Neuroth-Chef Schinko: „Die Brille ist uns 20 Jahre voraus“

Neuroth-Chef Schinko: „Die Brille ist uns 20 Jahre voraus“
Firmenchef Lukas Schinko über das Stigma des Hörverlusts, die Babyboomer als Wachstumsmarkt und warum er in Bosnien expandiert.

Lukas Schinko (35) führt Österreichs Marktführer in der Hörakustik in vierter Familiengeneration. Im KURIER-Interview spricht er über das Tabuthema Hörminderung, Expansionspläne am Balkan und warum er in Filialen eigene Hörberater beschäftigt.

KURIER: Angesichts der demografischen Entwicklung müssen Sie sich über die Zukunft in Ihrer Branche keine Sorgen machen, oder?

Lukas Schinko: (Lacht) Nein, nicht wirklich. Das Einstiegsalter beim Hörgerät liegt bei 70 Jahren, sinkt aber leicht. In ein bis zwei Jahren kommen dann die Babyboomer zu uns ...

Und lösen einen Umsatzboom aus ...

Das Problem ist, dass viele noch fünf bis sieben Jahre zuwarten, obwohl sie bereits eine Hörminderung haben. Wir wissen, dass jeder fünfte Österreicher einen versorgungswürdigen Hörverlust hat, davon ist aber erst ein Viertel in der Versorgung. Drei Viertel des potenziellen Hörgeräte-Marktes ist also noch unversorgt. Die Wartenden sind das Gros der Unversorgten. Je länger man wartet, desto schwieriger wird es mit der Wiederherstellung des Hörvermögens.

Was ist zu tun?

Das Stigma muss weg. Hörgeräte sind längst keine beigen Bananen mehr, die hinterm Ohr picken, sondern mittlerweile sehr schöne Produkte. Es geht darum, einen positiven Bezug zum Thema Hören aufzubauen, damit die Behandlung besser akzeptiert wird. Da ist uns die Brille 15 bis 20 Jahre voraus. Niemand würde heute mehr sagen, schlecht sehen ist eine Krankheit. Beim Hören ist das anders. Hier schwingt immer noch der Beigeschmack mit, man ist jetzt alt und krank.

Neuroth-Chef Schinko: „Die Brille ist uns 20 Jahre voraus“

Lukas Schinko bei der Hörgeräte-Reparatur in einer Wiener Filiale

Sie führen auch Hörtests durch, was viele HNO-Ärzte kritisch sehen, weil aus ihrer Sicht Kompetenzen überschritten werden, um rasch Produkte zu verkaufen.

Das überschneidet sich manchmal. Wir können nur Hörvermögen messen, aber keine Diagnose erstellen. Der HNO-Arzt macht den Hörtest unter dem medizinischen Aspekt mit Diagnose.

Trotz der aktuellen Konjunkturflaute setzen Sie Ihre Expansion am Balkan fort. Was ist geplant?

Wir haben gerade eine Akquisition in Bosnien getätigt und dadurch von einer auf fünf Filialen aufgestockt. In Serbien haben wir zehn Standorte, auch in Slowenien und Kroatien sind wir präsent. In Summe wollen wir in der Region Südosteuropa von 35 auf 50 Standorte aufstocken und können uns vorstellen, noch in weitere Länder hineinzugehen.

Warum ist gerade der Balkan so interessant für Sie?

Als Steirer hat es uns direkt in den Süden gezogen, zuerst 2008 nach Slowenien und dann immer weiter hinunter. Die Hörgeräte-Märkte dort sind noch unterversorgt, und wir wurden als österreichisches Traditionsunternehmen sehr gut empfangen.

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In Österreich haben Sie 145 Standorte. Sind weitere Filialen geplant?

Wir haben schon eine gute Abdeckung im Land, der Markt ist relativ stabil.

Stichwort Fachkräftemangel. Wie schwierig ist die Personalsuche?

Da geht es uns derzeit nicht anders als den anderen Betrieben. Es ist ein enormer Kampf um jede Mitarbeiterin bzw. jeden Mitarbeiter.

Sie haben mit dem Hörberater ein eigenes Jobprofil kreiert. Was steckt dahinter?

Die Produkte werden immer ausgefeilter und beratungsintensiver, man denke nur an die Kopplung mit dem Smartphone. Wir bieten daher alternativ zum Lehrberuf Hörakustiker/in in Zusammenarbeit mit einer Akademie in Deutschland ein mehrwöchiges Ausbildungsprogramm zum Hörberater an. Aktuell haben wir 30 davon, gerade startet ein Kurs mit 20 Teilnehmern. Damit sprechen wir auch Quereinsteiger an.

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Wie gehen Sie mit den stark gestiegenen Energie- und Lohnkosten um? Können Sie diese auf die Hörgerätepreise aufschlagen?

Wir müssen natürlich leichte Preissteigerungen durchführen, die Hörgeräte-Preise sind im unteren einstelligen Prozentbereich gestiegen. Wir versuchen auch, so gut es geht, interne Effizienzen zu steigern, etwa durch Stromsparen.

Noch eine private Frage: Sie führen den 1907 gegründeten Familienbetrieb jetzt in vierter Generation. Gibt es schon eine fünfte?

Ja, die rollt quasi schon heran. Ich habe zwei Kinder im Alter von viereinhalb und zwei Jahren. Das Schöne als Familienunternehmen ist, dass wir im Bedarfsfall unbeeinflusst selbst entscheiden können. Unser Ziel ist, für die Übergabe an die nächste Generation gut zu wirtschaften. In der Pandemie etwa war uns die Versorgung unserer Kunden wichtiger als der Gewinn. Diese Entscheidungsfreiheit schätze ich sehr.

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