OMV-Chef Roiss: "Politik fehlt konkretes Ziel"

Wenige Wochen nach seinem Ausscheiden aus dem OMV-Konzern spricht Gerhard Roiss im KURIER-Interview über mangelnde Industriepolitik, die verkehrte Bildungsdebatte und die Chancen für Asylwerber.
KURIER: Herr Doktor Roiss, die schnelle Umstellung vom Spitzenjob ins normale Leben ist schon vielen schwer gefallen. Manche mussten wieder Autofahren lernen und sich daran gewöhnen, dass ihre Befehle nicht sofort umgesetzt werden. Wie geht es Ihnen?
Gerhard Roiss: Ich genieße die neue Phase meines Lebens. Ich habe wieder mehr Zeit zum Nachdenken und Reflektieren.
Ihr Abschied von der OMV war umstritten. Der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Kemler hat kürzlich gesagt: "Herr Roiss war der Konflikttreiber."
Ich habe in den letzten Monaten öfters überlegt, auf diese vielen Unwahrheiten zu antworten, werde das aber nicht tun. Auf das Niveau dieses Ingenieurs begebe ich mich nicht. Letztlich wurde mein Vertrag ja zu 100 Prozent erfüllt.
(Gemeint ist Rudolf Kemler, Ex-ÖIAG Chef. Anm.d.Red.)
Sie wurden ja mit einem anonymen Brief bedroht, in dem es Korruptionsvorwürfe gab und mit "MH17" - also dem Abschuss eines Verkehrsflugzeuges - unterzeichnet war.
Es erschüttert mich heute noch, mit welchen Mitteln man versucht hat, meinen freiwilligen Rücktritt zu erzwingen.
Ahnen oder wissen Sie, wer den Brief geschrieben hat?
Ja, ich habe viel Ahnung, habe aber derzeit nicht vor, darüber zu sprechen.
Kam das aus dem Unternehmen heraus?
Zurzeit rede ich nicht darüber.
Ein Grund für den Abschied war offensichtlich Ihre Weigerung, die Tochter Borealis zu verkaufen. Kann das noch passieren?
Durch den Abgang des Chefs des Abu Dhabi-Staatsfonds IPIC hat sich vieles verändert. Rückblickend bin ich sehr stolz darauf, wie wir in den letzten zehn Jahren die Borealis zu einem weltweit beachteten Konzern mit 8 Mrd. € Umsatz aufgebaut haben.
In der OMV gibt es einen Syndikatsvertrag zwischen Österreich und der IPIC. Bleibt der?
Das ist eine Frage an den Eigentümer – sprich den Finanzminister.
Was sollte Österreich tun?
Generell muss Österreich wieder industriepolitische Konturen zeigen. Unser Problem ist ja, dass es da keine langfristige Orientierung gibt. Vor 20 Jahren wurde politisch festgelegt, in der Autozulieferindustrie stärker zu werden, Stichwort 3-Liter-Auto. Man hat sich intelligent an die deutsche Industrie angelehnt. Es wurden Schwerpunkte gesetzt und Investitionen stimuliert.
Welche Industriepolitik erwarten Sie von der Regierung?
Ich würde mir die nachhaltigen Wachstumsbereiche anschauen und deren Ausbau unterstützen. Wir müssen, so wie Start-ups, einfach anfangen und lernen. Was mir in Österreich auch fehlt, ist ein ausgeprägtes Bekenntnis zur Leistung. Eine IMAS-Studie vom April zeigt, dass 44% der Bevölkerung meinen, "Leistung zahlt sich in Österreich nicht aus". Hier sehe ich dringenden Handlungsbedarf.
Sie sitzen im Verwaltungsrat eines großen Schweizer Industrieunternehmens. Was ist in der Schweiz anders?
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, mussten die Schweizer Unternehmen wegen der Freigabe des Wechselkurses die Kosten senken, u. a. durch Anpassung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 42,5 Stunden ohne Lohnausgleich! Kleine Länder müssen besonders flexibel sein und zeitnah reagieren. Beharrungstendenzen in der falschen Richtung wirken sich nachhaltig schädlich auf den Wirtschaftsstandort aus. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Schweiz in der globalen Wettbewerbsfähigkeit der Staaten seit Jahren im Ranking zwischen Platz 1 und 5 liegt, Österreich hingegen sich zwischen Platz 23 und 30 bewegt!
