Krisensitzung bei VW nach dem "Dieselgate"

Krisensitzung bei VW nach dem "Dieselgate"
Präsidium des Aufsichtsrats traf sich schon heute, Aufsichtsratssitzung am Freitag.

Im Diesel-Skandal bei Volkswagen suchen die obersten Aufseher von Europas größtem Autokonzern einen Weg aus der tiefen Vertrauenskrise. Das fünfköpfige Präsidium des Aufsichtsrats traf sich am Mittwoch in Wolfsburg, um über Konsequenzen aus der Affäre zu beraten. Dies erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Teilnehmerkreisen. Der genaue Ort der Zusammenkunft blieb zunächst geheim, nach dpa-Informationen findet sie auf dem Werksgelände statt.

An der Sitzung nehmen der Interimsvorsitzende des Präsidiums, Berthold Huber, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Großaktionärs-Vertreter Wolfgang Porsche sowie Betriebsratschef Bernd Osterloh und dessen Stellvertreter Stephan Wolf teil. Inzwischen ist auch Vorstandschef Martin Winterkorn dazugekommen.

Zukunft Winterkorns

Im Mittelpunkt stehen personelle Konsequenzen aus der Affäre um manipulierte Messungen beim Schadstoffausstoß von Dieselmotoren. Dabei geht es auch um die berufliche Zukunft von VW-Vorstandschef Martin Winterkorn. Dieser steht infolge des Skandals, der nach Konzernangaben rund elf Millionen Fahrzeuge betrifft, massiv unter Druck. Die für diesen Freitag geplante vorzeitige Verlängerung des Vertrags für den bestbezahlten Dax-Manager ist nach wie vor ungewiss.

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Die wirtschaftliche Situation und mögliche Nachfolger

Auch am Mittwoche mehrten sich Stimmen, die vor einer Ausweitung des Image-Schadens bei VW auf die gesamte deutsche Exportindustrie warnen. Der Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Anton Börner, ermahnte Volkswagen, die versprochene Aufklärung rasch umzusetzen. „Davon hängt auch ab, ob ein Kollateralschaden für das Image deutscher Produkte entsteht“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Anlass zu übertriebenen Befürchtungen gebe es aber noch nicht: Der Erfolg der „hervorragenden Produkte tausender Firmen (...) hängt Gott sei Dank nicht von einem einzigen Unternehmen ab. Wir sollten da mal die Kirche im Dorf lassen.“

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben, äußerte sich ähnlich. „Es gibt jetzt so manchen auf der Welt, der sagt: Ganz so toll ist das mit Deutschland nicht“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Der VW-Skandal sei ein „Schlag ins Kontor“. Der Slogan „Made in Germany“ sei zu recht eine starke Marke für den Standort Deutschland.

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Der VKI ruft VW-Fahrer auf, sich an einer Sammelklage zu beteiligen.

Am Dienstag hatte sich Winterkorn für die Manipulationen entschuldigt und eine umfassende Aufklärung angekündigt. Dabei hatte er aber auch deutlich gemacht, dass er seinen Posten nicht aufgeben möchte.

Am Mittwochmorgen hatte sich der Abwärtstrend der vergangenen Tage für VW an der Frankfurter Börse zunächst fortgesetzt. Die Vorzugspapiere der Wolfsburger notierten im Handelsverlauf dann aber wieder leicht im Plus. Ihr Kurs hatte am Montag und Dienstag rund ein Drittel eingebüßt.

Die Volkswagen AG hat in diesem Fall mittlerweile die bekannte US-Anwaltskanzlei Kirkland & Ellis LLP angeheuert. Das berichtete die Agentur Bloomberg am Dienstagabend (Ortszeit) unter Berufung auf eine VW-Sprecherin. Die Kanzlei hatte den Ölkonzern BP nach der Explosion der Ölplattform "Deepwater Horizon" im Jahre 2010 mit elf Toten vertreten. Eine Sprecherin der Kanzlei lehnte eine Stellungnahme ab.

Durch mögliche Klagen und Strafgelder drohen dem deutschen Autobauer Milliardenschäden.

EU-Kommissarin nicht zuständig

Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager sieht in dem im Skandal um manipulierte Abgaswerte bei Volkswagen für sich bisher keine Zuständigkeit. Sie kenne den Fall nur aus den Medien, sagte Vestager am Mittwoch in Brüssel.

"Auf ersten blick ist das kein Wettbewerbsfall, sondern eher ein Umweltproblem. Es wird wahrscheinlich zuerst auf dem Tisch eines meiner Kollegen landen", sagte die EU-Kommissarin.

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Martin Winterkorn zur Zukunft: "Sind bestens aufgestellt."
Eigentlich wollte der Aufsichtsrat den Vertrag von Martin Winterkorn am kommenden Freitag um zwei Jahre bis 2018 verlängern. Nach dem Bekanntwerden des Abgas-Skandals allerdings könnte der VW-Chef am Freitag abgelöst werden. Winterkorn habe nach dem Diesel-Abgasbetrug in den USA nicht mehr das Vertrauen des Kontrollgremiums. Am Mittwoch tagt das Präsidium des VW-Aufsichtsrates, am Freitag das gesamte Gremium. An der Gerüchtebörse werden bereits mehrere Konzern-Manager als Nachfolger gehandelt.

