Märkte treiben Spanien vor sich her

Fast fünf Millionen Spanier sind ohne Arbeit, bei den unter 25-Jährigen sogar jeder Zweite. Viele scheinen sich mit ihrem Schicksal abgefunden zu haben: Die Bewohner des Dorfes Guijo de Galisteo im Südwesten des Landes mussten darüber abstimmen, ob das alljährliche Stiertreiben stattfinden oder die dafür reservierten 15.000 Euro in öffentlich geförderte Jobs gesteckt werden soll. Die Mehrheit stimmte für das Stiertreiben.
In Madrid und anderen Euro-Hauptstädten muss ein Weg gefunden werden, um Spanien halbwegs gesichtswahrend aus der Bankenkrise zu helfen. Doch eine Lösung ist nicht in Sicht, das Gezerre erinnert an die monatelangen Debatten vor der Hilfe für Griechenland.
Berichte, wonach Berlin Madrid unter den Euro-Rettungsschirm drängen will, dementierte der deutsche Regierungssprecher am Montag. "Die spanische Regierung braucht keine Ratschläge von uns." Eine zögerliche Haltung, die immer mehr Beobachter gegen Berlin aufbringt, weil die Finanzmärkte täglich den Druck auf Spanien erhöhen. Joschka Fischer, der frühere deutsche Außenminister, schreibt in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche: "Das europäische Haus steht in Flammen." Und Kanzlerin Merkel lösche mit Kerosin statt mit Wasser. Ganz anders Russlands Wladimir Putin. Er hält die momentane EU-Politik für "in hohem Maße professionell" und "kämpferisch".
Wie reagiert die EZB?

Spannend wird, wie weit angesichts der Krisenangst die EZB bei ihrer Sitzung am Mittwoch gehen wird. Sinkt der Leitzins erstmals in der Geschichte der Euro-Zone unter ein Prozent? Werden um viele weitere Milliarden Anleihen überschuldeter Staaten gekauft?
An den Märkten ist die Verunsicherung jedenfalls kaum zu überbieten. Die Renditen für zehnjährige spanische Staatsanleihen legten seit Anfang März um ein Viertel zu. Spanien muss Anlegern nun bereits rund 6,5 Prozent Rendite bieten, um von ihnen Geld geliehen zu bekommen.
Die Stimmung sei "untergalaktisch schlecht", kommentierte ein Händler. Die Börse in Madrid notierte am Montag kurzfristig auf Neun-Jahres-Tief und der DAX in Frankfurt sank erstmals seit Jänner unter die psychologisch wichtige 6000-Punkte-Marke.
Auch ein Blick auf den Ölpreis lässt wenig Gutes erhoffen: Im vergangenen Monat verlor Brent 20 Prozent an Wert. Erinnerungen an die Wirtschaftskrise 2008 werden wach, in deren Folge sich der Ölpreis binnen Wochen atomisierte.
Portugal: Milliardenhilfe für angeschlagene Banken
Lissabon Nach Spanien muss auch Portugal seinem Bankensektor Staatsgeld zuschießen. Drei Geldinstitute benötigen insgesamt 6,6 Mrd. €, um die neuen Eigenkapitalvorgaben der EU zu erfüllen. Das Geld ist Teil der genehmigten EU-Finanzhilfen für Portugal: Von den 78 Mrd. € sind 12 für die Stützung von Banken vorgesehen.
Nikosia Auch Zypern wird wohl bald den Euro-Rettungsschirm in Anspruch nehmen müssen. Der Bankensektor der Inselrepublik ist eng mit dem griechischen verwoben.
Auch Frankreich für Banken-Hilfe aus ESM

Der Druck auf Deutschland, das strikte "Nein" gegenüber der gemeinschaftlichen Rettung angeschlagener Banken aufzugeben, wächst. Vergangene Woche hatte die EU-Kommission gefordert, Krisenbanken künftig im Verbund zu retten; bisher ist jeder Staat für seine Geldinstitute verantwortlich. Am Mittwoch will die Kommission Details zu ihrem Plan vorlegen.
In Frankreich hat die Kommission schon einen mächtigen Partner gefunden: Der neue Finanzminister Pierre Moscovici sagte am Montag nach einen Treffen mit EU-Währungskommissar Olli Rehn in Brüssel, die Bankenunion sei "ein grundlegendes Thema". Darüber müsse es schleunigst Gespräche geben. "Ich hoffe, dass wir beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs Ende Juni einen Durchbruch erzielen können", sagte Moscovici.
Bis dahin könnte sich das deutsch-französische Verhältnis wieder etwas entspannt haben: Die neue Regierung unter Präsident Hollande zeigt sich derzeit im Vorfeld der Parlamentswahlen (10./17. Juni) besonders angriffslustig Richtung Kanzlerin Merkel.
Direkthilfe
Konfliktstoff zwischen Deutschland und Frankreich gibt es ohnehin genug: Moscovici forderte am Montag – entgegen dem Willen Berlins –, dass Banken künftig direkt Geld aus dem Euro-Rettungsfonds ESM bekommen sollen. "Das ist eine Notwendigkeit." Währungskommissar Rehn sagt: "So könnte man zu den Wurzeln der Schuldenkrise vorzudringen, indem man die Verbindung zwischen Staatsschulden und Banken kappt." Aktuell ist vorgesehen, dass der ESM, der am 1. Juli starten soll, nur Staaten helfen darf.
Aufstockung
Unabhängig von der möglichen Direkthilfe hält Christian Keuschnigg, neuer Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS) in Wien, eine Aufstockung des ESM für dringend notwendig. Der Rettungsfonds sei zu klein, um Spanien und/oder Italien auffangen zu können. In welchem Umfang soll aufgestockt werden? Mindestens 1000 Milliarden, sagt Keuschnigg – also das Doppelte der derzeit geplanten Kapazität.
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