"Mr. Fünf Sekunden" bei Bloomberg

Matthias Wabl ist der Mann, dem die Anleger vertrauen. Das Ergebnis seiner Arbeit sieht er binnen Sekunden - am Fallen und steigen von Börsenkursen. Dabei handelt der Österreicher nicht mit Aktien, sondern mit Nachrichten. Als Chef des Schweizer Büros von
Bloomberg L.P. sorgen von ihm über den Ticker geschickte Nachrichten für sofortige Reaktionen an den Finanzmärkten.
KURIER: Wie groß ist der Einfluss von Nachrichtenagenturen wie Bloomberg wirklich? Überschätzt man nicht die eigene Bedeutung - Händler bekommen ja auch selbst direkt Nachrichten von Unternehmen?
Matthias Wabl: Unbestritten ist: Wenn wir eine Nachricht über den Ticker schicken, sieht man Millisekunden später eine Veränderung am Kurs. Heute etwa gab die Schweizerische Nationalbank ihre Währungsreserven bekannt, sofort fiel der Kurs signifikant. Es ist für uns enorm wichtig, schneller zu sein als die Konkurrenz. Man muss nur in eine Bank gehen: Da stehen unsere Monitore neben denen der Konkurrenz. Jeder kann auf die Sekunde nachvollziehen, welche Agentur die Nachricht als erste hatte. Wir sind nicht überall und immer die Ersten, aber sehr oft.
Wie schnell muss man als Bloomberg-Journalist sein?
Bei unserer Arbeit geht es um Sekunden. Alles, was länger als fünf Sekunden dauert, ist bedenklich.
Fünf Sekunden? Das reicht doch gerade, um eine Nachricht in das Bloomberg-System zu kopieren. Birgt die Geschwindigkeit nicht die Gefahr von Fehlern?
Unsere Aufgabe ist es, das Wichtigste einer Meldung schnell herauszufiltern und akkurat weiterzugeben. Das darf nicht mehr als Sekunden dauern. Zur Fehlergefahr: Bei wichtigen Headlines gibt es immer einen Doppelcheck. Jemand, der einem über die Schulter schaut.
Wie ist es möglich, seine Quellen so schnell zu verifizieren?
Man muss ständig abwägen, wie viel Zeit zum Quellencheck bleibt und wie nötig er ist. Es gibt technische Filter, die verhindern, dass uns Falschmeldungen erreichen. Aber es gibt auch Fälle, wo Leute bewusst versuchen, falsche Pressemeldungen rauszuschicken. Oder sogar falsche Websites bauen, um die Agenturen zu täuschen. Man kann nur die Wahrscheinlichkeit, auf solche Manöver hineinzufallen, minimieren.
Klingt nach einem stressigen Beruf.
Stressig? Man muss konzentriert und schnell arbeiten können. Mit der Zeit bekommt man eine gewisse Routine. Hat man bei Printmedien ein paar Stunden, um einen Artikel zu schreiben, ist dieser Zeithorizont bei uns komprimiert auf ein paar Sekunden. Das gilt aber nur für die Headlines. Die sind ein enorm wichtiger Teil unserer Arbeit, aber nicht der einzige. Im Verlauf des Tages machen wir einen kompletten Artikel daraus. Aber es hat schon einen gewissen Reiz, als Agentur immer als erste dran zu sein. Der Welt zu erzählen: "Here is the news".
Kommt man nie in Versuchung, sein Wissen, das man ja etwas früher als alle anderen hat, selbst an den Finanzmärkten einzusetzen?
Nein, keine Zeit.
Denken Sie manchmal daran, beruflich die Seiten zu wechseln?
Wenn man journalistisch tätig sein möchte, ist Bloomberg "the place to be". Die Möglichkeiten und Zugänge, die man hier hat, sind toll.
Auch, weil sich Bloomberg nicht über Werbung finanziert?
Ja. Der Großteil des Umsatzes kommt von den 310.000 Abonnenten. Die zahlen viel Geld dafür, akkurate und unabhängige Information zu bekommen. Sobald wir in Verdacht geraten, von jemandem beeinflusst zu sein, verlieren wir jede Glaubwürdigkeit.
Versuchen die Unternehmen nicht trotzdem, Bloomberg-Journalisten zu beeinflussen?
Es gibt immer wieder Anrufe, wo jemand mit der Formulierung oder Gewichtung einer Nachricht nicht zufrieden ist. Das hören wir uns an. Wenn wir aber der Meinung sind, unsere Version stimmt, lassen wir sie wie gehabt. Fehler korrigieren wir.
Ihr Terminkalender ist also nicht voll mit Dinnereinladungen?
Nein. Wir bezahlen unser Essen, unsere Reisen und unsere Spesen selbst. Das gibt die nötige Unabhängigkeit. Es ist dies ein angloamerikanischer Zugang, der gute Arbeitsbedingungen für Journalisten gewährt. Und es ist Teil der Bloomberg Unternehmenskultur, die auf starker wirtschaftlicher Unabhängigkeit beruht. Um guten Inhalt zu machen, braucht man eine gute wirtschaftliche Basis.
Warum ist das Schweizer Büro von Bloomberg von Bedeutung?
Es gehört nach London und neben Frankreich und Deutschland zu den drei wichtigsten in Europa. Die Schweiz ist als Finanzmarkt von weltweiter enormer Bedeutung, trotz aller Diskussionen um das Bank-Geheimnis. Man muss bedenken: Rund zwei Billionen Schweizer Franken Privatvermögen werden hier grenzüberschreitend verwaltet. Wichtige Privat- und Kommerzbanken oder große Unternehmen wie Nestlé, Roche oder Swatch haben hier ihren Sitz. Und: In Zeiten von Währungskrisen ist die Schweiz weiterhin ein sicherer Hafen.
Sie müssen froh sein, derzeit in Schweizer Franken bezahlt zu werden?
Ja, klar.
Zur Person
Der Steirer
Matthias Wabl (34) studierte Wirtschaft und Rechtswissenschaften an der Universität Graz, der Sciences Po in Paris und der Columbia University in New York City. 2002 begann er seine Karriere als Intern bei Bloomberg in New York. Seit August 2009 leitet Wabl das 16-köpfige Schweizer Bloomberg-Büro. Dieses hat mehr als 10.000 Direktabonnenten, darunter die großen Schweizer Banken, Versicherungen, Unternehmen und Zeitungen.
Bloomberg L.P., gegründet 1981, gilt neben Thomson Reuters als wichtigster
Datenlieferant der Finanzwelt. Bloomberg-Terminals sind heute in nahezu jedem Handelsraum zu finden, sie liefern Echtzeit-Nachrichten, Börsenkurse und grafische Analysen. Bloomberg News versendet aktuelle Textnachrichten in Tickerform. Weltweit beschäftigt Bloomberg 15.000 Mitarbeiter an 192 Standorten. 2010 erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von sieben Milliarden US-Dollar.
Kommentare