Ökonom warnt vor "Kernschmelze in deutscher Industrieproduktion"

Gabriel Felbermayr, WIFO
Der deutsche Ökonom Gabriel Felbermayr hält gezieltes Anwerben von Fachkräften von außerhalb der EU für notwendig.

Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr, warnt davor, den demografischen Wandel in Deutschland und Österreich zu unterschätzen. Dies sei auf absehbare Zeit wirtschaftlich die "größte Herausforderung in Mitteleuropa", sagte der Ökonom in seiner Gastrede vor dem WKÖ-Wirtschaftsparlament in Wien am Donnerstagvormittag.

Der gebürtige Oberösterreicher ist seit März 2019 Chef des renommierten Instituts und lehrt als Professor für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Felbermayr appellierte an die Politik den demografischen Wandel "nicht unter den Teppich zu kehren" und mit einer gezielten Einwanderungspolitik Schlüsselarbeitskräfte aus Staaten von außerhalb der EU anzuwerben. Die geburtenstarken Jahrgänge der "Babyboomer" (Jahrgang 1955 bis 1969) kommen nun ins Pensionsalter. Dies werde die Wirtschaft "mehr aus den Fugen heben als andere Dinge", so die Einschätzung des Ökonomen. Das Median-Alter der Beschäftigten in deutschen und österreichischen Unternehmen werde in den nächsten 10 Jahren in Richtung 50 Jahre gehen. "Im Vergleich zu Deutschland kommt die demografische Entwicklung mit fünf, sechs Jahren Verzögerung auch in Österreich an", sagte Felbermayr.

"Abwärtssog"

In der deutschen Industrie ortet der Ökonom eine "Kernschmelze". Seit Anfang 2018 geht die Industrieproduktion in Deutschland stark zurück und ist derzeit wieder auf dem Niveau von Anfang 2015. Österreichs Industrie könne sich dem Abwärtssog nicht ganz entziehen, sei aber in einer besseren Ausgangslage, so Felbermayr. Österreichs Wirtschaft wächst seit 2017 deutlich stärker als Deutschland und soll künftig auch kräftiger zulegen.

Der Ökonom empfiehlt der künftigen Regierung in Österreich bei Politikvorhaben immer Rechtssicherheit und wirtschaftliche Planbarkeit für Unternehmen im Auge zu behalten. Als Negativbeispiel führte er die Energiewende in Deutschland an: Wegen fehlender Energiekapazitäten sei die Entwicklung des Strompreises in Deutschland in den kommenden Jahren nicht absehbar und Unternehmen könnten ihre energieintensive Produktion nicht kalkulieren. "Ordnungspolitik ist immer noch Trumpf", so Felbermayr. Die Politik solle "klare und verlässliche Leitscheinen aufstellen und die Wirtschaft machen lassen".

Für die deutsche Autoindustrie und die österreichischen Autozulieferer erwartet Felbermayr eine Konsolidierungsphase. "Da hilft kein Leugnen. Panik brauchen wir aber keine haben." Der Stellenabbau in der Autoindustrie sei dem technischen Strukturwandel sowie brancheninternen Fehlern wie dem Dieselskandal geschuldet.

Am Donnerstag tagte das Wirtschaftsparlament der Wirtschaftskammer Österreich in Wien. Das Wirtschaftsparlament tritt zwei Mal jährlich zusammen und ist das oberste gewählte Gremium in der Wirtschaftskammer. Der ÖVP-Wirtschaftsbund forderte eine Reduktion des Selbstbehalts für Selbstständige, wenn Gesundheitsziele eingehalten werden. Die WKÖ-Fraktion Freiheitliche Wirtschaft (FW) ortete Nachbesserungsbedarf beim Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw. Nichtraucherschutzgesetz. Die Fraktion Grüne Wirtschaft drängte auf eine CO2-Bepreisung und den Stopp von umweltschädigenden Förderungen.

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