Italiens Banken-Probleme: "Signifikant, aber lösbar"

Die Euro-Schuldenkrise hat gelehrt: Eine Währungsunion ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Das sind aktuell Italiens Banken – geht von ihnen die nächste Finanzkrise aus? Der KURIER liefert wichtige Fragen und Antworten zum Thema.
Wie dramatisch ist die Lage? Warum tauchen die Probleme gerade jetzt auf?
Die faulen Kredite haben sich über viele Jahre aufgetürmt. Nach dem Brexit-Votum der Briten scheuen Anleger aber höhere Risiken und schauen genau hin. Das hat Italiens Finanztitel massiv unter Druck gebracht. "Das italienische Bankenproblem ist signifikant und muss angegangen werden, es ist aber lösbar", sagt Guntram Wolff, Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, zum KURIER (siehe ausführliches Nachgefragt unten).
Das sind nicht die ersten Banken, die wackeln. Was macht Italien so brisant?
Ministerpräsident Matteo Renzi bereitet staatliche Stützen vor – als "Vorsichtsmaßnahme". Die neuen EU-Regeln setzen ihm dabei jedoch enge Grenzen. Sie besagen: Erst müssen Aktionäre und Anleihen-Gläubiger die Zeche zahlen, dann erst die Steuerzahler. Das nennt sich "Bail-in". In Italien würde das freilich viele Kleinanleger treffen, die Bankanleihen als Sparform halten. Sie teils zu enteignen wäre politisch brisant.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Würden die EU-Regeln zur Bankenabwicklung bei erster Gelegenheit gebrochen, wären sie völlig unglaubwürdig. Das gilt als undenkbar. "Ich denke, es wird eine Kombination aus Bail-in (Gläubigerbeteiligung) und öffentlichen Mitteln geben, und das ist auch angemessen", sagt Wolff. Die EU-Regeln seien flexibel genug: Wenn systemische Probleme für das Finanzsystem drohen, ließen sich Staatshilfen rechtfertigen. Und falls ein Gläubigerschnitt "die Oma von nebenan" trifft, könne ein staatlicher Sozialfonds ihre Verluste zum Teil kompensieren.
Kann sich Italien das überhaupt leisten?
Flapsig formuliert: Bei fast 2200 Mrd. Euro Staatsschulden werden jene 40 bis 50 Mrd., die nötig wären, um die Bankenprobleme zu lösen, Italien wohl nicht in die Pleite treiben. Zumal die Europäische Zentralbank die Zinsen der Staatsanleihen mit ihrem Ankaufprogramm unter Kontrolle hält. Wolff: "Schlimmer wäre es, das Problem bleibt ungelöst und Italiens Wachstum weiterhin so schwach."
Woran krankt Italien?
Die Wirtschaftsleistung wächst extrem langsam. So wird das Vorkrisenniveau von 2007 wohl erst Mitte der 2020er-Jahre (!) erreicht, warnt der IWF. Bemerkenswert: Sogar die Experten sind untereinander zerstritten, was sie Italien raten sollen. Ein Großteil der IWF-Direktoren will, dass Rom kleine Budgetüberschüsse anpeilt, um seinen Schuldenberg rascher abzutragen (deutscher Weg). Andere empfehlen Renzi, sich Zeit zu lassen, um das Wachstum nicht abzuwürgen (angelsächsischer Weg).
Könnte Rom Geld aus dem Euro-Rettungsschirm ESM für die Banken abrufen?
Ja, Spanien hat das getan. Es würde aber von einem ESM-Programm mit Reform-Auflagen begleitet. Diese politische Teilentmündigung will die Regierung Renzi vermeiden.
Faule Kredite - Bankenrettung auf Raten
„Sofferenze“ (Leiden) heißen in Italien faule Kredite, deren Rückzahlung so gut wie ausgeschlossen ist. Sie machen fast 200 Mrd. der 360 Mrd. Euro überfälliger Kredite aus. Dabei handelt es sich vor allem um Firmenschulden aus der Bau-, Möbel- und Textilbranche. Vorgesorgt haben die Banken in ihren Bilanzen bisher nur für rund 45 Prozent.
Eine staatliche Banken-Rettung gab es in Italien bisher noch nicht: Als im November 2015 vier Geldhäuser abgewickelt wurden, mussten Gläubiger einen Teil der Verluste schultern. Schon damals gingen viele Kleinanleger zum Protestieren auf die Straße (siehe Bild). Dazu mussten auch die Großbanken Unicredit, Intesa und UBI in einen Abwicklungsfonds einzahlen.