Matthias Müller

Wie der „ Tagesspiegel“ unter Berufung auf Aufsichtsratskreise am Dienstag berichtet, soll Porsche-Chef Matthias Müller sein Nachfolger werden. VW dementiert den Wechsel allerdings. Eine solche Behauptung sei „Schwachsinn“, sagte ein Sprecher am Dienstag. Der 62-jährige Müller war im Frühjahr als Kandidat für eine Übergangszeit gehandelt worden. Er könnte den Konzern führen, bis ein jüngerer Manager wie Diess den Vorstandsposten übernimmt. Müller ist seit bald vier Jahrzehnten im VW-Konzern: Er lernte bei Audi in Ingolstadt Werkzeugmacher und kehrte nach dem Informatikstudium dorthin zurück. Als Winterkorn 2007 als Chef von Audi an die VW-Spitze wechselte, ging Müller als Produktstratege mit ihm nach Wolfsburg. Nach der gescheiterten Übernahme von Volkswagen durch Porsche, die schließlich mit der Unterordnung von Porsche als VW-Marke endete, übernahm er 2010 die Porsche-Führung und trieb den Absatz auf neue Rekordhöhen. Vergangene Woche noch erklärte Müller im Interview mit Reuters, in einer neuen Konzernstruktur gerne die Leitung der Sportwagengruppe übernehmen zu wollen. Volkswagen sei mit Winterkorn an der Spitze in guten Händen. „Ich bin ein Konzernzögling“, betonte das VW-Vorstandsmitglied. Daher würde Müller seine Stuttgarter Wahlheimat wohl aufgeben, sollte der Aufsichtsrat ihn rufen.

Herbert Diess

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epa03806555 Dr. Herbert Diess, Member of the board of Management BMWi, speaks during the world launch of the BMW i3 car at Thames Street in London, Britain, 29 July 2013. EPA/GERRY PENNY
Der 56 Jahre alte Münchner wechselte am 1. Juli von BMW zu Volkswagen und übernahm von Winterkorn die Führung der schwächelnden Hauptmarke VW. Er kam Insidern zufolge auf Betreiben des Firmenpatriarchen Ferdinand Piech nach Wolfsburg. Der VW-Miteigentümer hatte im Frühjahr versucht, Winterkorn zu kippen und war als Aufsichtsratschef zurückgetreten, nachdem sich die anderen maßgeblichen Eigner und der Betriebsrat hinter Winterkorn gestellt hatten. Mit Diess an der Spitze könnte VW einen konsequenten Neuanfang demonstrieren. Ein Nachteil ist allerdings, dass Diess die Mechanismen und Netzwerke in dem Riesenkonzern mit zwölf Marken und über 600.000 Beschäftigten noch nicht lange kennt. Auch gibt es unter den Arbeitnehmern Vorbehalte gegen den Manager, der den Ruf eines knallharten Kostendrückers hat, der Sparprogramme kompromisslos gegen Kritik der Belegschaft durchsetzt. Bei BMW rückte der promovierte Maschinenbau-Ingenieur nach rund zehn Jahren 2007 in den Vorstand als Einkaufschef auf, um mit Milliardeneinsparungen die Rendite hochzutreiben. Zeitweise galt er als möglicher Nachfolger von Konzernchef Norbert Reithofer, doch dazu wurde dann Produktionschef Harald Krüger bestimmt.

Rupert Stadler

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Audi Chief Executive Officer Rupert Stadler arrives for the opening ceremony of VW's "DRIVE. Volkswagen Group Forum" in Berlin, April 28, 2015. REUTERS/Stefanie Loos
Als Kronprinz gilt auch schon lange der 52-jährige Audi-Chef Rupert Stadler. Sein Aufstieg im Konzern begann 1997 als Büroleiter des damaligen VW-Chefs Piech. Bei Audi übernahm er 2003 zunächst das Finanzressort und rückte 2007 an die Spitze der Premiumtochter, die zusammen mit Porsche den Löwenanteil zum Konzerngewinn beiträgt. Unter seiner Führung hat Audi als zweitgrößter Premiumhersteller weltweit aber damit zu kämpfen, vom Platzhirsch BMW in den Schatten gestellt zu werden. Zuletzt wurde Stadler als Nachfolger von VW-Finanzchef Hans Dieter Pötsch gehandelt, der neuer Aufsichtsratschef von VW werden soll. Dass Stadler Winterkorn beerben könnte, bezweifeln Experten allerdings mit dem Hinweis auf die VW-Tradition, wonach ein Ingenieur an der Spitze des Konzerns stehen muss. Stadler ist Betriebswirt.

Au weh – VW. So hat der KURIER am Dienstag getitelt – und die deutsche Bild-Zeitung heute. Zugegeben, der Reim ist naheliegend. Und der Schummel-Skandal um die Abgaswerte für Dieselmotoren in den USA tut auch wirklich weh. Uns ein bisschen, weil die Familien Porsche und Piëch ja österreichischen Ursprungs sind. Der deutschen Industrie aber noch viel mehr, weil hier das Image der besten Ingenieure und perfekten Autobauer auf dem Spiel steht.

In Kalifornien gibt es ein Autohaus, das Autobahn heißt. Die Amerikaner bewundern die schnellen Motoren und das inzwischen auch schicke Design aus Wolfsburg, Ingolstadt oder Zuffenhausen. Und all das soll mit einem einzigen Betrug per Software kaputt sein?

Das wird jetzt vom Krisenmanagement bei VW abhängen. Martin Winterkorn, der 16-Millionen-Euro-pro-Jahr-Mann aus einfachsten Verhältnissen, hat entweder von der Schummelei gewusst – oder er war ahnungslos. Beides keine guten Voraussetzungen, VW-Chef zu blieben. Andererseits braucht VW den besessenen Ingenieur, um den Schaden wegzuräumen. Der VW-Aufsichtsrat tagt heute. Es wäre kein Wunder, wenn Winterkorn bleiben dürfte, aber dafür ein großes Opfer bringen muss.

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