Wie viel Büro ist gut, notwendig, angebracht? Das sagen Elon Musk, Tim Cook und Wolfgang Hesoun dazu

Nach drei Jahren beim Tech-Gigant Apple schmiss Ian Goodfellow, hochrangiger KI-Experte, vergangenes Monat das Handtuch. „Ich bin fest davon überzeugt, dass mehr Flexibilität das Beste für mein Team gewesen wäre“, schrieb der führende Ingenieur seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bevor er seinen Posten beim wertvollsten Konzern der Welt endgültig aufgab, weil er künftig wieder mehrmals die Woche ins Büro hätte gehen sollen.
Homeoffice als Voraussetzung
Büroanwesenheit als Kündigungsgrund – vor drei Jahren lag das noch jenseits jeglicher Vorstellungskraft. Mehr als zwei Jahre Corona-Pandemie bedeuteten aber in vielen Wirtschaftsbereichen Homeoffice oder eine Art des hybriden Arbeitens, Flexibilität bei gleichzeitiger Einsparung von Kosten und Zeit inklusive. Das sind Vorteile, an die sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mittlerweile gewöhnt haben, wie auch eine aktuelle Studie des Unternehmensberaters EY bestätigt. Sie zeigt, dass weltweit mehr als die Hälfte der Beschäftigten erwägen, ihren Job an den Nagel zu hängen, sollte ihre Chefin oder ihr Chef nicht auf ihre Wünsche hinsichtlich flexiblem Arbeitsort eingehen.
Das sagen die Stars

„Jeder muss mindestens 40 Stunden pro Woche im Büro verbringen. Wenn jemand nicht erscheint, müssen wir davon ausgehen, dass diese Person das Unternehmen verlassen hat“, sagt Elon Musk.

„Arbeitet angemessen“, das forderte General Motors-Chefin Mary Barra vor ihren 155.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Mit „Work Appropriately“ ist ein Konzept gemeint, das auf Flexibilität und Individualität ausgelegt ist. Heißt konkret: Es gibt keine starren Regeln, sondern die Mitarbeiter können je nach Projektstatus und damit verbundenen Aufgaben ihre hybride Arbeitssituation anpassen.

„Wir ermöglichen unseren Mitarbeitern einen Mix aus Homeoffice und Büro. Nach zwei Jahren Pandemie beobachten wir jedoch auch das erhöhte Bedürfnis nach sozialer Interaktion und persönlichen Terminen im Büro. Gerade im Innovationsbereich erweist sich der direkte Austausch oftmals
als zielführender“, sagt Wolfgang Hesoun, Generaldirektor der Siemens AG.

„Wir leben eine völlig flexible, auf Vertrauen basierende Unternehmenskultur. Mitarbeiter entscheiden selbst, von wo aus sie am besten arbeiten“, das sagt Christina Wilfinger, Geschäftsführerin von SAP Österreich. Eigene Büros oder Arbeitsplätze gibt es in der Firmenzentrale deshalb nicht, auch nicht für die Chefin. Stattdessen bucht sich jeder Mitarbeiter für den Bürotag einen Arbeitsplatz.

„Ich bestehe darauf, dass ich meine Mitarbeiter regelmäßig sehe. Die Vorteile der persönlichen Zusammenarbeit sind unersetzlich", sagt Apple-CEO Tim Cook.

„Bei uns gilt aktuell die Regelung zum mobilen Arbeiten bzw. zum Arbeiten
im Homeoffice mit einer Quote von bis zu 50 Prozent. Damit wollen wir Flexibilität ermöglichen und zugleich soziale Interaktion fördern“, sagt Helmut Weinwurm, Vorstand Bosch Österreich.

Von wo aus seine weltweit rund 6.000 Mitarbeiter arbeiten, das möchte Airbnb-CEO Brian Chesky nicht vorgeben. Im Gegenteil: Seit Mai dürfen die Angestellten von überall aus in ihrem Land arbeiten und für jeweils 90 Tage pro Jahr auch in einem von 170 anderen Ländern. Lediglich eine Woche pro Quartal müssten die Beschäftigten für Teambuilding-Maßnahmen zusammenkommen. Seitdem man die neue Regelung angekündigt hat, hätten sich mehr als eine Million Interessenten die Stellenausschreibungen angesehen. „Flexibilität wird neben Gehalt zum wichtigsten Faktor werden“, meint Chesky.

