Moderne Sklavinnen im Libanon

Frauenhaus Rayfoun: In dieser Caritas-Einrichtung bei Beirut werden Menschen aufgefangen, die ausgebeutet, betrogen und gedemütigt worden sind.
Arbeitsagenturen locken Tausende Mädchen aus Afrika und Asien mit einer besseren Zukunft. Stattdessen werden sie ausgebeutet.

Der Reisepass wird ihr sofort nach der Ankunft am Flughafen Beirut abgenommen. "Madame und Mister", so nennen Arbeitsmigrantinnen ihre Arbeitgeber im Libanon, lassen Kass He Fantu aus Äthiopien dann drei Stunden warten, ehe sie ihr neues Hausmädchen abholen.

Der Vertrag, der über eine Vermittlungsagentur für zwei Jahre abgeschlossen wurde, versprach Fantu 200 Euro im Monat. Die 24-Jährige spricht keine Fremdsprache und kennt nicht einmal Namen, Adresse und Beruf ihrer Dienstgeber – "Madame und Mister", das ist alles.

Ihr Leidensweg beginnt im Juni 2011. Eine Freundin in Addis Abeba riet ihr: "Geh in den Libanon, dort kannst du gut verdienen." Getrieben von Hoffnungslosigkeit und Armut, schlägt sie alle Warnungen in den Wind. "Geh lieber nach Kuwait, man hört schlimme Dinge aus dem Libanon", sagt etwa ihr Mann. Doch sie lässt ihn und ihren 4-jährigen Sohn zurück. "Es sollten doch bloß zwei Jahre sein, zwei Jahre für ein besseres Leben", erzählt die kleine, zierliche Äthiopierin mit gesenktem Kopf und leiser, gebrochener Stimme.

Schläge ins Gesicht

Eine Person mit Sonnenbrille und einem weißen Tuch um den Kopf.

Schon in den ersten zehn Tagen bekommt sie die volle Wucht der Unmenschlichkeit von "Madame und Mister" zu spüren. "Du putzt schlecht und bist auch sonst zu nichts zu gebrauchen, und dafür willst du Essen und auch noch Geld", beschimpft sie Madame. "Sie wurde von Tag zu Tag aggressiver und fing an, mich zu schlagen, meist ins Gesicht", erzählt Fantu. "Als sie mit einem Messer nach mir warf und mich am linken Oberarm traf, bat ich sie, mich aus dem Vertrag zu entlassen und mich zur Agentur zurückzubringen", so Fantu. "Madame lehnte vorerst ab."

Einige Tage später wird Fantu einem Mann übergeben, der sich als Vertreter ihrer Agentur vorstellt. Er bringt sie zu einer alten Frau, die ihr sofort klarmacht, dass sie jetzt einen Monat zu arbeiten hätte – ohne Bezahlung. "Aber auch nach dem ersten Monat wollte sie nicht zahlen", erzählt Fantu. Sie sucht nach einem Ausweg, will zur äthiopischen Botschaft, ohne Geld und Orientierung macht sie sich auf den Weg.

Irgendwo im Stadtzentrum spricht sie eine junge Frau an, ebenfalls eine Äthiopierin. Fantu ist erleichtert und erzählt der Landsfrau ihre Leidensgeschichte. "Geh nicht zur Botschaft, die werden dir nicht weiterhelfen, du kannst vorerst bei mir wohnen", bietet ihr die neue Bekannte an. Das einzige Stück Ausweis – eine Kopie ihres Passes – händigt Fantu ihr gutgläubig aus.

"Ich kann dich an eine reiche Familie aus Saudi-Arabien vermitteln, die zahlen 240 Euro", sagt die Gönnerin. Für gute Arbeit bekommt Fantu dann nach zwei Monaten nur 280 Euro. Und nach neun Monaten wird ihr die Rechnung präsentiert: 2000 Euro "für alle Aufwendungen, Wege, Erledigungen" soll sie ihrer Landsfrau zahlen. Widerwillig stimmt Fantu zu.

Vergewaltigt und beraubt

Kleidung hängt an einer Gitterstruktur in einem langen Gang.

Am Tag der Geldübergabe findet sie nur einen Mann aus dem Sudan in der Wohnung vor. Und plötzlich überschlagen sich die Ereignisse: Ein Schlag ins Gesicht, danach vergewaltigt, am Ende ausgeraubt. "Als ich aus der Bewusstlosigkeit aufwachte, lag neben mir ein Päckchen, in dem meine Passkopie und nur noch 400 Euro waren", erzählt Fantu mit Tränen in den Augen.

