OGH-Urteil zu Krankenstand "kein Freibrief"
Das OGH-Urteil, wonach Mitarbeiter in dringenden Fällen auch im Krankenstand ihrem Chef zur Verfügung stehen müssen, hatte am Montag für einigen Wirbel gesorgt. Gewerkschafter Wolfgang Katzian war am Dienstag um die richtige Auslegung des Richterspruchs bemüht: „Wer immer dieses Urteil als Freibrief dafür versteht, ArbeitnehmerInnen im Krankenstand zu kontaktieren, der hat es offensichtlich falsch verstanden!" Der steirische AK-Präsident Josef Pesserl wiederum forderte eine Reparatur des Urteils durch den Gesetzgeber.
"Arbeitnehmer müssen auch krank sein dürfen", Alois Stöger
Gesundheitsminister Alois Stöger hält einen Schutz und eine Freistellung im Krankheitsfall für "sinnvoll". Es sei grundsätzlich auch nicht gut für Unternehmen, wenn Kranke in den Betrieb geholt würden: "Arbeitnehmer müssen auch krank sein dürfen."
Für Sozialminister Rudolf Hundstorfer zeigt das Urteil "Grenzfälle" auf: "Die Frage ist, was ist wichtig, geht es nicht anders? Kann nicht der Chef zum Mitarbeiter kommen?" Seiner Meinung nach werde es weiterhin Grenzfälle geben, was die Erreichbarkeit von kranken Mitarbeitern betrifft.
Auslegung der Gewerkschaft
Wer krank sei, müsse natürlich nicht für den Chef ständig erreichbar sein, so Katzian. Davon sei im Spruch der Höchstrichter auch nicht die Rede. Der OGH vertrete die Meinung, dass Arbeitnehmer erreichbar sein müssen, wenn es um unbedingt erforderliche Informationen geht, deren Vorenthaltung zu einem wirtschaftlichen Schaden des Arbeitgebers führen würde, in einem Ausmaß - etwa telefonisch -, das ihren Genesungsprozess nicht beeinträchtigt, so die Formulierung (Urteil im Wortlaut: siehe unten).
„Davon sind nur sehr wenig ArbeitnehmerInnen in gehobenen Positionen betroffen“, Wolfgang Katzian
„Davon sind nur sehr wenig ArbeitnehmerInnen in gehobenen Positionen betroffen“, stellte der Vorsitzende der GPA-djp klar. Er setze auf die Verantwortung der Arbeitgeber, diese Angelegenheit vernünftig zu behandeln und unnötige Kontaktaufnahme im Krankenstand zu vermeiden.
Urteil "reparieren"
"Die einzige Verpflichtung bisher war, dass man im Krankenstand alles tun muss, um gesund zu werden", Josef Pesserl
Für Pesserl ist die Entscheidung auch deshalb unverständlich, weil hier keine Rechtslücke bestanden habe, die geschlossen werden hätte müssen: "Die einzige Verpflichtung bisher war, dass man im Krankenstand alles tun muss, um gesund zu werden." Dieses jahrzehntelange Prinzip sei nun durchbrochen worden: "Entweder ist jemand arbeitsfähig oder nicht. Darüber kann nur ein Arzt entscheiden."
Die Klägerin ist Anwaltssekretärin, die ab 1974 (mit vier Jahren Unterbrechung) bei dem Arbeitgeber beschäftigt war. Im Februar 2010 wurde sie entlassen. Nach einem fast halbjährigen Krankenstand wegen eines Burn-out-Syndroms, Belastungsstörungen, Depressionen und Asthma war sie von ihrem Arbeitgeber schriftlich zu einem persönlichen Gespräch aufgefordert worden, sie hatte dies verweigert. Mit ihrer Klage gegen die Entlassung bekam sie vom OGH recht.
Konkret heißt es im Urteil des OGH vom 26.11.2013 (GZ 9ObA115/13x) dazu wörtlich:
"Allgemein haben Arbeitnehmer aufgrund der sie treffenden Treuepflicht die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers zu wahren. Sie haben insbesondere alles zu unterlassen, was den unternehmerischen Tätigkeitsbereich, dessen Organisationswert und dessen Chancen beeinträchtigt und die Interessen des Arbeitgebers zu gefährden geeignet ist. An Arbeitnehmer in gehobener Position sind auch in diesem Zusammenhang strengere Anforderungen zu stellen, als an andere Arbeitnehmer. Zu diesen gehörte die Klägerin aber nicht.
...Es kann nun nicht generell ausgeschlossen werden, dass Angestellte mit einem Krankheitsbild, wie es die Klägerin hat, auch während des Krankenstandes für die Bekanntgabe unbedingt erforderlicher Informationen, deren Vorenthaltung zu einem wirtschaftlichen Schaden des Arbeitgebers führen würde, in einem Ausmaß - etwa telefonisch - zur Verfügung stehen, das ihren Genesungsprozess nicht beeinträchtigt. Dies erfordert jedoch, dass vom Arbeitgeber konkretisiert wird, um welche Informationen es sich handelt, warum diese nicht anderweitig beschafft werden können und warum aus dem Fehlen der Information ein schwerer wirtschaftlicher Schaden entstehen würde. ...
Im Übrigen wurde hier festgestellt, dass für die unter anderem an einem Burn-out-Syndrom leidende Klägerin nicht nur das Erscheinen in der Rechtsanwaltskanzlei, sondern jeglicher persönlicher Kontakt mit dem männlichen Rechtsanwaltspartner aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar war. Die konkrete Aufforderung im Schreiben vom 14.2.2010 bezog sich aber auf einen persönlichen Kontakt.....Im Ergebnis konnte die Beklagte das Vorliegen eines von der Klägerin verschuldeten Entlassungsgrund nach § 27 AngG nicht nachweisen."
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