Alis Ansichten: „Warum tut man sich so etwas freiwillig an?“

Alis Ansichten: „Warum tut man sich so etwas freiwillig an?“
Ali Mahlodji whatchado Co-Founder und Beirat, Trendforscher beim Zukunftsinstitut, EU Jugendbotschafter und Autor

4.00 Uhr Tagwache. Ein 17-Stunden-Tag erwartet uns, an dessen Ende wir müde ins Bett fallen, obwohl wir den ganzen Tag nur gesessen sind. Wohlgemerkt am Boden, meditierend und schweigend – durchgehend für 10 Tage. Was für viele wie Folter in Reinkultur wirkt, ist eine der ältesten Meditationstechniken Indiens und hört auf den Namen Vipassana, was so viel bedeutet wie „Die Dinge sehen, wie sie wirklich sind“.

Mittels Anleitung lernt man schrittweise, negative Verhaltensmuster wie Ärger, Angst und Ungeduld abzubauen und positive Qualitäten wie Toleranz, Mitgefühl und Großzügigkeit zu entwickeln. „Warum tut man sich so etwas freiwillig an?“ war die häufigste Frage, als ich meinem Umfeld zum ersten Mal mitteilte, dass ich für 10 Tage dem Begriff „offline“ eine neue Dimension verleihe.

Auf den ersten Blick war die selbstverordnete Stille vollkommene Tortur, auf den zweiten jedoch der Anker, den ich als getriebener Mensch brauchte, um die eigenen Bremsen wieder zu entdecken.

Ich war mit den Gedanken ständig in der Zukunft oder in der Vergangenheit, jedoch immer weniger an dem einzigen Ort, an dem ich echte Ruhe hätte finden können: im Hier und Jetzt. Stress, der ständige Blick aufs Handy und das Gefühl, Dinge zu verpassen waren damals meine täglichen Begleiter. Ein Freund empfahl mir die Vipassana Meditation in St. Michael in Kärnten.

Während ich in den ersten Tagen im Schweigezustand damit kämpfte, beim Schnarchen meiner drei Zimmernachbarn oder Summen der Klimaanlage im Meditationsraum nicht die Nerven zu verlieren, führten die gemeinsamen Konzentrationsübungen überraschend schnell zu innerer Ruhe und einem neuen Blick auf die eigene Gedankenwelt.

Nach und nach lernte ich, meine Gedanken zu beobachten – als wären sie Dateien auf meinem PC und ich der User, der diese bewusst aufmachen oder löschen konnte. Verfluchte ich anfangs noch die Tagwache, freute ich mich zunehmend auf das tägliche Sitzen im Morgengrauen und die Klarheit am Abend. Klarheit, die uns allen in der lauten Welt wohl öfters guttun würde.

-Ali Mahlodji

Kontakt: karriere@kurier.at

Ali Mahlodji schreibt ab sofort regelmäßig für den KURIER: "Alis Ansichten" lesen Sie jeden Samstag im JOB Business.

Kommentare