Griechenland: "Man kann nicht mehr kürzen"

Den Pensionisten drohen neue Einschnitte, doch zum Leben reicht es schon jetzt oft nicht mehr.

Als sie darüber spricht, wird das Gesicht der 68-jährigen Anna Baltzopoulou mit einem Mal rot. Ihre Stimme beginnt zu zittern, sie kämpft mit den Tränen. Manchmal denke man sogar an Selbstmord, gibt sie zu. "Seit meiner Geburt ist das die schwierigste Zeit", sagt sie zum KURIER. "Sehr schlimm ist das, und es geht nicht nur uns so, sondern ganz Griechenland", meint die Frau. Früher war sie Beamtin in einem Ministerium. "Es stimmt nicht, dass wir Griechen nicht arbeiten und nur schlafen; wir haben ja unser Land nach zwei Weltkriegen wieder aufgebaut", sagt sie stolz.

Anna Baltzopoulou ist eine der etwa 2,7 Millionen griechischen Rentner, deren Einkommen schon wieder bedroht ist. Vier Runden von Pensionskürzungen haben sie seit der Einführung der Sparmaßnahmen 2010 erlebt. Jetzt verlangen die internationalen Gläubiger von der Regierung neue Schnitte. Eine der Hauptforderungen der vergangenen fünf Verhandlungsmonate, um Athen die restlichen 7,2 Milliarden Euro aus dem internationalen Hilfspaket auszubezahlen. Kommt dieses Geld nicht, ist Griechenland pleite. Gibt die Regierung aber den Forderungen nach, sei es vorbei mit den Pensionisten, meinen viele Griechen.

50 Prozent verloren

Griechenland: "Man kann nicht mehr kürzen"
Anna Baltzopoulou, 68 Jahre alt. Vor der Pensionierung war sie Beamtin im Ministerium der Öffentlichen Arbeiten (Bauarbeiten, Straßen, Brücken usw). Jetzt hilft sie im Pensionistenverein aus
Anna Baltzopoulou ist seit 1997 in Pension und heute der typische Fall des griechischen Pensionisten, der unter der wirtschaftlichen Krise im Land leidet. Nach allen Kürzungen hat sie bereits 50 Prozent ihres monatlichen Einkommens verloren und muss jetzt mit 680 Euro auskommen. "Zuerst muss man schauen, dass man Essen kauft und die Stromrechnung bezahlt", zählt sie ihre finanziellen Prioritäten auf. Genau wie die meisten griechischen Pensionisten ist sie auch Wohnungsbesitzerin und muss eine erhebliche Immobiliensteuer, die sogenannte ENFIA, zahlen.

ENFIA wurde 2011 von der damaligen Regierung der sozialistischen Partei PASOK als eine zweijährige Maßnahme eingeführt, um die Staatskassa zu füllen, sie ist einfach geblieben. Die jetzige Regierung wollte die Steuer abschaffen. Die Gläubiger sind dagegen. Also muss Anna Baltzopoulou weiterhin von ihrer gekürzten Pension auch 3000 Euro pro Jahr für ihre ENFIA-Rechnung zur Seite legen. Sie muss auch ihrem jüngeren Sohn finanziell unter die Arme greifen. Mit 37 Jahren ist er trotz eines Magisterstudiums an einer technischen Universität ohne Job und hat auch kein Geld zum Heiraten – wieder ein typischer Fall für das krisengeplagte Griechenland.

Griechenland: "Man kann nicht mehr kürzen"
Christos Goumas, 75 Jahre alt. Er hat als Gesundheitsinspektor gearbeitet
"Die Krise hat unsere Familie auseinandergebracht", klagt der 75-jährige ehemalige Gesundheitsinspektor Christos Goumas. Einer seiner Söhne, ein Lehrer, ist nach Australien ausgewandert und hat seine Familie mitgenommen. Der andere, früher Journalist, musste mit seiner Frau in die Nähe von Delphi, etwa 200 km nördlich von Athen, umsiedeln. Dort haben die zwei kleine Jobs gefunden und konnten auch Oliven ernten. Goumas und seine 70-jährige Frau sind ebenfalls umgezogen – in eine kleine Wohnung in Athen, um Kosten zu sparen. "Wir müssen unsere Söhne weiter finanziell unterstützen", begründet er die Übersiedlung. Goumas ging 1994 mit 55 Jahren in die Rente, damals war das das übliche Pensionsalter. Vor der Krise hat er 1700 Euro monatliche Rente bezogen, jetzt sind es noch 984 Euro. Seine Frau bekam nach den Kürzungen 600 Euro. "Ich habe Angst, ja nicht krank zu werden, weil wir dann auch Geld für Ärzte und Medikamente ausgeben müssen," sagt er.

Freilich könne man zum Arzt gehen, aber dann sagten die oft, sie hätten ihre monatliche Patientenquote aus der Krankenkasse bereits erschöpft. Ob das immer stimme, könne man nicht beweisen. Doch dann müsse man privat bezahlen.

