Heimisches Know-how für US-Autobauer
Die Chattanooga Choo Choo schnauft wieder. Kein Wunder. Die von Glenn Miller musikalisch verewigte Tennessee-Eisenbahn hat schwere Fracht. Täglich verlassen 400 fabriksneue
Autos der Marke Passat per Bahn das neue Volkswagen-Werk im beschaulichen US-Provinzstädtchen Chattanooga und werden in alle Richtungen Nordamerikas verteilt.
VW steigt in den USA ordentlich aufs Gas. Der auf den Geschmack von Uncle Sam abgestimmte Passat soll den günstigen Familienwagen von Honda und Toyota den Rang ablaufen. Zum Schleuderpreis ab 20.000 Dollar (ca. 15.000 Euro). Die Produktion in Chattanooga läuft seit Mai auf Hochtouren, im Vollbetrieb ab 2012 sollen 2000 Beschäftigte 150.000 Autos im Jahr fertigen und den US-Autoabsatz bis 2018 auf eine Million Einheiten fast verdreifachen.
Roter Teppich
Die Wahl auf Chattanooga/Tennessee fiel nicht nur aufgrund der niedrigen Lohnkosten, Stadt und Provinz rollten den Deutschen den roten Teppich aus - vom Grundstück über Steuerzuckerln bis zur eigenen Autobahnabfahrt. Was fehlt, sind sowohl Fachkräfte als auch europäische Zulieferer, die sich nahe dem Werk in einem eigenen Areal ansiedeln sollen. Die Fachkräfte möchte VW nun selbst ausbilden und beginnt, ein in den USA bisher unbekanntes Lehrlingsmodell umzusetzen (siehe Hintergrund).
Um Zulieferfirmen aus Europa wird in Tennessee eifrig geworben, wie sich vor Kurzem österreichische Betriebe auf einer Marktsondierungsreise überzeugen konnten. "Keine Einkommensteuer, geringe Lohnkosten, schwache Gewerkschaften und genug Platz für Neuansiedlungen machen uns zum neuen Detroit Amerikas", schwärmt Trevor Hamilton von der Wirtschaftskammer in Chattanooga. Auch Nissan und
Toyota entschieden sich bereits für den Südwesten, Audi zeigt ebenfalls Interesse.
Die "alte" US-Autohauptstadt Detroit, von der Krise vor zwei Jahren noch immer schwer gezeichnet, will da nicht zuschauen. Ganze Stadtviertel stehen leer, Arbeitslosigkeit und Kriminalität sind hoch. Dennoch herrscht Auf- und Umbruchstimmung in Michigan. Mit Unsummen an Steuergeld und importiertem Kleinwagen-Know-how aus Europa wollen oder besser gesagt müssen die "Detroit-Drei", Chrysler, GM und Ford verlorenes Terrain zurückerobern. Die Absatzzahlen steigen wieder, nach ehrgeizigen Prognosen soll schon 2014 wieder das Vorkrisenniveau erreicht werden.
Umbruch
Die US-Autowelt ist nicht mehr dieselbe, weiß Franz Rössler,
Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Chicago. "Der Markt wird derzeit neu aufgemischt. Der Trend geht zu kleineren, treibstoffärmeren Modellen, zu Dieselantrieb und leichteren Materialien. Damit haben wir in Österreich große Erfahrungen und daher entsprechend viel Know-how."
Rot-weiß-rotes Spezialwissen ist im US-Autogürtel längst etabliert. Firmen wie der Automatisierungstechniker Anger Machining, Polytec, voestalpine Rotec, Tiger Lacke oder AVL List sind seit Jahren erfolgreich im Geschäft und freuen sich über steigende Nachfrage. "Die US-Regierung hat sehr viel Geld in neue Technologien gesteckt, als Wissenslieferant profitieren wir natürlich sehr davon", erzählt etwa AVL-List-USA-Boss Don Manvel, der in Michigan schon demnächst weitere 100 Ingenieure einstellen wird.
Auch kleinere, innovative Firmen könnten von der Umstellung der Lieferantenkette profitieren. "Die Werkstüren standen schon lange nicht mehr so weit offen", sagt Rössler. Der Wiener Kabelspezialist Gebauer & Griller etwa nutzt die Chance und wird sich schon bald in Michigan niederlassen. Auch die Villacher CT Engineering GmbH fand neue Geschäftspartner.
Ontario
Weiter nördlich in der kanadischen Provinz Ontario, dem größten Autostandort
Nordamerikas, fließen Milliarden an staatlichen Entwicklungsgeldern in neue Antriebssysteme wie Hybrid- oder Elektromotoren. Fünf der weltweit größten Hersteller haben hier eigene Fertigungen, zumeist Kleinwagen. Toyota produziert mit den RAV4 EV das erste Elektroauto Kanadas. Dazu kommen 450 Autozulieferer, allen voran Magna mit 44 Standorten in der Region. Für das E-Car-Projekt von Magna stellte Ontario kürzlich 34 Millionen Euro bereit. F&E-Zentren und technische Unis sind voll auf das "Auto 2.0" ausgerichtet.
Auch österreichische Firmen können als Technologiepartner am Fördertopf mitnaschen, wird versichert. Dank Frank Stronach wisse hier jeder, wo Österreich liegt. "Es geht den Kanadiern um längerfristige Geschäftsbeziehungen, auch kleine Firmen mit Spezialwissen haben gute Chancen", weiß Robert Luck, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Toronto. Dabei könnten sich Synergien mit heimischen Betrieben in der Region ergeben. So haben etwa Fronius, Amag oder Böhler längst eigene Werke vor Ort. Bis 2020, so das ehrgeizige Ziel der Politik, soll jedes zwanzigste Fahrzeug in Ontario ein E-Car sein. Derzeit sind es gerade einmal ein paar Hundert - in ganz Kanada.
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