Kein Brexit-Kompromiss in Sicht: May und Barnier unversöhnlich

Premierministerin May will wirtschaftsfreundlichen EU-Austritt. EU-Chefunterhändler Barnier sieht europäisches Projekt ist bei Bevorzugung in Gefahr.

Der EU-Chefunterhändler Michel Barnier warnt angesichts der verhärteten Fronten in den Brexit-Verhandlungen vor einem "Ende des europäischen Projekts". Das oberste Interesse der EU-Staaten bestehe darin, die Integrität des gemeinsamen Marktes zu wahren, sagte der Franzose der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Sollte man Großbritannien einen privilegierten Zugang zum Binnenmarkt für Güter gewähren, führe dies zu einem "unfairen Wettbewerb". Auch die britische Premierministerin Theresa May zeigte sich unnachgiebig. Sie werde sich nicht zu Kompromissen zwingen lassen, die nicht im nationalen Interesse seien, schrieb sie im "Sunday Telegraph". Die kommenden Monate seien entscheidend für die Zukunft des Landes, "und ich bin mir meiner Aufgabe bewusst".

Die Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien haben zuletzt kaum Fortschritte gemacht. Ursprünglich war eine Einigung bis zum Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs Mitte Oktober angestrebt worden. Barnier sagte nun, die Gespräche müssten bis Mitte November abgeschlossen werden. Zugleich sprach er sich gegen eine Verlängerung der Austrittsverhandlungen über März 2019 hinaus aus. "Wir brauchen nicht mehr Zeit. Was wir brauchen, sind politische Entscheidungen."

May will einen EU-Austritt mit überschaubaren Folgen für britische Unternehmen - etwa durch eine Freihandelszone mit der EU für Waren. Sie steht wegen ihrer Brexit-Strategie im eigenen konservativen Lager allerdings unter Druck. Kritiker stören sich vor allem daran, dass ein Teil der gemeinsamen Regeln mit der EU beibehalten werden soll. Viele Brexit-Befürworter verlangen einen klaren Schnitt.

Die "Sunday Times" hatte zuvor berichtet, dass führende Abgeordnete in Mays Partei bereit seien, im September ihre eigenen Vorstellungen zu veröffentlichen. Diese sähen einen härteren Bruch mit der EU vor. May bekräftigte, dass Großbritannien bereit sei, die Europäische Union ohne ein Abkommen zu den Scheidungsdetails zu verlassen, falls man sich nicht auf die Bedingungen einigen könne. Genau dieses Szenario fürchtet die Wirtschaft.

Barnier sagte, die EU biete Großbritannien einen Freihandelsvertrag an, wie er mit Kanada oder Südkorea geschlossen worden sei. Auch eine weitergehende wirtschaftliche Bindung sei möglich: "Sie könnten im Binnenmarkt bleiben, wie Norwegen, das auch kein EU-Mitglied ist - allerdings müssten sie dann auch alle damit verbundenen Regeln und Beitrittszahlungen zur europäischen Solidarität übernehmen." Er lehnte jedoch strikt ab, dass sich Großbritannien nur einzelne Teile des Marktes herauspicke: "Das wäre das Ende des Binnenmarkts und des europäischen Projekts."

Zugleich forderte er europäische Unternehmen auf, sich auf einen geordneten und auch ungeordneten Brexit vorzubereiten. "Im Transportsektor und bei den Wertschöpfungsketten zwischen dem Vereinigten Königreich und der restlichen Europäischen Union muss noch mehr getan werden." Viele Produkte würden im Herstellungsprozess zwischen dem Königreich und der EU hin und her transportiert. "In jedem Fall empfehle ich der Industrie, ihre Wertschöpfungsketten 'brexitfest' zu machen", so Barnier.

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