Peking sucht Schuldige für Börsen-Crash

Spekulanten sollen am Absturz schuld sein. Achterbahn-Fahrt der Kurse geht weiter.

Die Rollercoaster-Fahrt an Chinas Börsen geht unverändert weiter: Einen Tag rauf, zwei Tage lang wieder runter. Die Furcht vor einer deutlichen Konjunkturabkühlung in der Volksrepublik ließ den
Shanghai-Composite-Index im Juli um 14,3 Prozent abrutschen- Auf Wochensicht kommt er auf ein Minus von 10 Prozent, die Börse in Shenzhen büßte im Vergleich zur Vorwoche 8,6 Prozent ein.

Trotz - oder gerade wegen - der massiven staatlichen Eingriffe kehrt keine Ruhe ein. Den chinesischen Anlegern fehlt das Vertrauen in die Aktienmärkte. Sobald sie mit ihren Positionen minimal im Plus liegen oder die Verluste schrumpfen, ergreifen viele die Flucht und verkaufen wieder. Experten gehen deshalb davon aus, dass der Staat den Märkten noch lange unter die Arme greifen muss, bis sich die seit Mitte Juni schon anhaltende Achterbahnfahrt wieder legt.

Schuldige gesucht

Die Regierung sucht die Schuldigen für den Crash allerdings bei Spekulanten. Die Wertpapieraufsicht CSRC kündigte am Freitag an, die Auswirkungen des automatisierten Handels auf den Markt zu prüfen. Einschränkungen seien bereits beschlossen. Nach Börsenangaben sollen einige Aktienkonten bis Ende Oktober ausgesetzt bleiben.

Die CSRC spricht von mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten. Dazu gehörten ungewöhnliche Kaufaufträge und Stornierungen, die die Entwicklung des Gesamtmarktes beeinflusst haben könnten.

Nach Angaben eines Insiders forderte sie auch von anderen asiatischen Börsen Unterlagen zum Handel mit einzelnen Papieren an. Die Finanzaufsicht hatte jüngst angekündigt, gegen „bösartige Leerverkäufe“ vorzugehen. Bei Leerverkäufen wetten Marktteilnehmer auf sinkende Kurse. Sie stoßen geliehene Wertpapiere ab, um sie später zu einem günstigeren Preis zurückkaufen zu können. Die Preisdifferenz streichen sie als Gewinn ein.

Auf und Ab geht weiter

„Auf der einen Seite versucht die Regierung, die Märkte zu stabilisieren und den Ausverkauf zu stoppen, aber auf der anderen Seite fehlt den Anlegern das Vertrauen, und sie lösen ihre Positionen auf“, sagte Gao Xiang vom Wertpapierhaus CITIC der Nachrichtenagentur Xinhua. Das Auf und Ab werde noch weitergehen.

Unter den gegenwärtigen Umständen sei es notwendig, dass die Unterstützung der Regierung lange anhalte, kommentierte Andrew Polk von der US-Denkfabrik Conference Board in Peking. „Der Markt wird wieder schwer unter Druck geraten, wenn die Regulierungsbehörden versuchen, sich irgendwie zurückzuziehen.“

Chinas Börsen seien gegenwärtig „alles andere als wirkliche Märkte“, findet Polk. „Vielmehr sind sie staatlich gelenkte Kanäle für Wertsteigerungen und die Kontrolle von Strömen der Liquidität.“ Die Höhe der Finanzmittel, die der Staat einsetzen müsse, um den Preis der Anlagen zu verteidigen, werde nur noch steigen, schreibt der Experte in einer Analyse.

Aktien auf Kredit gekauft

Seit vergangenem Monat sind Chinas Aktienmärkte auf einer Berg- und Talfahrt: Getrieben von einer großen Masse von Privatanlegern, die in großen Stil Aktien auf Pump kauften, war der Leitindex in Shanghai binnen eines Jahres um über 150 Prozent gestiegen.

Die Regierung und staatlich kontrollierte Medien hatten diesen Boom kräftig angeheizt - die Idee war, dass die chinesischen Unternehmen so zu frischem Geld kommen sollten, ohne dass die mit faulen Krediten ohnehin überforderten Banken belastet würden. Mitte Juni begann jedoch ein rasanter Kurseinbruch. Innerhalb von nur 18 Handelstagen verlor der Index 32 Prozent an Wert.

Mit radikalen Eingriffen gelang es der Regierung, die Kurse zunächst wieder zu stabilisieren. Die Zentralbank senkte die Zinsen auf ein Rekordtief, zudem wurde ein riesiges Kaufprogramm für Wertpapiere initiiert.

Angst vor "harter Landung"

Die Regierung in Peking drängte institutionelle Anleger zu Stützungskäufen, erschwerte die Kreditaufnahme für spekulative Börsengeschäfte und legte ein umgerechnet 36,6 Mrd. Euro schweres Konjunkturprogramm auf. Außerdem wurden die Hälfte aller in Festlandchina notierten Aktien vom Handel ausgesetzt. Mit Fortdauer der Börsenkrise steigen allerdings die Sorgen, ob die Regierung den Wirtschaftskurs tatsächlich unter Kontrolle halten kann.