Es sollte aber noch schlimmer kommen: Nach wenigen Wochen erklärt ihr die Madame aus Saudi-Arabien, sie könne nur noch einen Monat bleiben, weil die Familie in die Heimat zurückgehe.

Genau nach diesem Monat merkt Fantu, dass sie schwanger ist. Für die Abtreibung muss sie 280 Euro zahlen, damit alles diskret abläuft, ohne Polizei. "Ich will nur noch nach Hause", klagt die 24-Jährige. Über die Vergewaltigung und die Abtreibung wird sie in Äthiopien mit niemandem reden können: "Meine Familie würde mich sofort verstoßen."

Seit 1. Juni 2012 lebt Fantu im Frauenhaus Rayfoun, wo man sich um sie kümmert und ihr hilft, wieder Selbstachtung zu finden.

Hintergrund: Endstation ist oft die Abschiebehaft

Etwa 600 Vermittlungs­agenturen gibt es im L­ibanon, die meisten in Beirut. Bis zu 200.000 Arbeitsmigrantinnen leben derzeit im Land. Die Mehrzahl kommt aus Afrika (Äthiopien, Nigeria, Madagaskar) sowie aus Asien (Philippinen, Bangladesch, Sri Lanka, Nepal). Als Haushaltshilfen, meist für zwei Jahre angeworben, liegt die Bezahlung zwischen 80 und 200 Euro im Monat. Frauen aus Nepal und Bangladesch stehen auf der untersten Sprosse der Gehaltsleiter, Frauen von den Philippinen, da sie meist Englisch sprechen, auf der obersten.

Viele werden zu Opfern i­hrer Arbeitgeber: keine Bezahlung, schwere Arbeit, kein Essen, physische und verbale Attacken sowie in den schlimmsten Fällen sexueller Missbrauch. Laut einem Bericht von Human Rights Watch wählt pro Woche eine Frau den Freitod.

Ohne Rechtsschutz Seitens des libanesischen Gesetzes gibt es keinen Schutz. Die Pässe werden von den Arbeitgebern abgenommen. Flieht eine Arbeitsmigrantin, begibt sie sich in die Illegalität und riskiert, verhaftet und eingesperrt zu werden.

Endstation ist das "Centre de Retention" in Adlieh, einem Bezirk von Beirut. Das Abschiebegefängnis war früher eine Tiefgarage, in die elf Käfige mit je 20m² eingebaut wurden. Bis zu 50 Personen teilen sich die Verschläge. Standventilatoren verteilen die stickig-schwüle Luft im Raum. Luftfeuchtigkeit und hohe Temperaturen machen den Ort unerträglich.

Das Frauenhaus Rayfoun, ein ehemaliges Kloster, wurde vom Flüchtlingsbüro der Caritas Libanon angemietet und mit Unterstützung der Caritas Salzburg 2010 restauriert. Es liegt in den Bergen, 45 km nördlich von Beirut. Im Normalfall kann es 65 Frauen aufnehmen. In Notfällen, etwa während des L­ibanonkrieges 2006, waren es auch schon an die 400.

Die Bewohnerinnen sind meist Personen, die in Abschiebehaft oder im Gefängnis waren, und danach an das Flüchtlingsbüro der Caritas Libanon überstellt wurden. Es sind besonders verwundbare Personen – elternlose Kinder, gefährdete junge Frauen, Witwen, Mütter mit Kindern. Das Caritas-Flüchtlingsbüro arbeitet rund um die Uhr, an sieben Tagen die Woche.

Sklaverei: Auch heute Millionen Opfer

Aktionstag 1998 rief die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) den "Internationalen Tag zur

Erinnerung an den Sklavenhandel und seine Abschaffung" ins Leben. Er findet jedes Jahr am 23. August statt. An diesem Tag des Jahres 1791 kam es in Santo Domingo (Haiti) zu einem großen Sklaven-Aufstand.

Moderne Sklaverei Nach Schätzung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) gibt es derzeit weltweit 20,9 Millionen moderne Sklaven, davon 5,5 Millionen Kinder. Sie werden Opfer von Zwangsprostitution, wirtschaftlicher Ausbeutung, Kinderarbeit. Sie werden zum Betteln gezwungen, illegal an Adoptiveltern oder als Organspender verkauft. Fast 80 Prozent der Opfer sind Frauen und Mädchen. Die Verbrecherbanden im Hintergrund machen mit Menschenhandel 25 Milliarden Euro Gewinn pro Jahr.

Industrieländer In den USA, Kanada, Australien, Japan, Norwegen und den EU-Staaten wird die Zahl der Sklaven auf 1,5 Mio. geschätzt. Hier geht es vor allem um sexuelle Ausbeutung (76 % im Jahr 2010), Zwangsarbeit (14 %), Bettelei (3 %).

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