Polens Höhenflug gebremst

Im einstigen Wirtschaftswunderland des Ostens wollen Junge wieder auswandern.

Polen scheint ein reiches Land zu sein. Die Kinderwünsche zur Kommunion, jüngst in den Nachrichten kolportiert, sind nicht von schlechten Eltern: Das neueste Iphone ist eine Selbstverständlichkeit, Tablets, Notebooks und Quads stehen auf der Liste ganz oben.

Doch die aktuellen Zahlen des Hauptamtes für Statistik sprechen eine andere Sprache – das Wirtschaftswachstum des ersten Quartals liegt unerwartet bei gerade 0,4 Prozent. Noch 2011 wurden 4,3 Prozent verzeichnet, im vergangenen Jahr waren es noch 2,0. Polen stehe an der Schwelle zur Rezession warnen Experten in den polnischen Zeitungen.

Dazu lassen sich auch in Warschau, dem Herzen des polnischen Booms, erste Anzeichen feststellen: Taxifahrer beschweren sich über mangelnde Kundschaft, die Hallenbäder und andere kostenpflichtige Freizeitangebote sind deutlich weniger frequentiert als im letzten Jahr, und die städtische Mittelschicht entdeckt die Secondhand-Shops.

Profiteur der EU

Lange konnte das Land der europaweiten Krise trotzen: Dank einer konservativen Bankpolitik, einer in der Verfassung verankerten Schuldenbremse – und als größter Netto-Empfänger der EU-Staaten. Doch nun reduzieren internationale Mutterbanken, die in westeuropäischen Ländern auf staatliche Hilfen verzichten müssen, den polnischen Töchterbanken ihr Kreditvolumen.

Finanzminister Jacek Rostowski will nun die Rentenfonds reformieren, Steuervorschriften wurden verschärft. Zudem hat sich Polen der Initiative der G5-Länder (Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien) angeschlossen: Diese wollen über ein gemeinsames Informationssystem Steuerbetrüger besser erfassen.Optimisten in der liberalen Zeitung Gazeta Wyborcza verweisen auf die niedrigen Kreditraten, die niedrige Inflation sowie die niedrigen Energiepreise, die ein Abschwächen der Kaufkraft eindämmen können.

Doch gibt es weitere Indizien, die auf eine kritische Entwicklung weisen: so beklagt der ehemalige Reformer und Finanzminister Leszek Blacerowicz, dass das polnische Justizwesen den Reformprozess seit der Wende kaum mitgetragen habe. Der Business Centre Club behauptet, dass bereits 300 private Firmen durch Behörden in den Ruin getrieben wurde. Die Arbeitslosigkeit der 18- bis 25-Jährigen ist bereits auf fast 30 Prozent gestiegen, insgesamt lag die Arbeitslosigkeit im Mai bei 13,5 Prozent.

Dank der liberalen Beschäftigungspolitik haben die meisten Jungakademiker derzeit einen befristeten Vertrag. Großbritannien bleibt daher ein beliebtes Ausreiseziel unter polyglotten Absolventen.

Nach einer aktuellen Umfrage sind bereits 58 Prozent der Polen mit der wirtschaftlichen Situation des Landes unzufrieden – und noch weit mehr haben die Nase von der politischen Klasse voll.

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