Peking sucht Schuldige für Börsen-Crash

Im Hafen in Ningbo kam es vergangene Woche zu einem Coronafall

Die große Befürchtung ist, dass der Konjunktur eine "harte Landung", also ein deutlicher Wachstumseinbruch, droht. Das hätte massive Folgen für die Handelspartner und damit auch die Weltwirtschaft.

Der Crash hat fast vier Billionen Dollar (3,65 Bill. Euro) an Marktwert vernichtet - Geld, das nun für Anschaffungen fehlt. Auto-Hersteller spüren dies bereits.

Löchriges soziales Netz

Die staatlichen Wirtschaftslenker in Peking sorgen sich nun, dass die abflauende Konjunktur zu sozialen Verwerfungen führen könnte - auch weil das soziale Netz noch zu löchrig ist. Laut der Planungskommission sollte die Regierung es enger knüpfen. „Damit soll sichergestellt werden, dass sich wirtschaftliche Risiken nicht in soziale Gefahren verwandeln“, warnte die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission in einer Internet-Botschaft.

Peking ist vor allem bestrebt, die Arbeitslosenquote niedrig zu halten. Offizielle Zahlen werden zwar nicht ausgewiesen. Doch in Städten pendelte die Quote in den vergangenen zwölf Jahren stets um die vier Prozent. Die jetzt schwächere Konjunktur und strengere staatliche Umweltauflagen haben allerdings dazu geführt, dass insbesondere im Industriegürtel im Nordwesten des Landes beim Personal der Rotstift angesetzt wurde.

(sda/dpa) Der Kauf des Flugzeugabfertigers Swissport durch die chinesische HNA-Gruppe um 2,73 Mrd. Franken (2,6 Mrd. Euro) steht für einen Trend, der schon seit einiger Zeit zu beobachten ist: Chinesische Firmen investieren nicht mehr nur auf dem Heimmarkt, sondern nehmen vor allem europäische Unternehmen gerne ins Visier.

Laut einer Auswertung des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen PwC haben chinesische Konzerne und Investoren im vergangenen Jahr 57 Mrd. Dollar (52 Mrd. Euro) in Übernahmen und Zusammenschlüsse im Ausland investiert. Damit hat das Transaktionsvolumen gegenüber 2013 um knapp 10 Prozent zugenommen, wie aus dem im Frühling publizierten „China Compass“ hervorgeht. Die Zahl der chinesischen Auslandtransaktionen stieg von 200 auf 272.

PwC sieht als Gründe für die Auslandexpansion die Reformen bei chinesischen Staatsunternehmen und die Konsolidierung der Binnenwirtschaft. Tatsächlich haben die Investitionen innerhalb Chinas im vergangenen Jahr um 63 Prozent zugenommen. Vor diesem Hintergrund entwickelten sich auch die Auslandsaktivitäten gut, weil chinesische Unternehmen weiter nach neuen Märkten Ausschau hielten und ihr Portfolio diversifizierten, heißt es im Bericht.

Wegen ihres Know-hows gelten besonders europäische und nordamerikanische Firmen als populäre Übernahmeziele. Zudem lassen sich mit einem Engagement im Ausland neue Märkte erschließen.

Fünftgrößte Übernahme in Europa

Der Swissport-Deal ist nach einer Erhebung der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg die fünftgrößte Firmenübernahme in Europa durch ein chinesisches Unternehmen. Damit verstärke sich die seit einiger Zeit rollende Welle chinesischer Direktinvestitionen in Europa weiter, schreibt die Agentur.

Erst Anfang Juli hatte die EU-Kommission der Übernahme des italienischen Reifenherstellers Pirelli durch den Chemiekonzern ChemChina zugestimmt. Die noch nicht abgeschlossene Transaktion hat einen Umfang von insgesamt 7,1 Mrd. Euro.

Auch in der Schweiz haben chinesische Investoren wiederholt Schlagzeilen gemacht, etwa vor drei Jahren, als die Beteiligungsgesellschaft Baoshida zwei Fabriken des pleite gegangenen Metallunternehmens Swissmetal übernahm. Davor hatte der Industriekonzern OC Oerlikon gut die Hälfte seiner Textilmaschinensparte an den chinesischen Konzern Jingsheng verkauft.

2013 kaufte zudem die chinesische Gruppe Haidan die Uhrenmarke Corum aus La Chaux-de-Fonds um 86 Mio. Franken (80,96 Mio. Euro). Das gleiche Unternehmen übernahm im vergangenen Jahr um 40,8 Mio. Franken die Dreyfuss-Gruppe mit ihren Schweizer Uhrenmarken Rotary und Dreyfuss & Co sowie der englischen Marke J&T Windmills.

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