Krisenängste: "Zusammenhänge versteht eh keiner"

Laut Psychologen überfordert die Komplexität der Krise die Österreicher. Sie können keine Schuldigen identifizieren und sind verunsichert.

In der Tierhaltung gibt es zahlreiche Missstände. Aber man isst trotzdem gerne Fleisch. Wenn dann aber BSE ausbricht, bricht der Konsum ein. "Ähnlich ist es in der Finanzwelt", zieht Professor Florian Becker von der Wirtschaftspsychologischen Gesellschaft in München einen tierischen Vergleich zur aktuellen Wirtschaftskrise. "Große Massen brauchen lange, bis sie reagieren, dann aber meist ziemlich emotional."

Trotz allem ist die Panik in Österreich noch nicht angekommen. "Griechenland ist weit weg und die Zusammenhänge versteht eh keiner." Es werde fröhlich weiterkonsumiert, bis wirklich etwas Extremes passiert. "Die Leute geben lieber ihr Geld aus, weil sie sagen, ,wer weiß, ob wir uns in Zukunft noch etwas kaufen können'". In der Tat ist in Mitteleuropa der Konsum keineswegs eingebrochen, das Weihnachtsgeschäft läuft gut an.

Aber: Laut einer OGM-Umfrage unter 1511 Österreichern wurden im Oktober 47 Prozent von Zukunftssorgen geplagt. Im Juli waren es nur 17 Prozent. 55 Prozent glaubten zuletzt, dass von den griechischen Finanzproblemen auch Österreich bedroht sei.

Hilflos

Dennoch sei die aktuelle Krise mit jener von 2008/09 nicht vergleichbar, sagt der Wiener Wirtschaftspsychologe Alfred Lackner. "Damals waren sehr schnell Schuldige mit den bösen Finanzmärkten und Amerikanern ausgemacht. Zudem hat die Politik sehr aktiv und schnell entgegengesteuert." Dieses Mal gehe es zwar der Wirtschaft gut, aber die Zukunftsperspektiven seien düster. "Die Politiker sind rat- und hilflos."

Ähnlich bewertet Erich Kirchler, Leiter des Instituts für Wirtschaftspsychologie an der Wirtschaftsuni Wien, die Situation. "Die Unsicherheit ist größer, weil die Maßnahmen zu wenig nachhaltig greifen und es eine Vielzahl von Krisenherden gibt." Die unterschiedlichen Meinungen von Experten und politischen Entscheidungsträgern würden die Verunsicherung noch steigern. Die Bürger würden versuchen, durch Gespräche miteinander und das Einholen von Meinungen anderer Licht ins Dunkel zu bringen.

Becker sieht das Vorgehen der Politiker dennoch als strategisch wohl überlegt. "Die Politik macht langsame Schritte und überlegt sich sehr genau, wie viel kann ich den Menschen zumuten, ohne dass Unruhe entsteht und die Stimmung kippt." Zuerst habe es geheißen, es gibt kein Geld für Griechenland, dann sei die Hilfe als eine absolute Ausnahme verkauft worden. "Und zuletzt hieß es, ach, wir müssen doch mehr zahlen."

Wie ist die Verunsicherung der Menschen einzufangen? "Dazu müsste das Finanzsystem grundlegend verändert werden", sagt Lackner. Doch freiwillig funktioniere das kaum. "Nur Schmerzen bringen Veränderungen, aber der Leidensdruck ist derzeit noch zu klein." Derzeit würden Hilflosigkeit und Schönreden dominieren. Ohne Änderungen werde auch die Gier der Anleger früher oder später wiederkehren. "Gier ist ein Grundmotiv der Menschen und wird von der Finanzwelt belohnt."

Für Kirchler müssen Absichtserklärungen auch zu konkreten Handlungen führen. "Es fehlt an Fair-Play-Regeln und Sanktionen bei Abweichungen." Zudem müssten die Anliegen der Konsumenten, Arbeitnehmer und Wirtschaftstreibenden ernst genommen werden. "Denn Vertrauen ist schneller zerstört, als es aufgebaut wird."

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