Griechenland-Wahl: Europa zittert mit

Eine Frau und ein Kind gehen an einem Schaufenster mit der griechischen Flagge vorbei.
Bringt der griechische Urnengang endlich eine stabile Regierung oder stürzt das Land ins Chaos? Die ganze EU bangt mit.

Überschäumende Freude über einen Sieg fühlt sich anders an: Nur wenige Athener feierten am Samstag beim public viewing den Triumph ihrer Fußballnationalmannschaft über Russland. Georgia Charou verzichtete gleich von vornherein auf das Match. Eine befürchtete Niederlage wollte die junge Marketing-Expertin nicht riskieren. "Ich hab die Nase voll von schlechten Nachrichten."

Der überraschende Aufstieg der griechischen Nationalkicker ins Viertelfinale der Fußball-EM – für die 30-jährige Georgia ist dies angesichts der ständigen Hiobsbotschaften, die derzeit auf die Griechen niederprasseln, dennoch kein Thema. "Mich beschäftigt im Augenblick nur eines", seufzt sie, während sie ihr Auto nervös durch den abendlichen Verkehr steuert. "Was wird am Montag sein? Werden wir endlich eine Regierung bekommen, oder bricht dann endgültig das Chaos aus?"

Kopf-an-Kopf

Prognosen, was das krisengebeutelte Griechenland am Abend des Wahltages erwarten wird, wagt derzeit niemand zu sagen. Es bleibt bis zur letzten Minute offen: Werden sich jene Griechen durchsetzen, die unbedingt auf Euro-Kurs bleiben wollen? Oder werden sich jene, angeführt von der SYRIZA, durchsetzen, die Europa den Sparkurs aufkündigen möchten?

Anders als Anfang Mai, als die wütenden und von der Krise verbitterten Griechen ihre altgedienten Politiker in die Wüste geschickt hatten, ist diesmal Angst der Regisseur des Urnengangs.  Angst, Griechenland könnte wirklich aus der Euro-Zone fallen. Angst, die wahre Katastrophe könnte  erst jetzt beginnen.

"Für mich ist die Vorstellung, wir müssten wieder mit Drachmen zahlen, der blanke Horror", schildert Vasilis Tsirikos. "Ausländische Fahrräder, und das sind die meisten hier bei uns, würden so teuer, dass sie keiner mehr kaufen kann." Sein Geschäft, so glaubt der 38-Jährige, steht und fällt mit dem Euro. Dabei hat das kleine Geschäft des Händlers in den vergangenen Monaten erst recht zu blühen begonnen. Selbst in der griechischen Hauptstadt, wo Radfahrer noch immer eine seltene Spezies sind, stiegen zuletzt immer mehr Griechen auf das Rad um. Bei Benzinpreisen von rund 1,80 Euro pro Liter ein schlagendes Argument.

Die Furcht vor dem totalen Absturz, vor Bankencrash, Zahlungsausfall und Chaos scheint indes viele Wähler wieder in die Arme der konservativen Nea Dimokratia zu treiben. "Freunde von mir, die bisher immer die sozialistische PASOK gewählt haben, wollen dieses Mal, wenn auch mit allergrößtem Bauchweh, für die Konservativen stimmen", schildert Politologe Kostas Yfantis dem KURIER: "Die Nea Dimokratia, die für die Fortsetzung des pro-europäischen Kurses eintritt, erscheint ihnen noch immer als das geringere Übel als SYRIZA."

Diese aber dürfte nach Schätzung des Politologen bei den Wahlen noch viel besser abschneiden als zuletzt.  Mit großem Erfolg gelang es Parteichef Alexis Tsipras, die Masse jener um sich zu bündeln, die das Wort "Sparprogramm" nicht mehr hören können. Wer  Anfang Mai noch irgendeine kleine Protestpartei gegen das "Spardiktat" gewählt habe, so Kostas Yfantis, "wird jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit für Tsipras stimmen."

So wie Despina Tskalotos. Die  frühere Verkäuferin, seit zwei Jahren arbeitslos, kümmert es wenig, dass Tsipras die politische Quadratur des Kreises verspricht: Griechenland werde im Euro bleiben – und trotzdem das verhasste Sparprogramm aufkündigen, verheißt Tsipras.

Die 49-Jährige will ihm gerne glauben. Wie der jugendliche Heißsporn der SYRIZA  das schaffen will, ist der Mutter eines – ebenfalls arbeitslosen – 19-jährigen Sohnes letztlich egal. "Ich weiß nur eines: Ich kann nicht mehr sparen, ich habe nichts mehr. Und seit wir dieses Sparprogramm haben, ist in Griechenland alles nur viel, viel schlechter geworden."

 

Euro oder Drachme?

Euro oder Drachme? Die Griechen wählen nicht nur eine Regierung, sie stimmen indirekt auch über den Verbleib im Euro ab. Einen Überblick über die Szenarien, mit denen die EU nach der Griechenland-Wahl rechnet, finden Sie hier.

"Das Dilemma der Griechen lautet: Euro oder Chaos": Ein Interview mit dem Chef-Wirtschaftsberater von Nea D­imokratia-Führer Antonis Samaras, Dimitrios Tsomocos - er ist in einer von den Konservativen geführten Regierung als Finanzminister im Gespräch - lesen Sie zudem hier.

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