Nach Griechenwahl: "Euro überlebt, nicht bei allen"

Zwei Männer sitzen an einem Tisch und diskutieren.
Neben der Euro-Krise erklärt der neue IHS-Chef Christian Keuschnigg auch die Herausforderungen für Österreich.

Über Banken und den Euro, über Italien und Griechenland, über Österreich und die Schweiz, sprach der KURIER mit dem Top-Ökonomen, der in Wien und St. Gallen tätig ist.

KURIER: Wie geht es jetzt nach den Wahlen in Athen weiter? Überlebt der Euro? Angeblich haben wir nur drei Monate Zeit, ihn zu retten.

Christian Keuschnigg:Ich hoffe doch, dass sich die gemäßigteren, pro-europäischen Kräfte durchsetzen. Entscheidend ist, ob eine stabile Regierung gebildet werden kann. Ein neuerliches politisches Patt in Athen wäre eine Katastrophe.

Und der Euro?

Ja, ich glaube schon, dass er überleben wird, aber die Unsicherheit ist heute sehr groß und man kann nur in Szenarien rechnen. Am wahrscheinlichsten ist, dass der Euro überlebt, aber vielleicht nicht bei all seinen Mitgliedern.

Nach Schätzungen kostet der Euro-Austritt Griechenlands Österreich fünf bis zehn Milliarden Euro. Sie halten das für bewältigbar, ebenso einen Abschied Spaniens vom Euro. Aber was bleibt dann noch? Ein Schrumpf-Euro rund um den früheren D-Mark-Block?

Wenn die Entwicklung eskaliert und die Länder einfach nicht mehr zurechtkommen, dann gibt es zum Euro-Austritt keine Alternative. Das Wichtigste bei einem Euro-Austritt ist, dass Kapitalflucht verhindert wird. Denn wenn die Leute ihr Geld von den Banken abheben, werden viele zusätzliche Probleme erst geschaffen, die vorher in dieser Schärfe noch gar nicht vorhanden waren. Am Ende bliebe eine Gruppe von Ländern über, die als Währungsraum homogener sind. Dies ist aber ein Extremszenario.

Also eine Art Kern-Euro?

Ja, aber: Je eher so eine Art Kern-Euro von Deutschland dominiert wird, desto eher müsste diese Währung aufwerten und es entstünde auch Anpassungsdruck im Norden über die verringerte preisliche Wettbewerbsfähigkeit. Der Vorteil wäre jedoch ein Wohlfahrtsgewinn für Haushalte und Konsumenten. Man wird dadurch reicher.

Glauben Sie, dass auch Italien unter den Euro-Rettungsschirm muss?

In Italien ist die wirtschaftliche Situation sicherlich sehr viel besser als in Spanien. Die Italiener müssen auch ihren Arbeitsmarkt reformieren, kurzfristig vielleicht Null-Lohnrunden fahren, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, aber das ist alles bewältigbar. Italien hat auch kein wesentliches Bankenproblem, aber die öffentliche Überschuldung ist das große Problem in Italien. Jeder Prozentpunkt an Zinssteigerung wirkt sich bei so hohen Staatsschulden überproportional aus. Es müsste eine Garantie geben, dass das Anlegervertrauen wiederhergestellt und der Zinsanstieg vermieden wird.

Welche Garantie?

Eine Garantie aus zwei Quellen: Das Land selbst muss glaubwürdige und nachhaltige Reformen umsetzen. Und zweitens müssen die europäischen Institutionen bereitstehen, einen Ausfall zu verhindern.

Also muss Italien doch unter den Rettungsschirm?

Dazu müsste er aber mit einer entsprechend großen Kapazität ausgestattet werden. Eine Erhöhung auf sagen wir 1000 Milliarden Euro wäre nötig. Andere Alternativen sind noch problematischer.

Italien, Spanien, Griechenland ... Wann fällt das Triple-A Deutschlands?

Wenn die Lage derart eskaliert, gibt es auch keinen Euro in der heutigen Form mehr. Da würden vorher einige Länder austreten.

Für die noch reichen Länder schlagen Sie höhere Löhne vor, damit nicht auch noch der Konsum abgewürgt wird ...

Entscheidend ist, dass über höhere Löhne in Deutschland mehr Nachfrage in Europa erzeugt wird, diese aber im Süden auch ankommt. Deshalb muss dort die Wettbewerbsfähigkeit steigen. Man darf freilich bei den Lohnsteigerungen nicht übertreiben.

Ist es vernünftig, die Budget-, Steuer- und Wirtschaftspolitik zu vereinheitlichen und künftig alle bis hin zu den Banken über einen EU-Kamm zu scheren?

Nur teilweise. Die Bankenunion braucht es, weil Europas Großbanken grenzüberschreitend unterwegs sind. Daher ist die zentrale Aufsicht nötig. Auch der Fiskalpakt macht Sinn, damit jedes Land weiterhin seine Steuer- und Ausgabenpolitik machen kann, aber seine Verschuldung unter Kontrolle hält.

Müssen Großbanken zerschlagen werden, damit das "Too-big-to-fail"-Problem endlich gelöst wird?

Nein, wir leben in der freien Marktwirtschaft. Nötig sind aber höhere Eigenkapitalquoten für Banken, um die Krisenrobustheit zu steigern. Dann wird weniger riskant investiert. Das ist wie bei einem Privatkredit auch, wenn der nötige Eigenmittelanteil steigt.

Was ist die größte wirtschaftspolitische Herausforderung für Österreich?

Österreich muss mit oder ohne Euro wettbewerbsfähig bleiben. Das geht nur, indem man über Innovation, Forschung&Entwicklung und Bildung die Wachstumskräfte stärkt. Zweitens muss der Sozialstaat an die Alterung angepasst werden. Das bedeutet länger arbeiten aufgrund der höheren Lebenserwartung. Bis 65, 67 ... viele Staaten haben diesen Weg schon eingeschlagen.

Und die Staatsfinanzen?

Da könnte Österreich mehr wie die Schweiz werden. Die Kantone in der Schweiz haben die Aufgaben- und Ausgabenverantwortung und müssen die nötigen Steuern selber erheben. Das diszipliniert. In Kombination mit der direkten Demokratie, wo über viele große Vorhaben – wie etwa unseren 100-Millionen-Franken-Ausbau an der Uni St. Gallen – abgestimmt wird, kommt ein sehr effizientes System heraus.

Zur Person: Christian Keuschnigg (53)

Funktion Der aus St. Johann in Tirol stammende Christian Keuschnigg ist neuer Chef am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien. Das IHS erstellt neben dem Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) die vierteljährlichen Konjunkturprognosen und ist intensiv in der ökonomischen Lehre und Forschung aktiv. Keuschnigg folgt in dieser Funktion Bernhard Felderer nach.

Laufbahn Keuschnigg war früher schon einmal am IHS tätig, bevor er über verschiedene universitäre Stationen in St. Gallen in der Schweiz landete. An der renommierten Universität lehrt Keuschnigg seit 2001 Finanzwissenschaften. Die Professur verbindet Keuschnigg mit der Tätigkeit am IHS. Der Vater von 15-jährigen Zwillingen pendelt zwischen Wien und der Schweiz.

Mehr zum Thema

  • Interview

  • Hintergrund

  • Porträt

  • Hintergrund

Kommentare