Was soll die Regierung von Matteo Renzi tun: Die neuen EU-Regeln gleich einmal brechen? Oder doch lieber viele Kleinanleger im eigenen Land enteignen? Der KURIER sprach mit dem Bankenexperten Guntram Wolff. Der Deutsche leitet seit 2013 die renommierte Brüsseler Denkfabrik Bruegel.
KURIER: Wie dramatisch ist die Lage in Italien ? Warum taucht das Problem gerade jetzt auf?
Guntram Wolff: Das italienische Bankenproblem ist in der Tat signifikant und muss angegangen werden, es ist aber lösbar. Durch das Brexit-Thema scheuen Investoren Risiken und sehen bei ihren Investments ganz genau hin; die Banken sind davon stark betroffen. Das Gute ist: Die Staatsanleihen-Märkte sind unter Kontrolle.
KURIER: Was wäre aus Ihrer Sicht die beste Lösung in Italien?
Wolff: Es ist kein ganz trivialer Fall. Ich denke, am Ende wird es eine Kombination aus Bail-in (Gläubigerbeteiligung) und öffentlichen Mitteln geben, und das ist in diesem Fall auch angemessen. Je systemischer die Probleme sind, umso eher lassen sich öffentliche Mittel rechtfertigen. Die zweite Frage ist, welche Banken und Gläubiger wie stark betroffen wären: Ist die Großmutter ums Eck oder der kleine Retail-Investor betroffen?
KURIER: Nach den neuen EU-Regeln müssen zuerst die Gläubiger zahlen, bevor der Staat einspringen kann. Wenn das gleich bei einem der ersten Fälle gebrochen würde, wäre da nicht das Vertrauen in die Regeln vollends zerstört?
Wolff: Ich stimme Ihnen zu, allein wegen des Signals der Glaubwürdigkeit brauchen wir ein bisschen Bail-in. Wir brechen die Regeln damit aber nicht: Die Gemengelage in Italien ist komplex, die Abwicklungsregeln (BRRD, Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen) erlauben einiges an Flexibilität, um damit umzugehen. Dazu wie das im Detail aussehen könnte, bereiten wir bei Bruegel gerade ein Papier vor.
KURIER: Könnte Italien betroffene kleine Gläubiger also entschädigen?
Wolff: Es gibt schon eine grundsätzliche Einigung für einen solchen Sozialfonds, das könnte man erweitern, um entstehende Verluste zumindest teilweise zu kompensieren.

Wolff: Es geht da um relativ wenig Geld, zumindest verglichen mit Italiens Bruttoinlandsprodukt. Um das Bankenproblem zu lösen, wären rund 40 bis 50 Milliarden Euro nötig - die höchste Summe, die ich gehört habe, waren 80 Milliarden Euro. Für einen Teil gäbe es einen Bail-in, ein Teil käme aus öffentlichen Mitteln. Italien könnte sich das insofern leisten, als die Staatsschulden bei mehr als 2000 Milliarden Euro liegen. Da könnte man noch ein wenig dazustecken, ohne gleich in die Insolvenz zu gehen. Viel schlimmer wäre es, wenn das Problem ungelöst bleibt und wir weiterhin schwaches Wachstum haben.
KURIER: Könnten die Italiener Geld für die Banken aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ( ESM) erhalten, so wie Spanien?
Wolff: Die Möglichkeit gibt es, das beinahltet aber defacto ein ESM-Programm und Auflagen. Diese Konditionalität ist politisch nicht erwünscht. Die andere Möglichkeit über das direkte Rekapitalisierungsinstrument des ESM wäre noch schwieriger. Das ist so, wie es konstruiert wurde, derzeit kaum anwendbar.
KURIER: Im IWF-Bericht zu Italien scheint eine bemerkenswerte Kontroverse durch: Einige IWF-Direktoren fordern, Rom soll die Staatsschulden rasch senken. Andere plädieren für mehr Zeit. Ist nicht einmal mehr der IWF sicher, was Italien wirtschaftspolitisch tun soll?
Wolff: Das spiegelt sich die ganze Fiskaldebatte wider. Die internationale Community ist schon lange uneinig, es gibt die deutsche und die angelsächsische Sicht. Meine Einschätzung ist, dass Italien sicher keine große Expansion planen sollte, das wäre völlig verkehrt. Vorsicht mit dem Budget ist angebracht. Die Spielräume wären eher in der Eurozone als Ganzes zu finden. Und da vor allem bei Deutschland, das eher ein bisschen zu wenig tut.
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