Hürdenlauf zur Barrierefreiheit im Handel

Die Gänge zwischen den Lebensmittelregalen sind breiter, die Gemüsewaagen sind für Rollstuhlfahrer unterfahrbar, bei der Eingangstür liegen Lupen im Scheckkartenformat und an der Wursttheke Kopfhörer, über die hörbehinderte Kunden problemlos mit dem Personal kommunizieren können. Zudem können Kunden beim Eingang mittels Knopfdruck Personal zu Hilfe rufen oder sich einen Rollator leihen. Die neue Billa-Filiale in der Wiener Fuchsröhrenstraße in Simmering ist ein Vorzeigemarkt für barrierefreies Einkaufen. "Wir haben ganz bewusst Maßnahmen umgesetzt, die wir österreichweit in unseren Filialen einsetzen können und werden", sagt Robert Nagele, Mitglied des Billa-Vorstandes.

Wirtschaftliches Thema
"In Österreich haben 15 Prozent der Bevölkerung unterschiedliche Arten von Behinderungen", sagt Rewe-Chef Frank Hensel (Billa, Merkur, Bipa, Penny, Adeg). Es gibt allein 50.000 Rollstuhlfahrer, für die der Einkauf zum Problem wird. "Das ist auch wirtschaftlich ein Thema für uns", fügt der Rewe-Chef hinzu. Vieles wird in der neuen Filiale ausprobiert. Etwa, ob die Krückenhalter an den Einkaufswägen von Kunden genutzt werden.
Der Österreichische Zivil-Invalidenverband (ÖZIV) sieht im heimischen Einzelhandel generell großen Aufholbedarf. "Die Barrierefreiheit ist bei großen Lebensmittelhändlern noch vergleichsweise am besten, weil sie viele Kunden haben", sagt ÖZIV-Experte Peter Noflatscher, in kleineren Geschäften wie etwa Modeboutiquen sehe die Lage anders aus. "Ich habe dort noch nie eine barrierefreie Umkleidekabine gesehen", nennt er ein Beispiel. Oftmals seien es alteingesessene Betriebe in sehr alten Geschäftslokalen, wo "seit vielen Jahren nichts passiert".
Ein Feldtest vor zwei Jahren ergab: Durchwegs stufenlos zugänglich sind nur große Einkaufszentren. Bei den getesteten (Wiener) Einkaufsstraßen können nur die attraktivsten punkten, während in Seitenstraßen nur noch jeder zehnte Shop stufenlos erreichbar ist. Im Lebensmittelhandel sind etwa 50 Prozent der Geschäfte barrierefrei zugänglich, auch jede zweite Bank und Apotheke erfüllt gewisse Standards. Am schlechtesten schnitten Modeboutiquen und die Gastronomie ab. Seit Auslaufen der Übergangsbestimmungen zum Gleichstellungsgesetz Anfang 2016 habe sich diesbezüglich noch nicht sehr viel verbessert, analysiert Noflatscher.
Strafen

Zertifizierung
Um das Engagement eines Unternehmens bezüglich Barrierefreiheit auch nach außen sichtbar zu machen, soll es bis Ende des Jahres eine eigene Zertifizierung geben. Der von Behindertenorganisationen ausgearbeitete Kriterienkatalog für den Zertifizierungsprozess umfasst dabei nicht nur die Infrastruktur, sondern alle Unternehmensbereiche wie Firmenphilosophie und Strategie, Management, Mitarbeiter, Kommunikation und auch die rechtlichen Aspekte.
"Die Zertifizierung zeichnet nicht nur vorbildliche Unternehmen aus, sondern nimmt sie auch in die Pflicht, sich laufend mit diesem Thema zu beschäftigten", sagt Noflatscher.
Was ist barrierefrei?
Gleichstellungsgesetz
Seit 1. 1. 2016 gilt das Bundes- Behindertengleichstellungsgesetz auch für die Privatwirtschaft in vollem Umfang. Soweit zumutbar, müssen alle Waren, Dienstleistungen und Informationen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, barrierefrei angeboten werden. Es gibt jedoch Ausnahmen, etwa für kleine Geschäfte.
Barrieren
Bauliche Barrieren sind z. B. Stufen, zu schmale Türstöcke oder zu kleine Sanitär-Anlagen (Bad/WC). Es gibt aber auch Seh- bzw. Orientierungsbarrieren.
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