Hilfe für die Kinder

Trotzdem zahlen die Pensionisten vier Prozent pro Monat für Krankenversicherung, erklärt Panagiotis Vavougios, Präsident der Pensionistenvereinigung der öffentlichen Angestellten. Früher war er Postamtsdirektor, aber mit 82 Jahren ist auch er seit Langem Pensionist. Vavougios hat ebenfalls 50 Prozent seiner Pension verloren und lebt jetzt von 1000 Euro monatlich. Vor Jahren ist er gereist – in Wien und Graz war er. "Jetzt ist es nicht leicht, meinen Kindern jeden Monat 300 Euro zu geben, um ihnen mit den Rechnungen zu helfen", sagt er. Sein Sohn ist auch arbeitslos. Zwei Enkeltöchter leben in Prag, weil sie dort Jobs finden konnten.

Dass viele Griechen ihre Kinder finanziell unterstützen, ist durch die Krise und 27 Prozent Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren zur Notwendigkeit geworden.

Es gehört aber auch zur südländischen Familienkultur, dem Nachwuchs zu helfen. Ältere Menschen kommen also sehr schwer damit klar, dass sie es nicht mehr tun können. Die Renten der öffentlichen Angestellten wurden zwischen 40 bis 60 Prozent gekürzt, im Durchschnitt bekomme man jetzt 674,77 Euro pro Monat.

"Man kann die Renten der Menschen hier nicht weiter kürzen, weil man davon nicht mehr leben kann", sagt Vavougios.

Einen Tag vor dem Sondergipfel der Euro-Staaten in Brüssel laufen die Beratungen in Athen auf Hochtouren. Für Sonntagmittag hat Ministerpräsident Alexis Tsipras eine Kabinettssitzung einberufen, um seine Minister über die Positionen Athens unterrichten. Insider schlossen nicht aus, dass Tsipras bereits am Sonntagabend nach Brüssel reist.

"Ehrenvolle Einigung"

Athens Finanzminister Yanis Varoufakis nahm in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vor allem die deutsche Bundeskanzlerin in die Verantwortung: Merkel stehe am Montag vor einer entscheidenden Wahl. Sie könne in eine "ehrenvolle Einigung" eintreten oder die einzige griechische Regierung über Bord werfen, die prinzipientreu sei und die das griechische Volk mitnehmen könne auf einen Pfad der Reform.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warnte wiederum die griechische Regierung: "Was nicht geht: aus dem Euro ausscheiden, seine Schulden nicht zurückzahlen, aber erwarten, dass die Mittel aus dem EU-Haushalt weiter fröhlich fließen."

Sparer heben Geld ab

Griechenland steht ohne baldige Einigung vor der Pleite. Der Druck auf die Politik steigt auch, weil immer mehr Griechen ihr Geld von den Banken abheben. Allein am Freitag sollen die Griechen 1,7 bis zwei Milliarden Euro von ihren Konten abgehoben haben. Damit seien seit Montag fünf Milliarden Euro aus dem Banksystem abgeflossen. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist sich Insidern zufolge deshalb nicht mehr sicher, ob die Geldhäuser am Montag noch öffnen können.

Nur 450 Millionen

Für Alekos Flambouraris, enger Berater von Tsipras, geht es im Streit mit Athen letztlich nur noch um Maßnahmen für 450 Millionen Euro. Die Gläubiger machten zusätzlich Einsparungen in diesem Umfang zur Bedingung für die Auszahlung weiterer Hilfen. Flambouraris dämpfte aber die Aussicht für einen Erfolg des Griechenland-Sondergipfels. Die Gläubiger seien nicht bereit, Athen wie gefordert eine Reduzierung des Schuldenberges zuzusichern.

Die griechische Presse macht sich am Sonntag Sorgen über die Zukunft des Landes.

"Rettet Griechenland", titelt die Athener Sonntagszeitung der politischen Mitte "To Vima". Im Hintergrund ist eine griechische Fahne abgedruckt. Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras trage "eine historische Verantwortung", in den nächsten 24 Stunden werde das Schicksal Griechenlands bestimmt, meint das Blatt.

"Stunden der Agonie (des Todeskampfes) und der Verantwortung für die Zukunft Griechenlands", titelt die konservative Zeitung " Kathimerini". Regierungschef Alexis Tsipras stehe vor dem Ultimatum der Gläubiger, weitere Sparmaßnahmen zu akzeptieren oder sein Land werde pleite gehen. In einem Kommentar erinnert die Zeitung Tsipras daran, dass er vom Volk nicht das Mandat habe, Griechenland zum Austritt aus der Eurozone zu führen. "Der Bruch (mit den Gläubigern) und die (Rückkehr zur alten Währung) Drachme werden eine nationale Katastrophe sein", kommentiert das Blatt.

"Einigung oder Abenteuer", titelt das Boulevardblatt "Ethnos".

Das Boulevardblatt "To Proto Thema" setzt auf: "Griechenland wird im Euroland bleiben".

Die konservative Zeitung "Eleftheros Typos" sieht für Griechenland und Premier Tsipras" "Die Stunde "Null" schlagen.

Die Parteizeitung der regierenden Linkspartei Syriza "I Avgi" titelt: "Das Volk steht der Regierung zur Seite".

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