Matteo Thun: "Architekten sind nie zufrieden"
KURIER: Gehen Sie gerne in Bars?
Matteo Thun: Wenn ich in Mailand bin, gehe ich zum Fioraio Bianchi, ein Blumenladen, der auch eine Bar ist. Die wissen dort genau, was für einen Gin Tonic ich trinke, um welche Uhrzeit, mit wie viel Eis und Zitrone.
Sie sagen, das perfekte Design gibt es nicht. Wie zufrieden sind Sie mit der Bar Campari, die Sie im Goldenen Quartier in Wien geplant haben?
Das wissen wir, wenn wir uns zu Weihnachten wieder treffen.
Weil Sie erst darüber nachdenken müssen?
Wir müssen sehen, wie die Heirat zwischen Mailand und Wien angenommen wird.
Nochmals die Frage: wie zufrieden sind Sie persönlich?
Architekten sind nie zufrieden. Aber die Idee, dass man die Kunst des Gastronoms Peter Friese (Anm.: Inhaber des Schwarzen Kameels) und die Kunst von Campari verbindet, hat funktioniert.
Woran lesen Sie das ab? Weil die Bar am ersten Tag voll ist?
Nicht nur daran. Fortunato Deperos Schwarz-Weiß-Werbung für Campari aus den 20er-Jahren macht Spaß. Und eine Campari-Bar muss Spaß machen. Sie ist das Gegenteil einer Wein- und Bierbar. Es geht nicht ums Trinken, es ist ein soziales Ritual des Genusses.
Wie viele Bars haben Sie schon designt?
Wir haben zirka 80 Hotels gemacht, dem zufolge auch 80 Bars. Und viele andere mehr: über 200 für Vapiano etwa.
Sie sind in Ihrem Schaffen sehr vielseitig. Wieso haben Sie sich nie festgelegt?
Wissen Sie, was ein Tuttologo ist? Tutto ist alles, Logos ist das Wissen. Wenn jemand vorgibt, alles zu wissen, weiß er nichts. Das bin ich.
Erklären Sie mir trotzdem die konkrete Idee hinter dieser Bar.
Wir haben die Bar gestaltet mit dem Anspruch, dass sie ästhetisch dauerhaft sein soll. Keine Zeichensprache von einem Autor soll sichtbar sein. Im besten Falle ist es die Symbiose des Gastgebers mit der Idee von Campari: den Leuten Freude zu bereiten, ohne Alkoholismus zu fördern. Obwohl es hier natürlich hochprozentigen Alkohol gibt, habe ich in meinem Leben noch nie einen besoffenen Campari-Trinker gesehen. Es geht um etwas anders: um glückliche Gesichter, um Kommunikation, um das Miteinander.
Also mehr Spirit als Spirituose?
So könnte man es sagen.
Was war herausfordernd an diesem Objekt? Das Lokal war zuvor ein Restaurant, das sehr schnell wieder geschlossen wurde.
Es ist eine fantastische Location: geht man vom Schwarzen Kameel hundert Meter weiter Richtung Mailand, dann stößt man auf diese Bar. Hier findet man im besten Fall einen anderen Dialog mit sich selbst und mit der Umgebung.
Ist eine italienische Bar eine italienische Bar – oder müssen Sie sie auf die Stadt abstimmen?
Absolut. Schauen Sie: die schwarz-weißen Kissen und die Kunst an der Wand sind eine Hommage an die Kunststadt Wien. Eine Campari-Bar in Kopenhagen, in Shanghai oder New York würde eine ganz andere Geschichte erzählen. Mit anderen Farben, anderen Böden, einer anderen Lichtatmosphäre. Genius Loci, die Seele des Ortes zu verstehen, ist wichtig.
Was brauchen die Wiener?
Ich war gestern im Loos-Haus am Michaelerplatz. Ich kann mir vorstellen, dass der Herr Loos diese Bar sehr gemocht hätte. Da ist viel aus seiner Zeit wieder zu finden.
Wie schafft man Italoflair mitten in Wien?
Es geht gar nicht um Italoflair. Sondern darum, dass die über hundertjährige Geschichte von Davide Campari die tausendjährige Geschichte Wiens trifft und diese beiden eine Hochzeit eingehen, ohne sich zu verheiraten. Man küsst sich, aber bleibt auch auf bestimmte Distanz.
Wo es brodelt: The Alchemist, London
London ist die Stadt der Bars, The Alchemist, unweit vom Wolkenkratzer 30 St. Mary Axe, ist jedenfalls einen Besuch wert: das Interieur ist lichtdurchflutet und modern, ein großer Apothekerschrank, eine Decke wie aus einer Industriehalle und Lampen an langen Kordeln dominieren das Erscheinungsbild. Dazu ein paar wenige Holzelemente an der Theke und mit Leder überzogene Eisen-Barhocker. The Alchemist ist bekannt für seine molekulare Mixologie: hier staunen die Gäste, weil seltene Zutaten chemische Reaktionen erzeugen, es raucht und brodelt.
