Nobelsocken aus dem Sauerland

Ein Mann geht durch eine Fabrikhalle voller Strickmaschinen.
Falke produziert Socken in Handarbeit und auf Maschinen, die teilweise 60 Jahre alt sind.

Der Fahrer der Familie Falke hat noch nie in seinem Leben andere Socken getragen. "Das wäre eine Todsünde", sagt er. Sein Vater hat schon für den Sockenproduzenten gearbeitet, überhaupt ein Großteil seiner Familie. Falke gehört in Schmallenberg zum Stadtinventar. Seit 1895 strickt die Familie hier Socken und Stümpfe, Falke ist der größte Arbeitgeber der Stadt, einer der größten der Region. "Wir haben Mitarbeiter, die seit über 50 Jahren im Betrieb sind", erzählt Paul Falke, der die Firma mit seinem Cousin Franz-Peter seit 1990 in vierter Generation führt. "Auf ihr Know-how können wir nicht verzichten. Zum Glück liegt die Fluktuation im Betrieb im Promillebereich", erklärt der Firmenchef.

Eine Person hält eine schwarze Sturmhaube in den Händen.
Falke, honorarfrei
Das Know-how einer guten Socke zeigt sich an der Spitze. Damit sie flach wird und die Naht nicht drückt, wird hier im Sauerland immer noch per Hand produziert. Beim Ketteln muss die Arbeiterin jede Masche des Sockens auf Nadeln fädeln – eine unglaubliche Fitzelarbeit, die keine Maschine übernehmen kann. In der Socken-Manufaktur sieht es aus wie im 20. Jahrhundert, ein Flair wie in einem Industriemuseum. 250 Strickmaschinen stehen in der Produktionshalle, die Hälfte davon ist 60 Jahre alt. "Die Maschinen machen eine Qualität, die man bisher auf den neueren Maschinen nicht hinbekommen hat. Wir haben ein Produkt mit Plüschsohle, die kommen von diesen alten Bentleys runter wie sonstwas", schwärmt Paul Falke. Diese Maschinen würden in ihrer Wartung zwar mehr kosten als neue, aber das sei es wert. In vier bis fünf Minuten ist eine Socke gestrickt, dann folgen weitere zehn Arbeitsschritte bis zum fertigen Produkt. Bei Feinstrumpfhosen sind es sogar 15 Handarbeitsschritte. Das hat seinen Preis: Falke-Socken kosten ab elf Euro das Paar.

Das Unternehmen machte 2012 230 Millionen Euro Umsatz, produzierte 400 Millionen Paar Socken in Deutschland, Portugal, Serbien und der Slowakei. Mitarbeiter: 3100. Hauptabsatzmarkt ist Deutschland, stark sind auch die Märkte Schweiz und Österreich.

KURIER: Herr Falke, Männersocken ...

Paul Falke: ... sind ein heikles Thema, das bei Männern noch nicht angekommen ist.

Empfehlen Sie Socken oder Strümpfe?

Meine feste Überzeugung sind Strümpfe, wir verkaufen aber zu 90 Prozent Socken. In Italien und den südlichen Ländern ist es genau umgekehrt. Das "Zu warm"-Argument zählt nicht, wenn es das richtige Material ist. Für mich: Wolle-Seide.

Schwarz oder Farbe?

Beides. Beim Begräbnis Schwarz, sonst ist alles erlaubt, außer Weiß.

Ringelsocken für Männer?

Ja, die gibt es.

Wie groß ist Ihre Sockenlade?

Groß. So groß wie dieser Raum (ca. 35 , Anm.).

Bei einem Loch: Stopfen oder Wegwerfen?

Wegwerfen. Stopfen lohnt sich nicht.

Sie machen 40 Millionen Paar Socken pro Jahr in Europa. Warum gehen Sie nicht nach Asien?

Wir brauchen die Billigproduktion in Asien nicht, wir kommen hier gut klar. Viele Branchenkollegen sind verschwunden, weil sie zu spät begriffen haben, dass man arbeitsteilig vorgehen muss. Die Strickmaschinen hier laufen mit einer sehr hohen Produktivität – da stimmt die Rechnung. Apropos Rechnung: Haben Sie eine Idee, was der Durchschnittspreis von Socken ist?

Sagen Sie es mir.

Zwei Euro.

Die Mehrheit der Menschen kauft also billig im Fünferpack.

Ich glaube, die Mehrheit ist hybrid. Der Konsument kauft den billigen Fünferpack und dann wieder ein teures Markenprodukt für bestimmte Gelegenheiten.

Sie verlangen mehr als zwei Euro. Trotzdem: Wie kommen Sie mit den Löhnen in Europa klar?

Die Lohnkosten in Europa, etwa in unserem neuen Werk in Serbien, sind nicht wesentlich höher als in China. Die Chinesen sind einmal sehr billig gewesen und werden immer teurer. Wir gehen an europäische Orte, wo wir niedrigere Lohnkosten haben, um die Mischkalkulation hinzubekommen und die über 1000 Mitarbeiter in Deutschland zu halten. Das funktioniert.

Was hat die Wirtschaftskrise mit dem Sockenmarkt gemacht?

