Große Debatte über Zukunft der Autoindustrie in Deutschland
IG Metall, Grüne und SPD machen sich für einen staatlichen Beteiligungsfonds stark, der Mittelständlern in der Autoindustrie zu Hilfe kommen soll. Vor einem weiteren Spitzentreffen mit Branchenvertretern am Dienstag bei Bundeskanzlerin Angela Merkel bestand der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder auf Kaufanreize auch für Autos mit Verbrennermotor. Der Umweltverband BUND ist strikt dagegen. Die FDP forderte die Bundesregierung auf, ihre "gelenkte Auto-Staatswirtschaft" zu beenden.
Söder sagte in München: "Wir können beim Auto nicht auf Zeit spielen. Es handelt sich um den zentralen Lebensnerv unserer Wirtschaft." Gerade Zulieferer bauten bereits in größerem Umfang Arbeitsplätze ab. "Daher brauchen wir eine beschleunigte Transformationsstrategie", die auch Kaufanreize für klassische Verbrennermotoren enthalten müsse.
In einem ersten Schritt sei die Förderung für E-Autos verdoppelt worden. "Wir sollten aber auch übergangsweise Brückentechnologien fördern, die dem Klimaschutz dienen. Jedes Fahrzeug mit weniger CO2 nützt der Umwelt, den Arbeitnehmern und der Wirtschaft", sagte Söder. "Denkbar wäre ein Recycling-Modell: Alt gegen neu mit Hilfsmaßnahmen begleiten, wenn es zur Reduktion von CO2 führt – unabhängig vom Antrieb."
Der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann plädierte für einen staatlichen "Mittelstands- und Transformationsfonds", der sich an Unternehmen in Not beteiligt. "Wenn der Staat einen Teil des Risikos übernimmt, könnte das kleinen und mittleren Unternehmen die Kraft zu Investitionen und Innovationen verschaffen", sagte Hofmann der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS).
"Die Lage vieler Unternehmen ist weiterhin angespannt", sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. "Deswegen ist der Austausch zwischen Unternehmen, Gewerkschaften und Politik so wichtig." Konkrete Beschlüsse aber seien beim Treffen mit Merkel nicht zu erwarten. Es gehe darum, wie Deutschland beim vernetzten und automatisierten Fahren seine weltweit starke Position weiter ausbauen könne.
Die Nachfrage nach Autos war in der Coronakrise eingebrochen. Die Industrie hatte im Juni in der Debatte um ein Konjunkturpaket staatliche Kaufprämien auch für moderne Benziner und Dieselautos gefordert, um die Nachfrage anzukurbeln. Dies aber war am Widerstand vor allem der SPD gescheitert. Die Koalition beschloss höhere staatliche Prämien beim Kauf von Elektroautos. Zudem sollte die Senkung der Mehrwertsteuer die Nachfrage ankurbeln.
Söder kündigte nun an, dass sich die Länder vor Dienstag noch neu abstimmen wollten, wie aus ihrer Sicht weiter vorgegangen werden sollte: "Wir wollen viele mit einbeziehen, also nicht nur die drei großen Autoländer. Wir wollen starke Zuliefererstandorte wie Sachsen, das Saarland, Nordrhein-Westfalen und Hessen fest einbinden."
Für die SPD unterstützte Fraktionsvize Sören Bartol "einen staatlich aufgesetzten Fonds für den Mittelstand, wie ihn die IG Metall fordert". Die Zukunft gehöre den E-Autos, "Verbrenner werden aber die kommenden Jahre noch eine wichtige Rolle spielen".
Grünen-Chefin Annalena Baerbock führte in der "FAS" aus: "Wir müssen Mittelständlern und Zulieferern Zeit verschaffen." Angesichts von mehr als 800.000 Beschäftigten in der Automobilindustrie könne "keine Politikerin sagen: Die sind mir egal, sollen sie doch schauen, wie sie über die Runden kommen".
"Subventionen und einseitige Festlegung auf batteriegetriebene E-Mobilität sind nicht die Lösung", meinte der FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic. "Vielmehr braucht die Autoindustrie Entlastung bei Steuern und Bürokratie und bessere Rahmenbedingungen für Zukunftsinvestitionen."
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) argumentierte, eine Kaufprämie für Verbrenner zum Abverkauf der Lagerbestände nütze nur den ohnehin finanziell gut dastehenden Autokonzernen. "Die Zulieferer gehen leer aus, weil die Autos ja bereits produziert sind", sagte BUND-Verkehrsexperte Jens Hilgenberg.
Zuletzt sind in Deutschland mehr neue E-Autos zugelassen worden. Die Neuzulassungszahl rein elektrischer Pkw lag in den ersten acht Monaten 2020 bei rund 77.000. Im Juli und im August waren es jeweils mehr als 16.000. Im August entsprach das einem Anteil von 6,4 Prozent an allen neu zugelassenen Autos.
Beim Bau von E-Autos müssen sich die deutschen Hersteller nach Ansicht von IG-Metall-Chef Hofmann nicht vor dem US-Hersteller Tesla verstecken. "Tesla muss uns nicht zeigen, wie Elektroautos gehen", sagte Hofmann. "Während Tesla hochsubventioniert seine Fabrik in Brandenburg gerade erst baut, wird 200 Kilometer südlich im Zwickauer VW-Werk bereits E-Mobilität produziert, in deutlich höheren Stückzahlen." Die deutsche Autoindustrie sei in der Lage, nächstes Jahr 1,5 Millionen Elektrofahrzeuge zu produzieren.
VW-Gesamtbetriebsratschefs Bernd Osterloh sieht gute Chancen, dass VW Tesla bei den Stückzahlen überholen kann. "Wenn Tesla drei Fabriken aufbaut, in denen man zwischen 300.000 und 500.000 Autos bauen kann, dann reden wir von einer Stückzahl zwischen 900.000 und 1,5 Millionen", sagte er der "Welt am Sonntag". "Das wollen wir 2023 auch erreichen, wahrscheinlich schon früher."
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