Rustikal, mit viel Bier: Glorious Bastards, Linz
Im Zentrum von Linz, seit 2017, gibt es das außergewöhnliche Lokal: hier treffen die Künste von Bäckerei, Metzgerei und Brauerei zusammen und werden neu in Szene gesetzt. Modern und doch bodenständig wirkt das Konzept, keine Architektur-Schnörkel. Die Brauerei und Bar bilden den Grundstock des Unternehmens mit einem der letzten, direkt befeuerten Kupfersudkessel der Familienbrauerei Raschhofer. Unzählige, ausgezeichnete Craftbeer-Sorten präsentieren sich auf der meterhohen Tafel. Unter, hinter und neben der Theke sind 112 metallene Bierfässer gestapelt und werden mit schweren, schwarzen Industrieleuchten besonders betont.
Beton und Samt: Hiltl Langstraße, Zürich
Pure Materialien wie Betonwände und Glas prägen das minimalistische Design in der Züricher Bar Hiltl, eigentlich ein Restaurant und auch ein Club und das schon seit 120 Jahren. Die Lichtwände sind von Tokyoblue, das Oberlicht wird mit kaleidoskopartigen, fragmentierten Spiegeln interessant gebrochen. Cooles Ambiente und trotzdem behaglich: dafür sorgt ein Teppichboden – am Boden und an der Decke. Gegensätze sind hier gewollt und werden betont: raue Betonoberflächen und weiche, samtbespannte Sitzmöbel.
Was suchen die Menschen in einer Bar?
Ich war mit dem Herrn Friese sehr lange im Café Hawelka. Ich glaube, das Hawelka ist nur scheinbar ein statischer Ort. Es verändert sich komplett zwischen Morgen, Mittag, Nachmittag, Abend und Mitternacht. Andere Leute, anderer Konsum, andere Gespräche, andere Atmosphären. Das Hawelka ist ein besonderer Ort, den ich besonders liebe. Die Antwort ist also: die Menschen suchen immer etwas anderes, je nachdem, wann und mit wem sie hierher kommen.
Was inspiriert Sie, wenn Sie so ein Objekt planen?
Ich habe zwischen 1985 und 1995 intensiv für Campari und die Besitzerin von Campari arbeiten dürfen. Habe Shaker und Gläser entworfen, habe mit Lobmeyr ein Glas gemacht, das Via Col Vento hießt. Es ist wahrscheinlich das schwierigste Glas, das der Herr Rath in seinem Leben gemacht hat. Es gab nur 50 Stück davon.
Wie sieht das aus und haben Sie eines?
Ich habe Gott sei Dank eines. Es ist inspiriert vom Moment, als Marilyn Monroe über den U-Bahn-Schacht läuft und der Rock hochschwingt. Ein dynamisiertes Stück Glas, elliptisch, extrem komplex. Ich glaube, Herr Rath hat daran gezweifelt, ob ich überhaupt weiß, wie man ein Glas macht.
Sie streifen immer wieder an Österreich an. Nicht nur, wenn Sie Aufträge bekommen, Sie haben auch in Salzburg studiert, in Wien unterrichtet. Inwieweit hat Ihnen Österreich etwas auf Ihrem Architekturweg mitgegeben?
Österreich und Wien sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Meine Familie hat in Böhmen gelebt und ist von dort geflohen. Ein Teil der Familie ist in Wien hängen geblieben, ein Teil nach Südtirol gegangen. Natürlich gibt es einen Teil von mir, der österreichisches Kulturgut in sich trägt.
Ist das ein großer oder ein kleiner Teil?
Das weiß ich nicht.
Nachhaltigkeit ist eines Ihrer Anliegen und Holz ist eines Ihrer liebsten Materialien. Ist Nachhaltigkeit etwas, das man heute überhaupt noch betonen muss oder nicht ohnehin schon State of the art?
Völlig richtig. Am 11. September 2001 haben wir im Unternehmen beschlossen, zwei Wörter aus unserem Jargon zu eliminieren: Nachhaltigkeit und Ökologie. Beides ist Pleonasmus – es ist also völlig unnötig, darüber zu sprechen. Denn wenn ein Architekt nicht nachhaltig ist, nicht ökologisch handelt, dann sollte er den Beruf nicht ausüben. Wir haben diese beiden Worte mit Dauerhaftigkeit ersetzt. Mit ästhetischer Dauerhaftigkeit, das wollen wir auch hier in der Bar Campari einbringen. Man soll nicht identifizieren können, wann dieser Umbau stattgefunden hat. Und auch die Autorenschaft soll nicht ablesbar sein.
Alles ist vergänglich. Für wie lange soll diese Bar funktionieren?
Ästhetisch für mindestens 15 Jahre, also für eine Generation. Aber sie wird sich im Layout in kurzer Zeit verändern. Auch das ist Nachhaltigkeit, wenn sich etwas anpasst.
Diese Veränderung ist für Sie ok?
Es muss sich verändern, wenn es lebt.
Kommentare