In der Schweiz ist der Föderalismus ausgeprägter und die sind trotzdem flexibler?
Der Schweizer Föderalismus ist ein Wettbewerbsföderalismus mit klaren Kompetenzen. In Österreich sind die Strukturen teilweise überlappend und unklar. Wettbewerbselemente sind fremd.Schauen Sie sich nur das Chaos bei den Asylwerbern an. Wir sind derzeit kaum in der Lage, den Hilfe suchenden Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben. Öffentlich beschuldigen sich Bund und Länder gegenseitig wer die Verantwortung an diesem Dilemma trägt. Ist das Lösungskompetenz? Dann stellt sich die nächste Frage: Wie integriere ich diejenigen, die hierbleiben und welche Ausbildung gewähre ich Ihnen? Das sind Leute, die vielleicht Fähigkeiten haben, die wir dringend brauchen können. Da habe ich diesbezüglich von den Verantwortlichen noch nichts gehört.
Auch die Bildung geht im Föderalismus unter.
In der Schweiz wird diskutiert, dann stimmt das Volk ab und dann haben Sie eine Entscheidung. Bei uns wird diskutiert und es gibt keine Entscheidung. Bei der Bildung diskutieren wir bereits seit Jahren deren Verwaltung, zu wenig die Inhalte und schon gar nicht Innovation, wie eLearning etc.Die Schweiz hat die höchste Zahl an Elite-Universitäten pro Kopf weltweit und gibt auch pro Kopf mehr Geld für Bildung aus. Und noch etwas: Manchmal fühle ich, dass für viele junge Leute Bildung gar kein Wert mehr ist. Das sind dann die Arbeitslosen von morgen. Das zu ändern ist ein Gebot der Stunde.
Was müsste man ändern?
Zu viele Machthaber sind zu lange im Amt. Zehn Jahre, das muss reichen. Das gilt auch für CEOs. Wer zu lange in seiner Position bleibt, verteidigt oft nur das Bestehende und blockiert Veränderungen. Österreich war immer ein Verwaltungsstaat und als solcher schwer reformierbar.
CEOs und Unternehmer schimpfen gerne auf die Politik, aber keiner ist bereit, Politiker zu werden. Sie hätten jetzt Zeit.
Ich persönlich finde Politik sehr spannend, habe aber meiner Frau zur Hochzeit versprochen, nie Politiker zu werden. Und ich halte meine Versprechen!
Gehen wir zur Energiepolitik: Der Iran wird wieder Handelspartner. Was heißt das für unsere Im- und Exporte?
Österreich hat im Handel mit dem Iran einen guten Ruf und eine lange Tradition. Der Iran ist ein großer Markt mit einem großen Nachholbedarf. Wir haben schon vor einem Jahr begonnen, drei große Öl- und Gasfelder zu verhandeln.
Das heißt, die OMV kann jetzt Öl und Gas fördern?
Das muss die jetzige Führung entscheiden. Erlauben Sie mir zum Abschluss noch einen positiven Kommentar: Wir erinnern uns noch an die Zeit, als Österreich in den meisten Wirtschaftskennzahlen, im europäischen Vergleich, im oberen Drittel gelegen ist. Das heißt, wir Österreicher haben Leistungskraft und die intellektuelle Kapazität, um die Kriechspur und den Pannenstreifen zu verlassen und wieder auf die Überholspur zurückzukehren. Damit dies gelingen kann braucht es den Mut, dies als konkretes Ziel auszusprechen und die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten.
Zur Person
Gerhard Roiss (63) studierte Wirtschaft in Wien, Linz und Stanford ( USA). 1990 übernahm er das Marketing der OMV, 1997 wechselte er in den Vorstand. Per 1. April 2001 wurde er OMV-Generaldirektor. Sein vorzeitiger Abgang als OMV-Chef per Ende Juni 2015 war umstritten. Roiss sitzt im Verwaltungsrat des Schweizer Industriekonzerns Sulzer. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.
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