laufend Autos mit tschechischen und polnischen Kennzeichen stehen. Sie tragen nicht selten zehn Kartons Wein aus dem Geschäft, das täglich geöffnet ist und auch täglich von einem Winzer betreut wird. 30 Weinbetriebe sind im Weinmarkt vertreten. Über Umsatzzahlen sprach man anfangs, mittlerweile hält man sich bedeckt. "Wir haben den besten regionalen Weinmarkt in Österreich", sagen die Einheimischen.
Die Weinstadt
Die Bürgerplattform "Unsere Gemeinde 2025" überlegt Konzepte für die Zeit danach – wenn es die Autobahn gibt. Denn allen ist klar: Fährt die Kolonne nicht mehr durch, wird das Umsätze kosten. Die dringlichsten Arbeiten aus heutiger Sicht: die Infrastruktur erneuern, weil die Kanäle kaputt sind und man sie aufgrund des Verkehrsaufkommens bisher nicht reparieren konnte; die B7 sanieren "die ist auf Lumpen hin", wie es der Bürgermeister ausdrückt; als Tourismusstadt neue Impulse schaffen. Radfahren, Golf und Wein sind die Themen, hier gibt es die längsten Kellergassen von ganz Europa.
200 Winzer verzeichnet die "Weinstadt Poysdorf" und ihre dazugehörigen neun Gemeinden, viele von ihnen keltern im Nebenerwerb. Rund 40 produzierende Betriebe gibt es in der Stadt, sie erzeugen aber nicht mehr in den bekannten Kellergassen von Poysdorf, Altruppersdorf, Erdberg, Föllim, Ketzelsdorf, Kleinhadersdorf, Poysbrunn, Walterskirchen, Wetzelsdorf und Wilhelmsdorf (zusammen: 6567 Einwohner), sondern in modernen Produktionsstätten. Auf einen Nenner lassen sich die Winzer nur bei der Weinsorte bringen: vor allem Grüner Veltliner (52 Prozent) wird auf den 1300 Hektar Weingartenflächen erzeugt; rund sechs Millionen Liter Wein insgesamt pro Jahr. Sonst sind die Betriebe höchst unterschiedlich: manche produzieren in Mengen, andere fokussieren auf den Export nach Asien, wieder andere verkaufen höchste Güte in die heimische Hauben-Gastronomie. "Wir sind eine Kleinstadt, die gut vom Wein und Tourismus leben kann", sagt Grießl. Der Tourismus habe durch die Verkehrssituation nicht die optimale Entwicklung erfahren. Trotzdem kommen jährlich mehr Besucher. Besonders die Landesausstellung 2013 hat mit 29.000 Nächtigungen positiv zu Buche geschlagen. In Zukunft wolle man noch mehr auf Radfahren und Golf setzen. Das Golf Hotel Veltlin von Besitzer Bernhard Mewald gibt es bereits seit 2006. Die betriebEIn puncto Leitbetriebe hat man im Weinviertel gelernt, bescheiden zu sein. Größtes Unternehmen ist mit viel Abstand das Kabelwerk Gebauer & Griller mit 922 Mitarbeitern; Raiffeisen Lagerhaus, Hilfswerk und das Pflegeheim kommen auf jeweils 30 bis 60 Arbeitsplätze. Hinzu kommen Familienbetriebe wie die Gastrofamilie Rieder (Eisenhuthaus, Gangl und Veltlinerhof), die Installateure Pech und Reidlinger oder Anton Wottle Maschinen- und Weinpressenbau.
Weil die Jobs fehlen, wandern viele Junge ins Wiener Umland ab. "Trotzdem gibt es Zuzug, aber einen akuten Mangel an Bauplätzen", sagt Bürgermeister Grießl. Rund 30 Euro pro Quadratmeter plus Aufschließungskosten würde ein Bauplatz derzeit in Poysdorf kosten. Die Stadt will Land zukaufen, aber die Bauern haben kein Interesse. "Ihnen ist Landbesitz wichtiger als Geld, auch wenn wir 40, 50 Euro für den Quadratmeter Grünland bezahlen", so Grießl. Beim Nein der Grundbesitzer spielt auch die A5 wieder ihre Rolle: Nach Fertigstellung spekuliert man mit einem Anstieg der Immobilienpreise. "Hundert Euro für den Quadratmeter sind schon drin", wird in Poysdorf gemunkelt.
Einwohner: 2658 Hauptwohnsitze, 346 Nebenwohnsitze
Gemeinde: Poysdorf im Weinviertel; Bezirk Mistelbach
Lage: 50 km von Wien, 12 km von Tschechien
Politik: 29 Gemeinderat-Sitze: ÖVP 22, SPÖ 5, FPÖ 2.
Wirtschaft: 6 MillionenLiter Wein pro Jahr, 52 Prozent Grüner Veltliner.
Größter Industriebetrieb: Gebauer & Griller
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