„Dass alle Mitarbeiter jeden Tag der Arbeitswoche ins Büro kommen müssen, fanden wir vor der Pandemie schon nicht zeitgemäß. Durch Covid hat sich das Bewusstsein für flexibles Arbeiten verstärkt, das wollen wir nicht ignorieren“, sagt Anita Widmann, HR-Chefin bei Sanofi.
Eine Entwicklung, vor der sich Arbeitgeber insbesondere im Kampf um die besten Talente nicht verschließen können. Um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trotzdem, zumindest für einen gewissen Teil der Arbeitszeit, wieder zurück in die Büros zu bringen, investieren Firmen gerade viel. Microsoft Österreich beispielsweise hat erst vor Kurzem am Wienerberg seine modernisierten Büroräumlichkeiten eröffnet (der KURIER berichtete), um vor allem auf die gestiegenen Mitarbeiterbedürfnisse zu reagieren und Beschäftigten die Rückkehr ins Büro zu versüßen, wie HR-Leiterin Ingrid Heschl im KURIER-Gespräch erzählt.
Die Rückkehr als Event
Noch weiter in die Trickkiste griff Branchenriese Google und engagierte vor wenige Wochen Popstar Lizzo für ein Konzert am Firmensitz in Mountain View. Man wolle so „die Rückkehr ins Büro zu etwas ganz Besonderem machen“, schrieb David Radcliffe, der bei Google für das Thema Arbeitsplatz zuständig ist. Und der Chiphersteller Qualcomm organisierte in San Diego vergangenen April eine große „Welcome-Back-Happy-Hour“ mit Gratisessen, T-Shirts und persönlicher Begrüßung durch den CEO Cristiano Amon.
Fehlende Identifikation und ihre Folgen
Doch warum nehmen Unternehmen diese Kosten auf sich? Könnten sie doch viel einsparen, wenn sie etwa Teile der Büroflächen abmieten würden. Ganz so einfach ist es nicht. Viele haben in den vergangenen zwei Jahren gemerkt, dass die Kooperation und Abstimmung zwischen Beschäftigten oder mit der Führungskraft durch unterschiedliche Arbeitszeiten und die räumliche Trennung schwieriger wurden. Auch die Bindung zwischen den Angestellten und dem Unternehmen nahm ab. Was vielfach übrig blieb: Eine rein formale Arbeitsbeziehung, die sich auf die operativen Aktivitäten reduzierte.
Und speziell neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten während der Pandemie das Problem, dass sie oft inhaltlich und sozial wenig an die bestehenden Teams angebunden werden konnten, da sie kaum Möglichkeiten hatten, dieses in Präsenz zu erleben.
Die Folgen waren oft gestiegene Fluktuation und Wechselbereitschaft. Tatsachen, die auch Michael Bartz, Professor an der IMC Fachhochschule Krems, wo er den Forschungsbereich „New World of Work“ leitet, kennt. Dass das Büro ein Auslaufmodell ist, glaubt er deshalb auch nicht. „Büros haben im Zeitalter, in dem wir von überall aus arbeiten können, noch Bedeutung, ihre Funktion verändert sich aber.“
So werde man dieses künftig für Zusammenarbeit, Interaktion oder kreative Prozesse nutzen, konzentrierte Arbeiten werden dagegen zunehmend ins Homeoffice verlagert werden. Im Übrigen zeigen seine Untersuchungen, dass 70 bis 80 Prozent der heimischen Firmen auch nach der Pandemie mobiles Arbeiten weiter ermöglichen wollen. Das wirde auch notwendig sein. Denn im Kampf um die besten Talente, müssen Firmen auf die Wünsche ihrer Mitarbeiter eingehen.
Das Homeoffice-Dilemma
Unternehmen wollen....
- ... ein Teamgefüge schaffen und brauchen die Identifikation mit dem Unternehmen. Räumliche Trennung macht das oft schwierig. Unternehmensführung wird in diesem Kontext viele neue, zusätzliche Rollen und Pflichten erhalten.
- .... und müssen den Spagat zwischen Anwesenheit und Abwesenheit mit hybriden Systemen schaffen. Derzeit wird das noch nicht einheitlich praktiziert. Rund 50 Prozent der Arbeitnehmer hat kein Angebot, das Heimbüro zu nutzen.
- ... regelmäßige Präsenz. „Es gibt eine Studie, die zeigt, dass Mitarbeiter im Homeoffice mehr schaffen“, schreibt Verhaltensökonom Matthias Sutter in seinem Buch. Es habe sich aber gezeigt, dass diese dann trotzdem seltener befördert zu werden. Es scheint zu gelten: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Mitarbeiter wollen...
- ... sich immer weniger binden und auch physisch weniger präsent sein. So zeigt eine internationale Studie des Meinungsforschungsinstituts Kantar, dass rund 73 Prozent der rund 2.000 Befragten nicht mehr täglich im Büro arbeiten wollen.
- ... ein hohes Maß an Flexibilität und die Möglichkeit Beruf, Familie und Freizeit zu vereinbaren. Sollte dies der Arbeitgeber nicht ermöglichen, würde laut EY mehr als die Hälfte der Beschäftigen in Erwägung ziehen, den Job zu wechseln.
- ... Zeitgewinn. Im Pendlerland Österreich, wo mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer pendelt – im Schnitt 36 Kilometer – kann das durch Homeoffice gewährleistet werden. Laut einer OECD-Studie wächst durch die Zeitersparnis übrigens auch die Produktivität.
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