Gar nichts. Wir hatten 2008, 2009, 2010 die besten Jahre unserer Geschichte.

Das Gebäude von Franz Falke-Rohen mit blühenden Blumenkästen an den Fenstern.
Falke honorarfrei
Können Sie sich das erklären?

Vielleicht kaufen die Leute qualitativ höher anstatt viele Wegwerfprodukte. Wir waren selbst überrascht. Probleme gab es bei Kaufhäusern – aber nicht wegen der mangelnden Profitabilität der Strumpfabteilungen.

Wo liegt die preisliche Schmerzgrenze bei Socken?

Diese Schmerzgrenze gibt es natürlich, wir reizen sie aber nicht aus. Sie müssen wissen: Wenn Sie 20 Euro für ein paar Socken bezahlen, krieg ich acht Euro, wenn’s gut geht. Dafür läuft eine Socke in unserer Produktion durch zehn Hände, ist fünf Tage unterwegs. Der Handel macht ungefähr einen Aufschlag von 150 Prozent.

Eine Abkürzung könnten Sie nehmen, wenn Sie online verkaufen. Das müsste bei Socken doch gut funktionieren.

Stimmt, ich bin auch sehr online-affin. Socken sind ein ideales Produkt für den Online-Verkauf. Trotzdem fahren wir Multichannel, unterstützen bis zum letzten Atemzug unsere Einzelhandelspartner.

Ist die Onlineentwicklung so, wie Sie sich das vorstellen?

Leider nicht. Man muss das langsam machen. Wir brauchen aber nach wie vor die Bühne im Einzelhandel.

Fachhandelstreue und keine Ausverkäufe also.

Ja. Sale machen wir nicht. Da wird der Verbraucher darauf trainiert, nie zum Normalpreis zu kaufen. Da können wir nicht mitmachen. Als einziges Marketing-Instrument den Rotstift anzusetzen, das wäre billig.

Es gibt Falke seit 1895, wie lässt man sich ständig etwas Neues einfallen?

Man muss sagen: Bis nach dem Zweiten Weltkrieg hat man einen Strumpf getragen, damit man keine kalten Füße hatte. Erst dann kamen neue Ideen dazu, hat man Socken mit Mehrwert versehen.

Ist das der Trend? Socken mit Mehrwert?

Das ist ein Trend, speziell im Sport, der bei uns 20 Prozent vom Geschäft ist. Da hat sich viel getan, etwa dass wir bei den Sportsocken zwischen links und rechts unterscheiden, dass wir nach der Fußform schneidern und besser polstern. Wir müssen die Produkte stark differenzieren. Eine blaue Socke ist nicht gleich eine blaue Socke.

So verkaufen Sie mehr?

Ja, wir müssen uns ständig adaptieren, damit die Kunden nicht zu etwas anderem greifen. Die Menschen dahin zu bringen, ein bestimmtes Produkt zu kaufen, ist sehr schwierig. Eine Frau von einer geliebten Strumpfhose aber wieder abzubringen, ebenso. Zum Glück.

Ihre Firma hat lange Tradition. Was haben Sie von Ihrem Vater mitbekommen?

Diese Dinge werden immer so hochgespielt. Ich finde, man muss sich vernünftig, ehrlich, aufrichtig und seriös verhalten. Das muss dann auch nicht in irgendeinem Code of Conduct niedergeschrieben stehen. Hätte ich als Jugendlicher den Tanz am Vulkan gemacht, hätte mein Vater nicht dafür plädiert, dass ich sein Unternehmen weiterführen soll.

Wer genug hat von nüchternen Quartalsberichten und einer seelenlosen Wirtschaft, der schaut in eines der traditionellen Familienunternehmen, die es in Österreich und Deutschland zum Glück immer noch gibt.

Dort ist die Welt eine andere, ...
... weil es keine niedergeschriebenen Verhaltenskodices gibt, die erklären, was man tun und unterlassen soll, sondern eine anerzogene Verantwortung für das Unternehmen und eine seriöse Herangehensweise an das Wirtschaften (aus einem Gespräch mit Paul Falke, Sockenproduzent).

... weil der Umgang mit den Mitarbeitern dort wertschätzend und menschlich ist, es keine Tricksereien bei Anstellung und Verträgen gibt, sondern die Firmeninhaber auf langfristige Zusammenarbeit aus sind (aus einem Gespräch mit Carl Manner, Süßwarenproduzent).

... weil sie die Produktion im Land halten wollen und auf das Know-how ihrer Mitarbeiter stolz sind (aus einem Gespräch mit den Geschäftsführern von Silhouette).

... weil Rationalisierung und Kostenoptimierung bis auf den letzten Cent nicht allgegenwärtiger Unternehmensinhalt sind (Paul Falke).

... weil sie langfristig denken, bis hinein in die nächste Generation (aus einem Gespräch mit Peter Schöffel, Sportbekleidungsproduzent).

Nicht, dass in Familienbetrieben immer alles völlig reibungslos läuft. Aber diese Firmen, die es seit fünfzig, siebzig oder hundert Jahren gibt, müssen sehr viel richtig machen – das bestätigen der Markt und ihre lange Überlebenszeit.

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